The Sea And Cake - Any day
Thrill Jockey / Rough Trade
VÖ: 11.05.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Jetzt und nie
Herzlich willkommen beim Plattentests.de-Klischee-Stichwort-Bingo! Das Thema: Frühling. Sofort im Kopf auftauchende Begriffe und Bilder: Bienchen. Blümchen. Sonnenstrahlen. Bunte, zwitschernde Vögel, wie man sie man allenfalls in Disney-Filmen gesehen hat und die dementsprechend riesige Glubschaugen haben. Lange Spaziergänge bei nur langsam untergehender Sonne, im Hintergrund ein kleiner Bach. Frauen in hübschen Kleidern, die mit einem Eis in der Hand über die Straße laufen. Männer, die in Biergärten sitzen und Weizen trinken und stets aussehen wie die strahlenden Gentlemen in der Werbung und nicht etwa wie die beiden Mittfünfziger Herbert und Werner aus Bottrop, deren Körpergewicht mittlerweile etwas mehr ist als ihr Alter mal zwei. Was man aber immer vergisst: Pollen! Eiseskälte am frühen Morgen, von Gewittern aufgepeitschte Luft am Mittag, die Rückkehr der verdammten Stechmücken am Abend! Mehr Pollen! Ein Wetter, bei dem man einfach nie passend angezogen ist und deswegen auch sofort krank wird! Und noch mehr Pollen! Und doch – es geht kaum etwas über entspannte, poppige Musik an einem lauen Frühlingstag. Und allein aufgrund dieses Arguments ist die Veröffentlichung von The Sea And Cakes "Any day", dem heißersehnten Nachfolger des 2012er-Werkes "Runner" umso erfreulicher.
Denn mal ganz davon abgesehen, dass es einerseits die richtige Jahreszeit für ein neues Album des Quartetts aus Illinois ist und andererseits sowieso höchste Eisenbahn für Nachschub von The Sea And Cake, könnten diese zehn kleinen, aber feinen Perlen kaum noch nötiger sein. Es ist ein Album für den Moment, den sofortigen Genuss, fürs Hier und Jetzt, ob unterwegs während eines Ausflugs oder ganz entspannt auf der heimischen Terrasse. Und doch entführt es auch auf eine Reise, in der Raum und Zeit keine Rolle zu spielen scheinen: Wenn der Titeltrack von "Any day" den Kopf sanft groovend zum Mitwippen einlädt und auch die Füße diesem wunderbar leichten Rhythmus nicht widerstehen können, vergisst man das Drumherum schneller als gedacht. Und wenn im Refrain noch je ein Satz Streicher und Bläser die Runde aufmischt, wünscht man sich fast, dass dieser Zustand noch etwas länger anhält. Pusteblume, pardon, -kuchen: Die Lounge-Atmosphäre von "Occurs" verschafft sich auch ohne ausdrückliche Einladung Zugang und nistet sich glücklicherweise ziemlich tief im Ohr ein. Daran versucht sich auch "Day moon", rutscht dann aber doch noch einen guten Meter weiter nach unten und bringt die Beine geradezu zum Beben vor Glück. Manche mögen es gar Tanzen nennen! Und während sich die Nachbarin einen Stockwerk tiefer noch wundert, warum ihr plötzlich der Putz auf den Kopf bröselt, bringt das flotte "I should care" die Wände erst so richtig zum Wackeln und den Hörer zum munteren Auf-und-ab-Hopsen.
"Any day" ist vertonte gute Laune. Und während die für andere Leute, die sie nicht teilen, auch mal nervig sein kann, ist sie für den nach vorne ausgerichteten Augenblicken strebenden Menschen eine Art Lebenselixier. Da darf es mit "Into rain" auch mal klatschnass von oben herunterkommen und auch mal eine gewisse Melancholie mitschwingen. Oder einen Schritt zurück gehen mit "These falling arms" und seiner unüberhörbaren Hommage an die schwierigen, unkomplizierten, freien, eingeengten Neunzigerjahre. Klar hat diese Medaille stets zwei Seiten und auch The Sea And Cake sind sicher keine unnatürlich positiv aufgeladenen Roboter. Und doch: In einem weiteren Monat, in dem man die Nachrichten vor lauter düsteren Szenen, die aus einer schlechten Satire zu sein scheinen, kaum noch einschalten mag und sogar der mittlerweile gewohnte Wahnsinn von sonst geschätzten Künstlern ganz und gar nicht mehr lustig ist, wirkt "Any day" wie ein leckeres Lutschbonbon, das sämtliche Schmerzen im geschundenen Körper lindert. Oder wie ein Pollenmittel, mit dem die Augen dann aber doch irgendwie weiter kleine Tränchen produzieren. Aber diese immerhin ganz ohne nervige Polleneinwirkung.
Highlights
- I should care
- Any day
- These falling arms
Tracklist
- Cover the mountain
- I should care
- Any day
- Occurs
- Starling
- Paper window
- Day moon
- Into rain
- Circle
- These falling arms
Gesamtspielzeit: 38:10 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Loketrourak Postings: 2617 Registriert seit 26.06.2013 |
2018-05-13 18:17:51 Uhr
Ach die ist schön... so luftig. Ein leicht melancholischer Unterton. Wirklich gelungen. |
frage |
2018-05-06 13:10:29 Uhr
Wie kann Circle nicht in den Highlights genannt werden? |
slowdive Postings: 186 Registriert seit 15.09.2016 |
2018-05-05 17:58:43 Uhr
Aufgrund des aktuellen Beach House-Hypes scheint die Platte ein wenig unterzugehen. Zu unrecht! Ein wunderbares jazziges Indie-Pop-Kleinod und vielleicht ihr bestes Album seit 'Oui' - dieses vielleicht sogar mit eingeschlossen.Hach, was freue ich mich auf das Konzert beim Primavera in nicht einmal vier Wochen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27674 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-05-03 21:00:24 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Wolfgang |
2018-03-22 23:08:36 Uhr
Die ersten beiden Songs sind schonmal ganz groß!https://theseaandcake.bandcamp.com/album/any-day |
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Referenzen
Sam Prekop; Archer Prewitt; The American Analog Set; The Durutti Column; Iron Hero; Tristeza; Prefab Sprout; The Beautiful South; Belle & Sebastian; Aerial M; Papa M; Pajo; Jim O'Rourke; Loose Fur; Yamon Yamon; Karate; Glorytellers; The Go-Betweens; Castor; National Skyline; The Joy Circuit; Mice Parade; June Of 44; HiM; The Boom; The Letter E; Everlasting The Way; Joan Of Arc; Pele; Collections Of Colonies Of Bees; Built To Spill; Blonde Redhead; Delbo; Jullander; Honey For Petzi; Eveline; Minus The Bear; The Bees; The Van Pelt; The High Llamas; The Lapse; Mercury Rev; Couch; Kreidler; Tortoise; Seam; Stereolab; Scritti Politti; XTC; Love; Spandau Ballet; Aztec Camera; Arms And Sleepers; A Mountain Of One
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