Trettmann - #DIY
Soulforce / Rough Trade
VÖ: 29.09.2017
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Tiefste Platte
Trettman war weg vom Fenster – jahrelang verschrien als lustiger Sachse, der Reggae mit Dialekt macht und dadurch ein bisschen witzig klingt. Neben ein paar Achtungserfolgen ist das nicht übermäßig viel für einen talentierten Typen, dem das Gespür für Melodie und Timing in den Genen zu liegen scheint. Dann trat das Künstlerkollektiv Kitschkrieg auf den Plan. Von dort an beginnt die fast märchenhafte Metamorphose vom gewöhnlichen Spaßmacher zum angesagten Autotune-Barden. Drei solo EPs und das "Herb & Mango"-Projekt mit Megaloh bereiteten den aktuellen Sound von langer Hand vor. Immer mehr Leute nahmen Notiz von dem Chemnitzer und seiner Fähigkeit, kleine Geschichten in der Klangwelt zu platzieren, in der sonst vermehrt Geräusche und Markennamen aufgerufen werden. Einen gewissen Anteil an der Renaissance ohne den so ost-typischen Ronny im Künstlernamen haben sicher auch Bonez MC und RAF Camora, die 2016 mit"Palmen aus Plastik" Afro-Trap und Dancehall-Anleihen in Deutschland charttauglich machten. Trettmann half an manchen Ecken mit und hinterließ seinen Namen ebenso bei Leuten, die gerne zwanglos "187" oder "Ein Sack Zwiebeln" in die Nacht brüllen. Dem kleinen Hype musste ein Album folgen. "#DIY" ist nun das Resultat eines unbedingten Willens und beweist, dass der Durchbruch eigentlich immer gelingen kann, solange Qualität und Timing stimmen. Statt den so typisch gewordenen Deluxe-Boxen designte die Künstler-Gang eine individualisierbare Rolle und ein mindestens genauso verspieltes Album, das jegliche Emotion abdeckt und dabei nie Gefahr läuft, belanglos zu klingen.
Auf gerade mal zehn Songs legt Trettmann seine Stimme auf die unverwechselbaren Produktionen aus dem Kitschkrieg-Kosmos. Die zart-futuristischen Kompositionen schenken alle Freiheiten und fordert gleichzeitig jemanden ein, der weiß, damit umzugehen. Wenn die Jungs der 187 Straßenbande als Feature parat stehen, dann ist da zunächst kein Raum für die ganz große Poesie. So orientieren sich "Knöchteltief" und "Gott sei Dank" am dringlichsten an den gängigen Tanz-Sounds, die im Deutschrap seit der erwähnten "Palmen aus Plastik"-Platte überhandgenommen haben. Dennoch geht Trettmann nicht auf Nummer sicher und dreht ein Hamburger Original wie Gzuz durch den Autotune-Wolf. Was vielleicht beim ersten Hören eigenwillig klingt, wächst zu einem der prägnantesten Parts 2017. So geht es "nur mit den Echten". Abgesehen von den sonnendurchfluteten Vibes dieser beiden Songs erzählt das Album viele kleine Geschichten, die der Melancholie offen gegenüber stehen. "Grauer Beton" beschreibt die Tristesse in den normierten Blöcken abseits der bunten Cola-Werbetafeln. Sehnsüchte und Stolperfallen der Wendezeit fängt Trettmann mit wenigen Zeilen ein und vertont ein Gefühl der kurzen Heimatlosigkeit inmitten kahl strahlender Bauten. Die untypische Wortwahl malt umso deutlichere Panoramen. Trettmann formt ein zeitloses Sittengemälde aus nahezu vergessenen Begriffen wie "Seelenfänger", "Bagage" und "Leuchtreklame". Wäre dies das einzige brillante Momentum, könnte "#DIY" immer noch ein Album unter vielen sein. Dafür dass es nicht so kommt und der Adidas-Fan wohl das "Stadtaffe" von 2017 abgeliefert hat, sorgt die extreme Dichte von Miniatur-Hymnen, die leichtfüßig klingen, aber beständig mit Schwere und Wehmut hantieren. Die jungen Leute reden vom Jetzt und Oberflächlichkeiten. Trettmann ist erwachsen und hat wirklich was zu erzählen. Wie in "Dumplin & Callaloo" angerissen, entstammt der Album-Vibe "aus der tiefsten Platte" und hält sich nicht mit Trend-Hopperei auf.
Allein "Billie Holiday" und "New York" versinken trotz aller Modernität in bitter-süßen Statusmeldungen, die so anders tönen als die Phrasen der Konkurrenz auf dem gleichen musikalischen Terrain. Wahrscheinlich ist Everybody's Darling "Tretti" mehr Liedermacher als jeder andere, der unter den Bedingungen der Rap-Szene mit Strophen und Zeilen sein Geld verdient. Neben den stilsicher platzierten Feature-Gästen wiederholt sich Trettmann nicht, sondern kippt mit seinen Einsätzen immer genau dorthin, wo es überraschend und angenehm ist. Mit "Geh ran" bringt das Album noch einen Song hervor, der ernst und warmherzig von jemandem berichtet, der sich nach zermürbender Einsamkeit plötzlich komplett verabschiedet. Einen wehleidigen Rettungsschirm vor solchen Szenarien breitet hier sicher niemand aus, aber die "Story muss erzählt werden – irgendwie." Kein anderer deutscher Künstler dürfte 2017 eine Song-Sammlung vorgelegt haben, die derart ausgereift und unangreifbar mit den angesagten Stimmspielereien zum vermeintlichen Evergreen taugt. In diesem Album spiegelt sich die gesamte Bandbreite des Lebens in kleinen Sätzen, kurzen Botschaften und verspulten Piano-Loops. Nie anstößig und immer gerade heraus, erschafft die Platte einen Masterplan für jene, die es noch mal probieren wollen. Es ist scheinbar nie zu spät für einen Neuanfang. Wenn es klappt, kann man auch mal einen heben. Mit Haiyti kam er schon "120 Jahre" aus dem Club nicht raus. Sich dann und wann "Nur noch einen" Letzten an der Bar zu genehmigen, steht dem Mann nach diesem Album absolut zu.
Highlights
- Knöcheltief (feat. Gzuz)
- Grauer Beton
- New York
- Geh ran
Tracklist
- #DIY
- Knöcheltief (feat. Gzuz)
- Grauer Beton
- Billie Holiday
- Dumplin & Callaloo
- Gott sei Dank (feat. Bonez MC &RAF Camora)
- Nur noch einen (feat. Joey Bargeld & Haiyti)
- New York
- Fast Forward (feat. Marteria)
- Geh ran
Gesamtspielzeit: 37:42 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Mister X Postings: 3401 Registriert seit 30.10.2013 |
2019-08-04 20:06:54 Uhr
schon auf dem Album auserzaehlt |
Mister X Postings: 3401 Registriert seit 30.10.2013 |
2019-08-04 20:06:24 Uhr
Warte lieber aufs Ganze Album. Glaub auch nicht dass er an Diy nochmal rankommt. Dafuer ist alles nunmal |
trittmann |
2019-08-01 18:20:53 Uhr
neue single/video ziemlich öde finde ich. |
captain kidd Postings: 3748 Registriert seit 13.06.2013 |
2019-07-30 21:33:55 Uhr
Den Splash-Stream bei Arte gesehen. Stolpersteine und Du weißt leider öde. DIY wird nicht zu toppen sein. |
KermitdF Postings: 15 Registriert seit 28.04.2019 |
2019-07-30 20:47:57 Uhr
Das Album erscheint am 13.09.2019.Intro Bye Bye aka Delicious Stolpersteine Retro Shirt Zeit steht feat. Alli Neumann Du weißt feat. GZUZ MDMDF Hätten Wir sein können Wir bleiben Wach Wenn du mich brauchst feat. Keke Margarete |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
RAF Camora; Bonez MC; Peter Fox; Bausa; Shotta Paul; Veysel; Megaloh; Gzuz; Crack Ignaz; Ahzumjot; Sierra Kidd; Marteria; Casper; Chefket; Chima Ede; Tua; Prinz Pi; Haiyti; Joey Bargeld; 187 Strassenbande; Seeed; Hanybal; Mono & Nikitaman; Boundzound; Nattyflo; Jan Delay; Irie Révoltés; Dellé; Uwe Kaa; Benjie; Nosliw; Olexseh; Gzuz; Culcha Candela; Mateo; Shindy; Marvin Game; 257ers; MoTrip; Maeckes; Gentleman; Beginner; Der Biber; Ganjaman; Junior Randy; Lazy Youth; Chakuza; Iriepathie; Phenomden; Cali P; Wolf Biermann; Rainald Grebe
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Trettmann - Your Love Is King EP (1 Beiträge / Letzter am 29.03.2024 - 22:55 Uhr)
- Trettmann - Insomnia (15 Beiträge / Letzter am 24.03.2023 - 22:26 Uhr)
- Trettmann - Trettmann (34 Beiträge / Letzter am 09.10.2019 - 15:41 Uhr)
- Trettmann - #DIY (37 Beiträge / Letzter am 04.08.2019 - 20:06 Uhr)