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Zola Jesus - Okovi

Zola Jesus- Okovi

Sacred Bones / Cargo
VÖ: 08.09.2017

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Gut gelitten

Die kleine Nika Roza Danilova und die große Stadt: ein Experiment, das man getrost als gescheitert betrachten kann. Spätestens, seit die stimmlich große, aber mit 1,52 Meter nicht eben hoch gewachsene Amerikanerin ihrer zwischenzeitlichen Residenz Los Angeles des Trubels überdrüssig den Rücken kehrte und sich lieber in einem Haus im Wald niederließ – mit Ehemann, Katze und jeder Menge Kummer im Gepäck. Im Freundeskreis häuften sich Selbstmordversuche und Krebserkrankungen, sie selbst kämpfte zwei Jahre lang mit Depressionen – harter, aber zur musikalischen Eigentherapie bestens geeigneter Stoff für ihr fünftes Studioalbum als Zola Jesus. Und falls der Vorgänger "Taiga" tatsächlich eine Pop-Platte gewesen sein sollte, kann es sich nur um einen Ausrutscher gehandelt haben. Denn für "Okovi" verbietet sich dieser Begriff.

Dass der Titel des eröffnenden Instrumentals "Doma" auf Russisch "zu Hause" bedeutet, bezieht sich einerseits auf Danilovas neuen Wohnsitz Merrill, Wisconsin, wo sie bereits ihre Kindheit verbrachte, andererseits auf ihre Rückkehr zum strengen Soundgewand, in dem schon das pastorale "Conatus" steckte. Orchestrale Wucht, tiefste Beats und tiefhängende elektronische Wolken zeigen in einem Moment die Zähne und drohen im nächsten an der Zerbrechlichkeit von Körper und Geist sowie an den Zwängen des Daseins zu verzweifeln. Letztere illustriert auch der Albumtitel mit dem slawischen Wort für Fesseln. Immerhin: "Exhumed" tut sein Möglichstes, diese zu sprengen, wetzt scharfkantige Streicher an fieberhaftem Stakkato, und wo Laibach für eine ähnlich neoklassizistische Industrial-Breitseite noch "Vier Personen" brauchten, ist Danilova sich selbst genug.

Ebenso bei "Soak", einem furchterregenden Serienkiller-Schauermärchen, in dem die Protagonistin den nahenden Tod mit offenen Armen empfängt, während die Rhythmen in unheilvoller Schlaufe um sich selbst kreisen und ein sanft perlendes Piano jenseitige Entrücktheit addiert. Besser kann man eine gewaltsame Version von Kate Bushs Epos "The ninth wave", in dem ein Mann vor dem Ertrinken eine ganze "Hounds of love"-Plattenseite lang seinen Frieden mit sich selbst und der Welt macht, kaum auf handliche Tracklänge zusammenstutzen. Die Akzeptanz des eigenen Ablebens aus freien Stücken ist dabei sowohl ein beinahe rührselig pflichtbewusst bedientes Motiv aus dem Gothic-Universum als auch die letzte Konsequenz ins Extrem vorangetriebener Selbstermächtigung. Beinahe der beste Song auf "Okovi".

Wäre da nicht das so beschwörende wie spannungsgeladene "Siphon", das Synthie-Streicher mit digitalem Knall aufscheucht. Klangebenen verschieben sich gespenstisch, Danilovas Organ changiert zwischen anklagend und ermutigend, jeder unverhofft eingezogene Break ist ein aussetzender Herzschlag. Erst nach der Hälfte wagt das doppelbödige "Veka" mit knarzigen Basslinien und schmatzendem Uptempo einen verstohlenen Blick Richtung Tanzfläche – der endgültige Ausbruch "Remains" lässt aber bis kurz vor Schluss auf sich warten. Ein Stück, das nicht unbedingt nötig gewesen wäre, um die musikalische und seelische Vehemenz von "Okovi" einigermaßen versöhnlich zu vollenden, aber ein angenehm leichtfüßiger Nachschlag auf einem Album, das mal wieder klarstellt: Das Leiden hat viele Gesichter. Und Zola Jesus ist eins seiner schönsten.

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Exhumed
  • Soak
  • Siphon
  • Veka

Tracklist

  1. Doma
  2. Exhumed
  3. Soak
  4. Ash to bone
  5. Witness
  6. Siphon
  7. Veka
  8. Wiseblood
  9. NMO
  10. Remains
  11. Half life

Gesamtspielzeit: 39:58 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Rezi
2017-09-01 01:26:27 Uhr
Liest sich wie eine 8/10.

Aber gut geschrieben, ohne den üblichen textfüllenden Mumpitz.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28634

Registriert seit 08.01.2012

2017-08-31 23:23:11 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?
static
2017-08-04 17:38:26 Uhr
Neues Video zu "Exhumed":

https://www.youtube.com/watch?v=S4s-kGT5bFo

My favourite goth chick besides Chelsea Wolfe.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 28634

Registriert seit 08.01.2012

2017-07-11 19:36:07 Uhr - Newsbeitrag
28.10.17 - Köln - Luxor
20.11.17 - Nürnberg - Z-Bau
22.11.17 - Berlin - SO36
23.11.17 - Leipzig - UT Connewitz
25.11.17 - Frankfurt - Mousonturm
29.11.17 - Hamburg - Uebel & Gefährlich

Da ist das Ding!
2017-07-11 19:11:07 Uhr
Und der nächste Knüller:

https://www.youtube.com/watch?v=85mc1GiMexA
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