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Father John Misty - God's favorite customer

Father John Misty- God's favorite customer

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 01.06.2018

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Reduktion aufs Wesen

Wenn das Konzept der Gesundschrumpfung funktionieren sollte, hätte Josh Tillman sie erfolgreich durchlebt. Wo sollte es nach der dritten Platte als Father John Misty, dem pompösen, allumfassenden "Pure comedy" samt omnipräsentem Social-Media-Geblubber und haufenweise In-Depth-Artikeln noch hingehen? Für Tillman ging es in ein Hotel, zwei Monate lang als Rückzug aufgrund psychischer Probleme. Dort vegetierte er zunächst mehr, anstatt zu leben, kämpfte mit Depressionen, fing letztlich aber wieder an, die Feder für neue Songs aufs Papier zu setzen. Die ergeben nun zusammen "God's favorite customer", welches halb so lang, ein Viertel so opulent und in seiner Perspektive wesentlich introvertierter ist als sein Vorgänger. Und womöglich genau diejenigen zurück an den Tisch bringt, die vor dem Overload auf "Pure comedy" noch Reißaus nahmen.

Sein mehr oder minder unterschwelliger Humor ist nach wie vor präsent, selbst wenn er seinen eigenen Zusammenbruch thematisiert. Die beschwingte erste Single "Mr. Tillman" amüsiert aus der bemühten Sicht eines Hotel Concierges, der versucht, auf höfliche Art mit dem geistig abwesenden Tillman fertig zu werden. "Just a reminder about our policy / Don't leave your mattress in the rain if you sleep on the balcony." Tillman kann als Antwort im Refrain nur ein "I'm living on a cloud on an island in my mind" hinterher schieben. "The palace" übt sich im gleichen Setting derweil deutlich ernsthafter in Lethargie, macht die Einsamkeit greifbar. "God's favorite customer" bohrt sich noch weiter in die Psyche des 37-Jährigen, in etwa wenn der Titeltrack gemeinsam mit Gastsängerin Weyes Blood sein Verhältnis zu Gott beleuchtet und sich an die Lebensphase erinnert, in der er Pastor werden wollte. Sein Künstlername kommt schließlich nicht von ungefähr.

Dass die Songs nicht nur deutlich kürzer als zuvor geraten, sondern auch für Tillmans Verhältnisse reduzierter ausstaffiert sind, ist nur eine logische Konsequenz. In der Pickup-Line-Aufreihung von "Date night" schimmert kurz die alte Bissigkeit durch, zu der Tillman nicht viel mehr braucht als eine schrammelnde Akustische und ein stur hämmerndes Schlagzeug. "I've got your number from that sign in the lawn / I also want to vanquish evil but my mojo is gone." Das verbindende Thema ist jedoch die Liebe zu seiner Frau Emma, nicht immer in gewöhnlicher Weise ausgedrückt. Während das dramatische "Please don't die" eine ziemlich direkt formulierte an sich selbst gerichtete Ode aus Sicht seiner Herzensdame ist, nimmt die Liebe in "Disappointing diamonds are the rarest of them all" skurrile Formen an: "Like an oil tanker tipped at sea / This love's contaminated me." "Does everybody have to be the greatest story ever told?" ist allerdings eine berechtigte Frage.

Großes Brimborium in Anthropologie trauen sich da lediglich noch die beiden Außenposten der Platte. Der fantastische Opener "Hangout at the gallows" schlägt als theatralische Shownummer den Bogen zu "Pure comedy" und wirft "What's your politics? / What's your religion?" als Leitfragen in den Raum, während am Ende "We're only people (and there's not much anyone can do about it)" schon im Titel seine thematischen Ambitionen verrät. "God's favorite customer" ist mehr als nur "I love you, honeybear" ohne Zynismus, wie es Tillman selbst beschrieb – ein Funken Wahrheit steckt aber drin. Das System Father John Misty überhitzte nach dem gleichermaßen großen wie größenwahnsinnigen Opus magnum und versengte seinen Schöpfer gleich mit. Der Reset-Knopf für die Lektion in Demut war notwendig. Deshalb gibt es diesmal einfach zehn hübsche Songs mit Witz und Charme. Das geht ja einfach, könnte man meinen. So einfach war die Reduktion für Tillman aber offenbar nicht.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Hangout at the gallows
  • Mr. Tillman
  • Just dumb enough to try
  • The palace

Tracklist

  1. Hangout at the gallows
  2. Mr. Tillman
  3. Just dumb enough to try
  4. Date night
  5. Please don't die
  6. The palace
  7. Disappointing diamonds are the rarest of them all
  8. God's favorite customer
  9. The songwriter
  10. We're only people (and there's not much anyone can do about it)

Gesamtspielzeit: 38:44 min.

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User Beitrag

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2020-01-05 18:38:05 Uhr
Ich liebe "Dumb enough to try" so sehr! Wie er diese Stelle singt: to keep you in my liiiiifee, da schmelze ich weg.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2019-11-27 17:54:03 Uhr
Die Highlights der übrigens sehr gelungenen Rezension decken sich außerdem total mit meinen. Vielleicht noch "Mr. Tillman" dazuzählen.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2019-11-25 15:54:52 Uhr
Wow, gefällt mir gerade echt gut. Tolle Stimmung, tolle Songs. Ich muss mich mal durch den Rest seiner Alben hören.

edegeiler

Postings: 2913

Registriert seit 02.04.2014

2019-01-06 23:46:04 Uhr
Wirklich undramatischer als "Pure Comedy". Die ganz große Geste bleibt jedenfalls meistens im Schrank. Dafür gibt es scharfsinnige Beobachtungen des eigenen Lebens und das der anderen. Man könnte fast auf dem Boden geblieben sagen.

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2018-07-24 02:03:23 Uhr
Das ist alles wieder etwas greifbarer als der opulente Vorgänger. Von dem war ich ehrlich gesagt etwas überfordert. Hiermit tu ich mir leichter. Just Dumb Enough to Try ist sehr toll.
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