Palace Winter - Nowadays

Tambourhinoceros / Indigo
VÖ: 04.05.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Ballade von Carl und Caspar
Ob Caspar Hesselager und Carl Coleman an die Liebe auf den ersten Blick glauben? Anders ließe sich die Geschichte ihrer musikalischen Zusammenkunft auf jeden Fall nur schwerlich nacherzählen: Mit unterschiedlichen Bands tourend, trafen der Däne Hesselager und der in Kopenhagen ansässige Australier Coleman einst aufeinander, als hätte Amor neben seiner üblichen Ausstattung noch ein paar schallplattenförmige Pfeile im Köcher gehabt. Die berühmten Funken sprühten, man lernte sich näher kennen, verbrachte gemeinsame Stunden in einem abgelegenen Studio und gebar schließlich "Waiting for the world to turn", ein Liebeskind herzerwärmend schönsten, euphorischsten Indie-Rocks. Behält man dieses Narrativ der Rosamunde-Pilcher-Schmonzette bei, müsste "Nowadays" nun die ersten Risse in der Beziehung von Palace Winter aufzeigen. Die gute Nachricht: Von einem Abbau der Chemie zwischen den beiden ist nichts zu spüren, auch der Zweitling schlafwandelt noch mit genau der Art von entrückter Schwebe, die das Debüt so bezaubernd gemacht hat. Doch wie in jeder guten Ehe hat sich auch hier nach der endlosen Zeitspanne von gut zwei Jahren schon etwas Routine breitgemacht – irgendwie wird man das Gefühl nicht los, man hätte diesen Traum schon einmal geträumt.
Wenn Coleman also in "Baltimore" "It's like I'm always looking back these days / Waiting for a reason" singt, erscheint der sehnsuchtsvolle Blick zurück in Zeiten von mehr Feuer und Leidenschaft naheliegend. Doch diese Rückwärtsgewandtheit ist vielmehr Ausdruck einer lyrischen Nachdenklichkeit, die bei Palace Winter noch mehr als zuvor Einzug erhält. Die erste Single "Take shelter", eine stampfende Piano-Ballade, die mit ihrem mehrstimmigem Gesang und der Gitarren-Bridge wie eine Synth-Pop-Version von Grizzly Bear klingt, konfrontiert mit Tod und Trauerbewältigung, an anderen Stellen zirkuliert das Album um Selbstzweifel, einengende Liebesbeziehungen und den Verlust jugendlicher Leichtigkeit. Es ist ein in jüngerer (Indie-)Popmusik häufiger beobachtetes Phänomen, ernste Inhalte mit beschwingter, lockerer Melodieverliebtheit zu kontrastieren, doch das dänische Duo banalisiert seine Themen damit nicht, es verschiebt schlicht den Fokus. "Nowadays" soll mitreißen, kein Album der stillen Katharsis, sondern eines der lauten Lebensfreude sein, selbst in noch so aussichtslos scheinenden Momenten immer Hoffnung und Optimismus vermitteln. Und dafür sind nicht immer unbedingt Worte notwendig, wie "The accident" eindrucksvoll beweist, das seine verträumte Melancholie nach drei Minuten zugunsten eines himmelsöffnenden Instrumental-Finales aufgibt und Gitarren, Synths und Saxophonfetzen zu einem Guss purer Euphorie und Spielfreude verschmilzt.
So exzessiv geben sich Palace Winter sonst nicht. Ihre Mischung aus 70s-Americana-Rock, cineastischen, synthetischen Soundscapes und psychedelischen Ansätzen erinnert nicht nur an das eigene Debüt, sondern vor allem auch an eine gewisse andere Band, die auch mal "Lost in the dream" war. Die Dänen agieren zwar etwas dynamischer und konziser als die Amerikaner, doch im Grunde ist das auch völlig egal. "Nowadays" geht es nicht um musikalische Originalität oder Innovation, es will ausschließlich emotional mitnehmen, und das gelingt wunderbar. Passenderweise gehören dann auch die Songs zu den Highlights, die so nah an The War On Drugs sind wie nichts anderes: "The ballroom", "Empire" und "Come back (Left behind)", drei entwaffnend treibende Folkrock-Nummern, die der neue Drummer Jens Bach Laursen gnadenlos nach vorne poltert und die sich von Streichern und reizvoll aufjaulenden Gitarren akzentuieren lassen. Hesselager und Coleman müssen niemandem mehr etwas beweisen und sich selbst schon gar nicht, sie kennen einander und ihre jeweiligen Stärken und Schwächen und lassen sich von ein bisschen Routine sicher nicht den Spaß am gemeinsamen Kunstschaffen vermiesen. Doch für wie lange noch? Das abschließende "Kenopsia" ist ein Duett von Colemans Gesang und Hesselagers Keys im luftleeren Raum, als hätten die beiden eine ausgelassene Party geschmissen und führten jetzt, wo alle Gäste weg sind, ein nachdenkliches Gespräch über ihren Beziehungsstand und dessen Zukunft. Hoffentlich wissen sie nicht, dass Ehen in Dänemark einfach per Mausklick geschieden werden können.
Highlights
- The ballroom
- Empire
- Come back (Left behind)
- The accident
Tracklist
- Birth
- Take shelter
- Pursuit of
- The ballroom
- Empire
- Baltimore
- Come back (Left behind)
- The accident
- Demon
- Acting like lovers
- Kenopsia
Gesamtspielzeit: 41:28 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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quasinebenbei |
2018-11-30 21:04:00 Uhr
Lasse gerade mir wichtige Platten von 2018 Revue passieren. Dieses hier gewinnt den Loudness War. |
myx Postings: 4073 Registriert seit 16.10.2016 |
2018-06-06 10:09:06 Uhr
Apropos live, hier noch ihre Deutschland-Konzerte im 2018:- 19. Oktober: Molotow Skybar, Hamburg - 20. Oktober: Badehaus, Berlin - 21. Oktober: Studio 672, Köln Leider nichts für mich dabei. |
myx Postings: 4073 Registriert seit 16.10.2016 |
2018-06-06 09:11:51 Uhr
Wieder ein sehr schönes Album geworden. Palace Winter haben einfach ein Händchen für eingängige Melodien ("Take Shelter", "Empire"). Das Ganze wirkt auf mich ungemein leicht und schwerelos. Ich glaube, die Band geht sehr entspannt ans Musikmachen ran. Würde sie gerne mal live erleben. Bin bei einer knappen 8/10 für das Album. |
musie Postings: 3572 Registriert seit 14.06.2013 |
2018-05-05 18:42:15 Uhr
richtig gutes album!! |
Achim Postings: 6288 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-05-04 18:34:50 Uhr
Ich nicht. Klasse Album!(A.) |
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Referenzen
The War On Drugs; Dry The River; Lower Dens; Phosphorescent; Amber Arcades; MGMT; Nvdes; Grizzly Bear; Tame Impala; Jacco Gardner; Crosby, Stills, Nash & Young; Craig Finn; Hiss Golden Messenger; Seapony; Ducktails; Aero Flynn; Kurt Vile; Mark Knopfler; Dire Straits; The Shins; The Flaming Lips; Fleetwood Mac; First Aid Kit; R.E.M.; The Temper Trap; Smith Westerns; Wild Nothing; Real Estate; Yo La Tengo; Half Moon Run; The Rumour Said Fire; Blitzen Trapper; Wilco; Ryan Adams; My Morning Jacket; Other Lives; Sink Ships; Majical Cloudz; C Duncan; Ultimate Painting; Johnny Jewel; Majeure; Choir Of Young Believers; Kashmir; When Saints Go Machine; The Proper Ornaments
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