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Arctic Monkeys - Tranquility Base Hotel & Casino

Arctic Monkeys- Tranquility Base Hotel & Casino

Domino / GoodToGo
VÖ: 11.05.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Fear and loathing

Frisch die Erinnerung, schäumend noch immer die See nach dem kleinen Unterwasser-Beben, das "Everything now", die vermeintlich zu wenig tiefgründige Arcade-Fire-LP, in der Musikwelt auslöste. Wer allerdings am 11. Mai 2018, einem frühlingshaften Freitagvormittag, dem Facebook- oder Twitter-Kanal der Arctic Monkeys einen Besuch abstattete, musste bloß die Nasenspitze in den frischen Datenwind halten um festzustellen, dass soeben ein heftiger Sturm der Entrüstung aufgezogen war. Während "Everything now" es beim Beben belassen hat, folgt nach "Tranquility Base Hotel & Casino", ziemlich sicher ein mittelschwerer Tsunami. Zumindest seitens der Anhänger des Quartetts. Denn auch wenn die Britpop-Könige aus Sheffield immer wieder neue Stilblüten in ihrem Sound wagten, müssen Fans jetzt sehr stark sein.

Vor allem die rund fünf Millionen Käuferinnen und Käufer des groovenden und mit allerhand Catchiness gesegneten "AM", das den Rockstar-Thron der Band endgültig manifestierte, und des wilden, noch immer unfassbar arschtretenden Debüts werden dicke Grasbüschel benötigen, um sich die schon nach dem Opener regelrecht entstellten Gesichtszüge wegzubeißen. Wo zur Hölle sind die groovenden Hooks? Wo das treibende Schlagzeug? Stattdessen leichter Snare-Wirbel, ein paar zarte Piano-Sprenkel, und schon ist man mittendrin in der Sechzigerjahre-Swingpop-Lounge des "Tranquility Base Hotel & Casino", in der sich eine Kapelle in schnieke Smokings geschmissen und um den Steinway-Flügel versammelt hat. Eine Kapelle, die sich Arctic Monkeys nennt, deren DNA aber zunächst abgelegt zu haben scheint. Über fünfeinhalb Minuten ist der Hörer in einer Art Endlos-Loop gefangen und stellt dabei fest, dass "Star treatment" lediglich einer hübschen Basslinie folgt, von Klavier und Percussion begleitet wird, stark hypnotisiert von Alex Turners lasziver Gesangskunst: "I just wanted to be one of The Strokes / Now look at the mess you've made me make" schwingt der Frontmann dann auch noch die Ironie-Keule und lässt seine verstörten Fans drei, vier Mal auf den erlösenden Refrain hoffen – vergebens!

Durch "The world's first ever monster truck front flip" und "One point perspective" croont Turner mit Hall auf der Stimme, ein Vibraphon und einige Soundeffekte im Hintergrund garnieren seinen immensen gesanglichen Vortrag. Bis auf das ein oder andere Mini-Solo ordnen sich die Gitarren vollends dem Barock-Pop-Regiment unter, wenngleich "American sports" und "Golden trunks" auch Spacepop-Arrangements à la David Bowie zelebrieren. Im Zentrum steht überall das neue Klavier, das Turner seit seinem 30. Wiegenfest besitzt und an dem er das Grundgerüst aller hier vertretenen Stücke entworfen hat. Das Wagnis, die bewährte Gitarre beim Komponieren außen vor zu lassen, manifestiert sich überraschend klar im Sound, der hier und da auch den Chanson ins Spiel bringt. Er verleiht "Tranquility Base Hotel & Casino" seinen entrückten, fast aus der Zeit gefallenen Charakter. Wenngleich man den Groove kaum besser arrangieren kann, als das Zusammenwirken von Turners Pointen, dem Klavierpart und Nick O'Malleys kreativem, windigen Bassspiel dies im hervorragenden Titelsong schaffen: "Good afternoon, Tranquility Base Hotel and Casino / Mark speaking / Please, tell me, how may I direct your call?" bringt uns das Stück auch den zentralen Charakter namens Mark näher – um ihn herum imaginierte Turner das Setting der Hotellounge. Spätestens jetzt fragt man sich nicht zu unrecht: "Fear and loathing in Sheffield"?

ln einer Zeit, in der viele Musiker durch Vorabtracks, Singles und Livemitschnitte schon im Vorfeld bis zu drei Viertel eines neuen Werks in ihre Kanäle speisen, hielten sich Arctic Monkeys komplett bedeckt. Mittlerweile wissen wir: mit gutem Grund. Verstörend die Vorstellung, diesem homogen-geerdeten, auf Gesang fixierten und kontextuell in sich verwobenem Gesamtwerk ein Einzelstück zu entreißen. Dabei wäre dies durchaus möglich gewesen, denn das elegante "Science fiction" teilt sich die Züge an der Zigarre mit The Last Shadow Puppets, während "She looks like fun" in wilderem Rock-Gewand dem "Humbug"-Material hätte Gesellschaft leisten können. Und "Four out of five" fällt dann freudetrunken aus dem Rahmen, verzückt mit einem echten Arctic-Monkeys-Groove und lässt – hoppla – gefühlte 15 Mal den Refrain von der Leine. Als ob die Kapelle für einen Moment den Smoking aufknöpft, und in der Hotel-Lounge eine Tanzgruppe in leichtem Schritt um das Piano hüpft, und das Publikum für die bisher geleisteten Mühen belohnen möchte.

Anderswo bleibt die Herausforderung, die vornehmlich durch ihre spezielle Aura und Atmosphäre blühenden Songs zu entschlüsseln. Das ist nötig, weil "Tranquility Base Hotel & Casino" trotz der immanenten Ruhe das bisher am wenigsten zugängliche Werk der Briten ist. Was auch in der Melodieführung begründet liegt, die selten nur auf bewährte "Abbey Road"- oder "Pet sounds"-Harmonien setzt. Und am Gesamtgefüge, das statt Refrains meist auf subtile Mini-Episoden baut, das seine Haken auch mal gegen den Uhrzeigersinn setzt und Melodien auf links dreht. Müßig jedoch zu erwähnen, dass all diese neuen Facetten, die zunächst verstörend wirken mögen, nach einigen Durchgängen in einem seltsam faszinierenden Gesamtglanz erstrahlen. Dass das Wagnis, das die Band eingeht, von künstlerischer Seite betrachtet absolut aufgeht. Auch, weil Alex Turner nach wie vor der kreativste Songwirter der "Class of 2005" ist. Wer den Schmiss, die Tanzbarkeit, die Wucht der früheren Arctic Monkeys partout nicht missen möchte, wird sich jedoch anderweitig vergnügen müssen. Aber man sollte vielleicht doch noch warten, bis Turner zum Schluss, ganz allein am Klavier und im frischkäseweißen Bademantel, das schöne "The ultracheese" kredenzt. Ein verzücktes Raunen hallt durch die Lounge. Von Tsunami keine Spur.

(Eric Meyer)

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Highlights

  • Star treatment
  • Tranquility Base Hotel & Casino
  • Four out of five
  • The ultracheese

Tracklist

  1. Star treatment
  2. One point perspective
  3. American sports
  4. Tranquility Base Hotel & Casino
  5. Golden trunks
  6. Four out of five
  7. The world's first ever monster truck front flip
  8. Science fiction
  9. She looks like fun
  10. Batphone
  11. The ultracheese

Gesamtspielzeit: 40:57 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Socko

Postings: 1099

Registriert seit 06.02.2022

2024-03-18 09:18:31 Uhr
9/10
Nun
2018-10-01 22:25:01 Uhr
Eine 10/10 oha.
So ne Wertung vergebe ich nur noch Jahren der liebgewonnenheit.
Stimme aber zu definitv das interessanteste Arctic Album.
Für mich am Ende leider trotzdem "nur" ne 7,5/10.

Earl Grey

Postings: 508

Registriert seit 14.06.2013

2018-10-01 20:48:29 Uhr
Hätte ich wirklich nie gedacht, aber eine schöne Autofahrt voller Vorfreude und ich liebe dieses Album. 10/10 und bestes Acrtic Monkeys Album. Das ist mein Ernst!

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2018-10-01 17:04:41 Uhr
"In Dream" war überraschend gut. Da hätte man schon nochmal was ordentliches erwarten können.
Winamp
2018-10-01 13:10:35 Uhr
Wie können Editors enttäuschen? Von denen kommt doch seit 8 Jahren nix mehr brauchbares.
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