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Protomartyr - Relatives in descent

Protomartyr- Relatives in descent

Domino / GoodToGo
VÖ: 29.09.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Ton, Schweine, Sterben

Können die überhaupt was schlecht machen? Drei Kerben haben die Detroiter von Protomartyr bereits in ihren Diskografie-Schrein schlagen können, der vierte Streich "Relatives in descent" steht kurz bevor und schon beim ersten Hördurchgang beantwortet sich die Eingangsfrage fast schon von allein. Denn auch gut zwei Jahre seit ihrem letzten Album, dem großartigen "The agent intellect", überzeugen Frontmann Joe Casey und seine Kollegen abermals mit ihrer gelungenen Mischung aus dreckigen, verwaschenen Noise- und glasklaren, hartkantigen Post-Punk-Elementen. Der Ton macht die Musik, und in Protomartyrs Fall ist diese nach wie vor äußerst vorzüglich.

Bestes Beispiel dafür ist etwa das ultramelodische "Windsor hum", in dem Casey immer wieder versichert, das "everything's fine" sei, während sich eine leicht twangige Gitarre in den Strophen mit purem, schrammeligen Saitengemetzel im Refrain abwechselt. Das ist großes Kino für die Ohren, so auch das stets zwischen Gut und Böse wandelnde "Here is the thing", das nicht nur mit mehreren Lautstärkestufen, sondern vor allem auch mit immer wieder hin- und herspringenden Geschwindigkeiten spielt. Und doch wirkt "Relatives in descent" zu keinem Zeitpunkt planlos oder desorientiert. Im Gegenteil: Die Band weiß immer genau, was sie macht. Und warum.

Die bereits erwähnte Mischung ist ohnehin so ein bisschen das Erfolgsrezept des Quartetts. Ein aufs Ziel fokussierter Verstand verbindet sich mit stürmischer Urgewalt, bis jegliche Ordnung über den Haufen geworfen ist und das gewohnte Umfeld einem Schweinestall gleicht. Auch textlich gibt es bei Protomartyr wie üblich weder halbe Sachen noch leichte Kost, wenngleich Casey sich selbst bei morbiden Themen eine gewisse Ironie nicht verkneifen kann: Im zuerst aufstachelnden, dann hinterrücks attackierenden Opener "A private understanding" erzählt die Band von einem angeblich wahren Ereignis aus Elvis Presleys Armeezeit – der Gute habe Stalins Gesicht in einer vorbeiziehenden Wolke sehen können –, nur um die Story auf niederschmetternde wie absurde Art enden zu lassen: "Then the wind changed the cloud into his smiling Lord / And he was affected profoundly / But he could never describe the feeling / He passed away on the bathroom floor."

Noch düsterer wird es zumindest anfänglich in "My children", das sich nur langsam aufbaut, während Casey im Hintergrund halb mit sich selbst, halb in die anonyme Menschenmenge hineinschimpft, bis kurz vor der zweiten Hälfte endlich der Knoten platzt und Protomartyr geschmeidig durch die Indie-Rock-Clubnacht grooven. Fast ebenso gelungen lässig-zackig kommt "Don't go to Anacita" daher, während "The chuckler" sich als euphorischer Mitzieher verkleidet, am Ende aber doch eigentlich viel lieber das Kommando als Leader geben möchte. Mit ganz anderen Problemen beschäftigt sich der melancholische Achtzigerjahre-New-Wave-Pop von "Night-blooming cereus", quasi Protomartyrs Version von The Cure, das sich mit viel Herz, aber noch mehr Stirnrunzeln durch den nächtlichen Großstadt-Dschungel kämpft. Und apropos Kampf: Den führt das abschließende "Half sister" hauptsächlich mit sich selbst. Das windet und sträubt sich, am Ende gewinnt und verliert es gleichermaßen. Unentschieden? Nicht wirklich.

(Jennifer Depner)

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Highlights

  • A private understanding
  • My children
  • Windsor hum
  • Night-blooming cereus

Tracklist

  1. A private understanding
  2. Here is the thing
  3. My children
  4. Caitriona
  5. The chuckler
  6. Windsor hum
  7. Don't go to Anacita
  8. Up the tower
  9. Night-blooming cereus
  10. Male plague
  11. Corpses in regalia
  12. Half sister

Gesamtspielzeit: 43:28 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

u.x.o.

Postings: 561

Registriert seit 29.08.2019

2021-01-23 19:35:50 Uhr
Dank Shame läuft die Relatives in den letzten zwei Wochen wieder sehr regelmäßig, das Album ist so grandios! Jedes Mal wenn Half Sister läuft könnt ich fast heulen.. der Song ist schier überlebensgroß. (Aber die Platte hat eh so einige richtig tolle Songs, man könnte beinah jeden Track hervorheben. Was für eine Band!)

Matjes_taet

Postings: 2264

Registriert seit 18.10.2017

2020-07-24 14:34:56 Uhr
Wow, wie gut ist denn "A private understanding" bitte!?
wilson (ausgeloggt)
2018-09-04 12:00:52 Uhr
NEU! Protomartyr & SPRAY PAINT(!) - Irony Prompts A Party Rat 7" (Collabo, keine Split!)

sehr gutes teil!
@Kapitän
2018-07-02 06:36:59 Uhr
Seit wann werden EPs hier rezensiert? Eben.
Kapitän Frägerich
2018-07-02 00:10:57 Uhr
Kommt von der EP noch ne Rezi?!?
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