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Warhaus - Warhaus

Warhaus- Warhaus

PIAS / Rough Trade
VÖ: 13.10.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Liebe zu Sein

Bleibt die Liebe aus, dann erschieß' mich. Erdrücke mich doch, wenn sie da ist. Bei Maarten Devoldere sind das nicht einmal Extreme. Nein, da mag er noch so burschenhaft, so verschmitzt lächeln, da auf dem Plattencover. Seine zweite, selbstbetitelte, also nach Namen seines Solo-Projekts betitelte Platte, ist ein Liebesgraus. Zu dem er tänzelt. Wie im saloppen Shangi-La von "Love's a stranger". So ist sie nicht da, ist die Liebe fremd, verpufft, das Phantasma der Kunst, welches so nichtssagend in irgendwelche Bücher gepresst wird. Oder eben vertont wird. Bei Devoldere ist die Liebe ein Seinsgrund, die einzig wahre Berechtigung, sich durchzuquälen, durch den Tag, die noch härtere Nacht, so beschreibt er es. Das meint er wie Leonard Cohen, da klingt er stark nach Leonard Cohen und singt auch wie ein Cohen – was diesen nur noch stärker vermissen lässt.

So zu croonen, nahe dem Brummen, als müsse vertuscht werden, wie schlecht hier eigentlich gesungen wird; so zu übertünchen, mit den James-Bond-Streichern in "Control"; so mit den Begriffen um sich zu hauen, der Lolita (Nabokov!), der Seele (überhaupt!), dem Baby (Sie! Sie! Sie!), immer zwischen dem Quäntchen Himmel, wo sie ist, und der klaffenden Hölle, aus der er hochblickt – das ist "Warhaus". Geworden. Das Debüt war eine Verheißung, eine grundsolide. Hier naht die Erfüllung. Die sogar mit der eigenen Monotonie spielt, quasi auf einer Meta-Ebene, den sich wenig wechselnden Tonarten, dem gemächlich bleibenden Tempo, dem kontemplativen Gesang. Devoldere singt, um sich erst darüber klar zu werden, wie und wer er eigentlich ist, wie wenig er sich mag und wie er, so bescheuert zittrig über sich als mickriges Menschlein, nicht mal an die dargereichte Brust fassen mag ("Kreusch").

Die Touringband von Devolderes Gruppe Balthazar half aus. Dass Balthazar in Belgien oder den Niederlanden angeblich größer als Coldplay sind, das sei einfach mal eingeworfen. Das Maßgebliche an "Warhaus" ist aber der weibliche Gesang. Er wird nie dominant, er ist ein Wispern, eine Zweitstimme im Hintergrund, die so bleibt, als fasziniere sie sich nur hierbei, als wäre sie die Sehnsucht, die, sobald sie deutlich wird, an allem Tollen verliert. So grummelt es, genauer: er, weiter, wie in "Fall in love with me". Du weißt, dass ich Dich nie, nie, niemals, Dich in mich verlieben lassen kann. Würde. Darf. "Warhaus" inszeniert diese Abstufungen. Ein Leiden für den Leidenwillen. In dem Fall ganz nach Schopenhauer, wie hier gelesen von Michel Houellebecq: "Die Welt ist eine widrige Angelegenheit, etwas, das es besser nicht gäbe; innerhalb der Welt bildet das Reich des Lebendigen einen Raum gesteigerten Leidens, und das menschliche Leben, seine vollendetste Form ist zugleich die leidvollste." Tröstet das? Houellebecq sagt mit Schopenhauer ja. Jeder Genuss, jede Begierde sind endlich, also relativ. Das ist diese Egal-Haltung. Warum sich ums Leben sorgen? Keiner überlebt.

Devoldere widerspricht. Nur die Lust ist Leben. Nur der Eros ist lebenswert. Und als Gottheit sowieso absolut. Cohen war in seinen frühen Jahren ähnlich. "No such high / That it's high enough / That you and I / Can rise above." Das könnte von einem ganz frühen, nicht ganz so poetischen Cohen stammen. Tut es aber nicht. Und im Verlauf des Albums hinterlässt "Warhaus" sehr nachdenklich: Sein anfangs gehauchtes, verführerisches "Love" steht, dann bald, einer Liebe gegenüber, die aus den Untiefen des Kehlkopfes gekratzt wird. Das ist schon in "Bang bang" zu hören, dem Swinger mit Blechkapelle. Es ist nicht die Blöße der Erotik. Devoldere sucht Gravitas. Auch ein wenig die Bestätigung, dass er nicht vollkommen falsch liegt, wenn er sich abarbeitet, weil ihm nichts anderes einfällt, als diese schmachtende Scham. Noch eine Kindermelodie inmitten von "Everybody", damals die Unbekümmertheit, heute in vino veritas. In eros veritas. In Warhaus veritas.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • Love's a stranger
  • Control
  • Kreusch

Tracklist

  1. Mad world
  2. Love's a stranger
  3. Well well
  4. Control
  5. Dangerous
  6. Bang bang
  7. Everybody
  8. No such high
  9. Keusch
  10. Fall in love with me

Gesamtspielzeit: 43:33 min.

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User Beitrag

myx

Postings: 4640

Registriert seit 16.10.2016

2017-11-03 10:28:38 Uhr
Sehr schönes Album, zurecht eine 8/10 und im Wettstreit um das AdW. Aus einer Reihe toller Songs ragen für mich "Love's A Stranger" (kommt auf meine Jahresliste) und "Dangerous" heraus, nicht zuletzt wegen des fantastischen Einsatzes der Rhythmus-/Schlaginstrumente und der tiefen Streicher. Das ganze Album hat einen herrlich gemächlichen Swing, von dem man sich gerne davontragen lässt.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2017-11-01 21:55:50 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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