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Mount Eerie - Now only

Mount Eerie- Now only

http://www.pwelverumandsun.com / Bandcamp
VÖ: 16.03.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Dad, man, walking

Superlative sind messbar, wenn es um Zahlen geht, um Fakten und Belegbares. Je vager das Terrain, umso streitbarer werden sie. Und gerade bei gefühlten Extremen lohnt ein Schritt zurück verbunden mit der Frage: Ist das wirklich so? Phil Elverum alias Mount Eerie macht es einem da nicht leicht. Sein "A crow looked at me" aber gehört zum nahbarsten und traurigsten, was der Rezensent je gehört hat. Andere Platten mögen noch mehr berühren durch ihre geschliffene Wortwahl im Einklang mit den Song-Arrangements. Aber das sind keine Maßstäbe und Kategorien für Elverum. In seiner Welt existieren keine Filter, Elverum walzt mit Stift und Stimme über jedwedes emotionales Sieb und bietet mit seinem stream of consciousness und seinen tagebuchähnlichen Gedankenfolgen einen baren Blick auf das Leben. Sein Leben.

Auf "A crow looked at me" ging es um den Tod seiner Frau, der Künstlerin Geneviève Castrée, um Verlust und Trauer, im Bewusstsein, für die kleine gemeinsame Tochter da sein zu müssen. Die Musik geriet eigentlich zur völligen Nebensache, war gezupfte Begleiterscheinung und bei weitem nicht so eindrucksvoll wie die textliche Komponente. Zumindest in dieser Hinsicht wirkt "Now only" ausgereifter und facettenreicher: In "Distortion" thront eine dröhnende Gitarre und spielt Elverum mit der Dopplung seiner Stimme sowie Piano-Motiven, in "Earth" sind 90s-Indie-Rock-Elemente dabei, "Two paintings by Nikolai Astrup" baut rhythmische Spannung auf, ohne je in einer Klimax zu enden, und der Refrain des Titeltracks erlaubt Melodie, ja, Pop. Zwar steht im Kern weiter Elverums Lo-Fi-artiges Spiel an der Akustikgitarre, aber "Now only" zeichnet im direkten Vergleich zum Vorgänger unbestritten ein abwechslungsreicheres Klangbild. Der Prozess des Trauerns indes ist noch längst nicht abgeschlossen.

"Now only" entstand nur kurz nach "A crow looked at me". Man könnte sagen: Eigentlich schreibt Elverum kontinuierlich, weil er eben auch kontinuierlich verarbeitet. Nur drückt er irgendwann auf die Stop-Taste und finalisiert damit eine Platte. Nun eine neue Aufnahme. "I sing to you, Geneviève / You don't exist" lauten die ersten Worte in "Tintin in Tibet". Und sie zeigen einerseits ganz gut, dass der Hörer erneut an der Schlinge hineingesogen wird in Elverums Gedankenwelt und andererseits, welch innere Spannung den 39-Jährigen beschäftigt. Er spricht und kommuniziert noch mit seiner Frau, wohlwissend, dass sie nicht mehr lebt. Und doch ist sie da: in "Crow, Pt.2", auf dem leeren Stuhl am Frühstückstisch, in den Augen der gemeinsamen Tochter und natürlich in Elverums Kopf.

Die Frage "When I address you, who am I talking to" beantwortet er im elfminütigen "Distortion" insofern, dass er nicht an Geister glaubt, wohl aber mit einer "version of you" kommuniziert. Und das macht Elverum, weil er nicht möchte, dass ein lieber Mensch mit dem Tod einfach vergessen wird. "I keep you breathing through my lungs in a constant uncomfortable stream of memories trailing out til I am dead too." Auch die rührende Geschichte ihres Kennenlernens und die ersten Tage des Verliebtseins in "Tintin in Tibet" enden an Genevièves Sterbebett – mit Elverum, der gegen das Vergessen schreibt und sprechsingt. Er malt sich aus, wie seine Frau oben kreist "in the mountains of the gods", in der klaren Luft, über die sie einst sprachen und die so gar nichts mit der schweren Atmung vor ihrem Tod gemein hat, und wie sie dann doch alsbald vom Wind davongeweht wird, statt ihre Tochter aufwachsen zu sehen: "So I sing to you."

Elverum erlaubt wieder episodenhafte Einblicke in das Leben seiner kleinen Familie und steckt noch tief drin in dieser sehr persönlichen und einnehmenden Form der Trauerbewältigung. Aber er tritt zumindest ein paar Zentimeter weiter zurück. Nicht um seine Gedanken zu interpretieren, sondern um die Rolle der Kunst zu beleuchten: in ihrer Beziehung, als Analogien zu Verhaltensmustern, als Ausdrucksempfinden und auch ganz praktisch gesehen. Denn irgendwie muss Elverum den künsterlischen Nachlass seiner Frau regeln. Und sein Stil, Verlust zu skizzieren, ist eben auch das: Kunst. Im Titeltrack spricht er sodenn über die Absurditäten des Todes für ihn als professionellen Musiker. So flog er nach Phoenix, um seine "death songs" auf einem Festival einem "bunch of kids on drugs" vorzuspielen, während die Subwoofer von Skrillex' aus der Ferne hinüberschwappten. Surreal. Skurril. Genau wie Elverums Refrain, der mit der oben angesprochenen Pop-Nonchalance flötet: "People get cancer and die / People get hit by trucks and die." Ein kleiner Funken schwarzer Humor in der tristen Realität und ein auditiver Kniff für die bildgewaltigen Wortfrequenzen. Oder gar das erste Zeichen von Routine für den Musiker Phil Elverum, der derzeit eigentlich mehr Autor und Erzähler ist und mit Inhalten fesselt, die dazu gar nicht bestimmt sein sollten. Das wiederum ist unsere sonderbare Rolle in dieser Geschichte.

(Stephan Müller)

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Highlights

  • Tintin in Tibet
  • Now only
  • Two paintings by Nikolai Astrup

Tracklist

  1. Tintin in Tibet
  2. Distortion
  3. Now only
  4. Earth
  5. Two paintings by Nikolai Astrup
  6. Crow, Pt.2

Gesamtspielzeit: 43:42 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Damon Albern
2018-04-01 00:51:11 Uhr
Weinerlicher Mist, wie auch schon die letzte Platte.

Gomes21

Postings: 4427

Registriert seit 20.06.2013

2018-03-30 16:16:41 Uhr
* insbesondere auf musikalischer Ebene, hätte ich vielleich dazu schreiben sollen

Hipster aus Bochum

Postings: 129

Registriert seit 04.01.2017

2018-03-30 16:14:37 Uhr
Gefällt mir im ersten Durchgang besser als "A crow looked at me". "Tintin in Tibet" und "Distortion" sind schon ziiiemlich jut.

Vielleicht muss man jemanden nahestehenden verloren haben, damit man damit was anfangen kann. Oder man muss irgendwie eine Nähe zu den besungenen Familienkonstellationen haben. Die Beschreibungen in seinen Texten sind schon sehr "real", die musikalische Umsetzung zT zu skizzenhaft.
tame
2018-03-30 16:03:33 Uhr
irgendwann sollte auch mal gut sein. lebbe geht weider.

Gomes21

Postings: 4427

Registriert seit 20.06.2013

2018-03-30 15:59:14 Uhr
So ganz nachvollziehen kann ich den Forumshype nicht. Mich berührt das bisher nicht wirklich, Gechichte hin oder her.
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