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Lina Tullgren - Won

Lina Tullgren- Won

Captured Tracks / Cargo
VÖ: 22.09.2017

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Gitarren auf Spatzen

Der Begriff "Ektoplasma" bezeichnet eine Substanz oder spirituelle Energie, die bei einem Medium während einer Séance aus den Körperöffnungen tritt – das schreibt die englische Wikipedia sinngemäß über den paranormalen Schmodder, den die meisten am ehesten noch aus "Ghostbusters" kennen. Natürlich ist das Humbug, doch die Symbolkraft dieses Prozesses scheint Lina Tullgren ausgereicht zu haben, um auf dem Cover ihres Debütalbums der Ektoplasma-Fotographie des frühen 20. Jahrhunderts zu huldigen. Sie hätte kaum ein besseres Bild wählen können, denn "Won" ist musikalisch wie inhaltlich ein Selbstfindungsalbum, auf dem die 23-Jährige ihre eigenen Geister konfrontiert und auf der Suche nach sich selbst Gedanken und Gefühle nach außen trägt, die zuvor tief in ihrem Inneren verborgen waren.

"I am all the wiser now / Now that I accept my fate" singt sie im eröffnenden "Asktell", ehe die Drums lospoltern und den zuvor ruhigen Song unerwartet beschleunigen. Es ist nicht ganz klar, welches Schicksal genau gemeint ist, aber Unsicherheit ist sowieso ein Leitmotiv auf "Won": "Do you know what love looks like?" fragt sie im spärlichen, tief berührenden "Face off" und auch, wenn die Singer-Songwriterin anders als auf ihrer Debüt-EP "Wishlist" mittlerweile von einer kompletten Band unterstützt wird, hat ihre Musik nichts an Intimität eingebüßt. Der Hörer befindet sich in einem kleinen, aber gemütlichen Proberaum in Maine, beobachtet Tullgren und Mitstreiter beim ungezwungenen Zocken und hört in den leisen Momenten sogar die Verstärker rauschen. Auf der Suche nach ihrer musikalischen Identität ist die Künstlerin hier bei einer weniger greifbaren, abstrakteren Version von Angel Olsen angekommen, bei der die E-Gitarre in mindestens genau demselben Maße als Sprachrohr fungiert wie die Texte.

Bei Tullgrens zwar zweifelsfrei schönen, jedoch auch etwas wenig charismatischen und dünnen Stimme ist die Fokussierung auf ihr Saiteninstrument ein Segen. "Fitchburg State" entwickelt sich vom New-Wave- zum Postrock-Song und wieder zurück, während sich das unglaublich intensive "Red dawn" zunächst von hallenden Vocals tragen lässt, um in einem immer leiser werdenden Feedback-Rauschen zu enden. Im von einer Slide-Gitarre unterstützten "Perfect" droht ein plötzlicher Ausbruch Tullgrens Organ fast vollständig zu begraben, doch sie kämpft nicht dagegen an, sondern begreift die Gitarrenwände als in diesem Moment essenziellen Bestandteil des Soundbilds, um im richtigen Moment wieder selbst die Oberhand zu gewinnen. Das hochdynamische Zusammenspiel von Mensch und hölzernem Resonanzkörper wird zum großen Highlight von "Won" und lässt sich auch als stellvertretend für die Akzeptanz der inneren Dämonen deuten, die hier zutage treten.

Strukturell bewegen sich die Songs oft abseits klassischer Strophe-Refrain-Schemata und griffiger Melodien, wodurch nach den ersten Durchgängen noch wenig hängenbleibt. Erst spät kristallisieren sich Höhepunkte wie das wundervoll melancholische Kleinod "Slow" heraus, doch diese Abstraktheit gerät nicht zum Nachteil, sondern sorgt für ein sehr in sich stimmiges Gesamtbild. Sie stellt in Kombination mit den Gitarren nicht nur eine weitere Shoegaze-Referenz her, sondern fügt sich auch mit Tullgrens unkonkret über Liebe, Freundschaft und Zuhause kreisenden Lyrics wunderbar zusammen. Der letzte Feinschliff mag noch fehlen und ein paar ihrer Weisheiten sind etwas trivial, doch "Won" erzeugt über die komplette Spielzeit eine spezielle, zwischen Nahbarkeit und Distanz pendelnde Atmosphäre, die immer in irgendeiner Form bewegend ist. Und jetzt entschuldigt bitte den Rezensenten, er hat noch ein paar imaginäre Termine auf einer gewissen Proberaum-Couch in Maine.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Face off
  • Red dawn
  • Slow

Tracklist

  1. Asktell
  2. Perfect
  3. Face off
  4. Red dawn
  5. Fitchburg State
  6. Slow
  7. Get lost
  8. Summer sleeper
  9. Fate
  10. Static burn

Gesamtspielzeit: 32:38 min.

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Armin

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2017-10-18 22:27:28 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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