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Bryde - Like an island

Bryde- Like an island

Seahorse / The Orchard
VÖ: 13.04.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Versteck Dich nicht

Sich bloß nichts anmerken lassen, am besten gar nicht zur Seite sehen, die Blicke der anderen ausblenden. Seelischer Schmerz geschieht am besten im Geheimen, so lautet die Annahme. Aber was, wenn man es nicht mehr aushält, wenn es aus einem herauszuplatzen droht? Sich diese Blöße zu geben, wäre so furchterregend, so stigmatisierend. In Wirklichkeit aber ist es ein Ausdruck der Ermächtigung, das Geheimrezept für innerliche Souveränität, zu sich selbst zu stehen, in dem man die Ketten vermeintlicher Konventionen sprengt und seinen Gefühlen Luft macht. Nach sechs Alben mit ihrer Band Paper Aeroplanes legt die walisische Singer-Songwriterin Sarah Howells mit ihrem Solo-Debüt "Like an island" ein Manifest der Selbstliebe im Angesicht sozialer Verflechtungen hin, und verfasst unter dem Pseudonym Bryde in unheimlicher Anschaulichkeit ein Dokument ihres Weges von der Zerrissenheit hin zu neuer Stärke.

Der Opener "To be brave" legt sogleich den Grundstein für das bevorstehende, knapp vierzigminütige Spektakel: Sanft klingen die Gitarren an, Bryde formuliert Durchhalteparolen, ermutigt sich selbst und tankt mit der Instrumentierung Kraft für den Ausbruch. Wenn die Drums einsetzen, erschüttern sie Mark und Bein, die Sängerin wird lauter, ihr Gesang getriebener, die Ernsthaftigkeit des Unterfangens erscheint unantastbar. Das darauffolgende "Less" straft zum aufgeriebenen Breakbeat bindende Abhängigkeiten ab, lässt die Gitarren aufschellen, während Howells ihrem Gegenüber keifend die Leviten liest. Der gleichen indifferenten Person scheint "Flesh, blood and love" zu gelten: "Give me nothing to feel something / When flesh and blood and love are alien", beendet Bryde die Beziehung schließlich, wenn sie ihre Wut herausschreit und dabei ein wenig an Teri Gender Bender von Bosnian Rainbows erinnert.

"Peace" kommt da nur gelegen, der Titel aber ist natürlich eine Mogelpackung: Während sich in den Strophen sanfter Dreampop der Marke The xx ausbreitet, verliert der Chorus mitreißend die Fassung angesichts der Fragestellung: "Oh, peace, do you live inside of me?" Desorientierung ist das Stichwort fortan, oder auch blanke Angst: "Fast awake" reißt zu rasenden Trommeln aus der Post-Beziehungsstarre und stellt die Ekelhaftigkeit sozialer Torschlusspanik beißend fies heraus. Wie "Peace" hält auch "Euphoria" nicht, was seine Benennung verspricht, sondern gibt sich eingeschüchtert und zurückgezogen hinter lauten Tasten und hintergründig verzerrten Saiten. Hier findet sich die titelgebende Zeile des Albums: Mit den Worten "It feels like euphoria / Comin' out of the dark like an island" macht sich Bryde auf zu neuen Ufern, traut der Sache aber noch nicht so richtig.

Mit einem Sound wie auf Feists "Metals" und einem Timbre à la Fiona Apple gibt sich "Handstands" zunächst verschämt, öffnet aber schließlich seine Arme: "I'm in the mood for lovin' you." Doch "To be loved" findet sich erneut in den Fängen einer unglücklichen Verbindung. Die Sängerin muss ihrem Gegenüber erklären, wie es funktioniert sich lieben zu lassen und gibt schließlich mehr oder weniger entnervt auf. Leidenschaftlicher erscheint da die Erstauskopplung "Desire", das kraftvollste Stück der Platte, welches Sinn und Unsinn sozialer Nähe diskutiert und unfriedlich dem Fatalismus verfällt: "Smother everything." In "Transparent" gelingt jedoch der Durchbruch und Bryde macht sich endgültig frei. "I don't need to care anymore", haucht die Sängerin, während die Percussion sachte einstimmt. Das abschließende "Steady heart" formuliert zwischen gezupften Saiten schließlich die unmittelbaren Auswirkungen der neu entdeckten Ausgeglichenheit: "And underneath the chaos there's a calm, steady heartbeat", singt die Waliserin, während die Gänsehaut den Hörerarm sprenkelt.

Bryde durchlebt auf ihrem Debüt einen Zyklus des Zwischenmenschlichen, wie er einer jeden verletzlichen Seele bekannt sein dürfte. Nicht immer sind ihre Lösungen auf Anhieb die richtigen, doch der Scham gegenüber ihrer eigenen Kopf- und Hilflosigkeit begegnet die Singer-Songwriterin stets damit, dass sie ihr Kinn wieder in eine erhöhte Position rückt, indem sie auf ihr Herz hört. Die Waliserin kämpft und hadert in ihren Zeilen, während die Instrumentierung und vor allem die furiose Gitarre diesen inneren Konflikt grandios aufgreifen. Das Ganze gestaltet sich derart nachempfindbar, dass "Like an island" einen wahnsinnigen Sog entwickelt, dessen Dynamik aber immer den positiven Ausgang proklamiert. Dabei vermeidet die Singer-Songwriterin Schmalz schlicht mit ihrer entlarvenden Ehrlichkeit. "Flucht nach vorne" lautet die Parole. Niemand braucht sich zu verstecken für das, was er empfindet.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • To be brave
  • Less
  • Peace
  • Desire
  • Steady heart

Tracklist

  1. To be brave
  2. Less
  3. Flesh, blood and love
  4. Peace
  5. Fast awake
  6. Euphoria
  7. Handstands
  8. To be loved
  9. Desire
  10. Transparent
  11. Steady heart

Gesamtspielzeit: 39:18 min.

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User Beitrag

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2021-10-12 20:52:40 Uhr
Was stört dich an dem? Dass der softer ist? Ich mag den auch, wobei ich "Like an Island" schon klar vorziehe. Mir fehlen da die rockigeren Sachen und die melancholischere Stimmung.

nörtz

User und News-Scout

Postings: 13851

Registriert seit 13.06.2013

2021-10-12 20:37:06 Uhr
Ist es immer noch. Leider kann ich das vom Nachfolger nicht behaupten.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2021-10-12 20:26:35 Uhr
Hab das Album fast ein wenig vergessen, aber gerade gefällt es mir wieder ausgezeichnet.

Pascal

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 651

Registriert seit 13.02.2013

2020-06-11 23:44:58 Uhr
Die neue Platte liegt bei mir und wird nachgereicht!

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 10783

Registriert seit 23.07.2014

2020-06-06 23:55:06 Uhr
Habe mal hier einen passenden Thread erstellt.
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