Sufjan Stevens - The greatest gift mixtape: Outtakes, remixes & demos from 'Carrie & Lowell'

Asthmatic Kitty / Cargo
VÖ: 24.11.2017
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Das Nachwort
Es ist eine Aussage, die mir gleichermaßen leicht wie schwer über die Lippen geht, und mit Sicherheit bin ich damit nicht alleine, wenn ich sage: Ich bin noch nicht über "Carrie & Lowell" hinweg. Sufjan Stevens' siebtes Album, diese vertonte Versöhnung mit seiner verstorbenen Mutter, ein Manifest auf seine Kindheit, der möglicherweise intimste Einblick ins Leben des mittlerweile 42-Jährigen, der ansonsten nicht gerade mit privaten Details hausieren geht – es hat etwas in mir ausgelöst, das ich auch heute, rund zweieinhalb Jahre nach seiner Veröffentlichung, abzuschütteln nicht in der Lage bin. Zudem lässt es mich rätseln, ob ich das überhaupt will. Zu schön tönen diese sanften, beinahe zärtlichen Melodien, zu behutsam wirken die Erzählungen, die vor meinem inneren Auge vorbeiziehen, als wäre ich selbst dabei gewesen, damals in Oregon, am vierten Juli, unter der Auslegerbrücke. Zu realistisch scheint dieses Gefühl, dass Stevens ein alter Freund ist, den auch ich kumpelhaft früher schon Subaru nannte.
All das hat "Carrie & Lowell" geschafft, und noch mehr. Weil es tatsächlich wie ein altes, verstaubtes Familienalbum daherkam, in dem ich auch heute noch gern blättere. Und weil es offenbar auch vielen anderen Menschen in Stevens' Hörerschaft genauso erging, legte dieser nach: "The greatest gift mixtape: Outtakes, remixes & demos from 'Carrie & Lowell'" ist das Nachwort. Es ist der Anhang an das Hauptwerk, die allerletzten, vergilbten Seiten mit jenen Fotos, die im Nachhinein noch aufgetaucht sind, die zwischendrin nicht reingepasst haben, die ein bereits bekanntes Motiv in etwas anderer Position oder leicht verändertem Licht zeigen. Und es trägt den passenden Namen: Das Teil ist in der Tat ein Geschenk, und Stevens' Musik verschönert so nicht nur die bevorstehenden Feiertage, sondern gleich die ganze Welt.
Wie er das schafft, spielt kaum eine Rolle – keines der zwölf Stücke ist ein euphorischer Glücksbringer, sondern sie orientieren sich an der melancholischen Grundstimmung des Referenzalbums. Und doch komme ich erneut kaum umhin, mich selig lächelnd dieser Sanftmut hinzugeben. Das von James McAllister alias 900X bearbeitete "Fourth of July" bekommt durch Synthies und den im Vergleich zum Original beinahe wuchtigen Computerbeats eine interessante Note verpasst, als würde jede Silbe überdeutlich ausgesprochen werden anstatt gedankenversunken wie 2015. Die iPhone-Demo-Version von "John my beloved" büßt nichts von seiner ursprünglichen Schönheit ein, sondern behauptet sich gerade dank dieses nicht makellosen Erscheinens, und das von Helado Negro in ein chorales Ambient-Kostüm gesteckte "Death with dignity" wirkt in seiner Reinkarnation sogar noch verhuschter und sorgt dementsprechend für spürbare Gänsehaut. Wenn sich im Mittelteil mehrere gespenstische Stimmen über diese unverkennbare Pianomeodie legen, um sie herumtanzen, mit ihr spielen, bahnen sich die folgenden, längst bekannten, im Hirn geradezu eingebrannten Zeilen nur tränenerstickt ihren Weg aus der Kehle: "I forgive you mother, I can hear you / And I long to be near you."
Dennoch gibt es auf "The greatest gift mixtape: Outtakes, remixes & demos from 'Carrie & Lowell'" auch Neues zu hören, und stellenweise wird klar, warum die jeweiligen Stücke es seinerzeit nicht auf das Album geschafft haben. An der Qualität liegt es freilich nicht: "The hidden river of my life", mitsamt der messerscharfen Aussage "Abuse has left me on my side" wäre mit seiner experimentellen Verworrenheit schlicht fehl am Platz gewesen, wohingegen der nicht mal ganz zwei Minuten lange Quasi-Titeltrack "The greatest gift" eher eine Ergänzung bildet als wirklich neue Einblicke zu vermitteln vermag. Der stärkste neue Song ist der Opener "Wallowa Lake monster", das mythologische Andeutungen mit seiner ureigenen, persönlichen Familiengeschichte verwebt, bis die Grenze zwischen Traum und Realität verblasst, so wie es auch Fotos nach einigen Jahren tun. Ein milchiger Schleier legt sich über das Geschehen, bis die Konturen nicht mehr ganz deutlich sind. Das Wesentliche aber, die Erinnerung, bleibt. So wie diese Liebe. Darüber werde ich nie hinweg kommen. Hoffentlich.
Highlights
- Wallowa Lake monster
- Death with dignity (Helado Negro remix)
- John my beloved (iPhone demo)
Tracklist
- Wallowa Lake monster
- Drawn to the blood (Sufjan Stevens remix)
- Death with dignity (Helado Negro remix)
- John my beloved (iPhone demo)
- Drawn to the blood (Fingerpicking remix)
- The greatest gift
- Exploding whale (Doveman remix)
- All of me wants all of you (Helado Negro remix)
- Fourth of July (900X remix)
- The hidden river of my life
- City of roses
- Carrie & Lowell (iPhone demo)
Gesamtspielzeit: 46:34 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
AndréTM |
2017-12-20 21:03:39 Uhr
Tolles Review! Und eine verdiente 8/10 |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27979 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-12-20 20:49:01 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Loketrourak Postings: 2645 Registriert seit 26.06.2013 |
2017-12-19 10:41:33 Uhr
Großartiges Album. |
Irmela |
2017-11-24 11:35:56 Uhr
Toller Typ, patente Mucke. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34197 Registriert seit 07.06.2013 |
2017-11-23 00:13:23 Uhr
Ach, das ist ja das ganze Album. :D |
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Referenzen
Iron & Wine; William Fitzsimmons; Nick Drake; Tim Buckley; José González; Elliott Smith; John Martyn; Damien Rice; Vashti Bunyan; Damien Jurado; Ron Sexsmith; Sun Kil Moon; Red House Painters; Heatmiser; Fionn Regan; Great Lake Swimmers; Kings Of Convenience; My Morning Jacket; Sophia; Denison Witmer; Wilco; Andrew Bird; Bon Iver; Tim Hardin; J. Tillman; Alasdair Roberts; Vetiver; Simon & Garfunkel; Bob Dylan; The Mountain Goats; Songs:Ohia; Loney, Dear; M. Ward; Adem; Boy Omega; Bright Eyes; Sparklehorse; Joni Mitchell
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