Modern Studies - Welcome strangers
Fire / Cargo
VÖ: 18.05.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
With a little help from my friends
Innovative Popmusik zu machen ist ein verdammt hartes Unterfangen. Schwer genug ist es, nicht zwingend neue, aber zumindest eigenständig aufbereitete Ideen präsentieren zu können. Diese dann auch noch in melodiöse, bekömmliche Formen zu gießen, ist die Königsdisziplin modernen Experimental- und Art-Pops. Auch wenn diese schon vielfach gemeistert wurde – man denke da an die legendären Talk Talk oder in einem jüngeren Kontext auch an St. Vincent –, ist es immer wieder eine Freude, wenn sich neue Bands ebenfalls auf diesen Brückenweg zwischen Ambition und Eingängigkeit begeben. Modern Studies, ein schottisches Kollektiv aus Multi-Instrumentalist*innen, tun das sogar schon zum zweiten Mal, stehen nun aber noch ein bisschen sicherer auf den Beinen als zu Zeiten von "Swell to great", ihrem um ein viktorianisches Harmonium gebautem Debüt von 2016. Auf "Welcome strangers" addieren sie orchestrale Arrangements, analoge Elektronik und klassische Rock-Instrumentierung zu ihrer ganz eigenen Definition von Kammer-Pop. Es kommen einem zwar vage Referenzpunkte in den Sinn, vom amerikanischen Komponisten Van Dyke Parks über die frühen San Fermin bis zum Folkpop von Belle & Sebastian, doch werden die zahlreichen Einflüsse hier nie klar offengelegt.
Der Opener "Get back down" fährt schon alles auf, was das ganze Album so großartig macht. Über ein Fundament von Akustikgitarren-Riffs, treibender Percussion und sphärischen Orgeln erhebt Emily Scott ihre kristallklare Stimme, das Spannungslevel ist konstant hoch, bis ein feierlicher Abgesang begleitet von elaborierten Streicher- und Bläser-Arrangements die Erlösung bietet. Die anderen Highlights "Mud and flame" und "Horns and trumpets" geben sich klassischer, bauen auf im Jangle-Pop oder Blues verankerten Gitarren und zunächst simpel erscheinenden Strophe-Refrain-Schemata, doch auch sie ergehen sich später in orchestraler Katharsis und setzen unerwartete Reizpunkte wie die psychedelischen Mellotron-Klänge im erstgenannten Song. Es ist ein Traum, wie wunderbar natürlich hier alle Soundschichten zusammenfließen, weil jedes Instrument ebenso wie die wechselhaften Vocals von Scott und ihrem Bandkollegen Rob St. John jeden Raum zur Entfaltung kriegen, die sie benötigen. Für die Aufnahmen von "Welcome strangers" lud sich der Vierer nicht nur das Ensemble The Pumpkinseeds, sondern auch Freunde und Familie ins Studio und deren Wärme ist auch im fertigen Werk jederzeit zu spüren.
"Let idle hands" kombiniert exotisch anmutende Percussion mit Geige und Tuba, während "Fast as flows" seine Tango-Rhythmen von dramatischen Streichern und druckvollen Bläsern begraben lässt. "The house" ist konzentriert-impressionistisch und öffnet sich am Ende mit fast schon opernhaften Vocals, im finalen "Phosphene dream" dürfen Scott und St. John ihr Duett auf einem subtilen Bossanova-Beat singen, bis cineastische Soundscapes den endgültigen Schlusspunkt setzen. "Welcome strangers" ist ein Album der Gegensätze und doch funktioniert alles. Hier koexistieren klassisch orchestrale Ansätze mit komplexer Rhythmik, weiblicher Mezzosopran mit männlichem Bariton, Folk mit Elektronik. Die Strukturen sind unkonventionell, aber nie sperrig, instrumentale Virtuosität und Experimentierfreude schränken die Songs nie in Eingängigkeit und Melodieverliebtheit ein. Da ist es auch mehr als zu verschmerzen, dass es ein paar wenige Momente etwas an Dringlichkeit und Konzision vermissen lassen, Modern Studies haben Musik erschaffen, die nicht nur beeindruckend in ihrer Eigenständigkeit, sondern auch bei aller technischen Perfektion emotional ungemein wirkungs- und stimmungsvoll ist. Die Königsdisziplin modernen Pops haben sie vielleicht noch nicht gemeistert, aber mitspielen können sie ganz locker.
Highlights
- Get back down
- Mud and flame
- Horns and trumpets
Tracklist
- Get back down
- Disco
- Mud and flame
- Let idle hands
- It's winter
- Young sun
- Horns and trumpets
- Fast as flows
- The house
- Phosphene dream
Gesamtspielzeit: 40:48 min.
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AVMsterdam Postings: 403 Registriert seit 13.03.2017 |
2018-05-30 10:24:58 Uhr
Toll! |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27819 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-05-17 22:24:00 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
San Fermin; Sufjan Stevens; Joanna Newsom; Van Dyke Parks; Nico Muhly; EF; King Creosote; C Duncan; Red River Dialect; Alasdair Roberts; Trembling Bells; Acid House Kings; El Perro Del Mar; Lower Plenty; Belle & Sebastian; This Is The Kit; Crying Lion; Bonnie 'Prince' Billy; Cape Snow; Sea Wolf; The Clientele; James Yorkston; Caroline Says; Gifts Or Creatures; Ryley Walker; The High Llamas; Hero & Leander; Camera Shy; Erland & The Carnival; Laura Jean; Siobhan Wilson; Meursault; Eagleowl; Bastard Mountain; Rob St. John
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