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Primal Scream - XTRMNTR

Primal Scream- XTRMNTR

Creation / Sony
VÖ: 31.01.2000

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Donna Summer auf Speed

Kopf und Mastermind der britischen Band Primal Scream ist der Schotte Bobby Gillespie: 35 Jahre alt, extrem dünn, läuft mir unfrisierten Haaren herum und wird in Großbritannien als Star gefeiert. Nach seinem Motto gefragt läßt er wissen: "Mit unserer Musik wollen wir genau dorthin, wo noch niemand vor uns war und unsere Fans möglichst mitnehmen."

Genau dies haben Primal Scream auch mit fast allen ihrer Alben geschafft. Das große Meisterwerk, welches heute zu den besten Alben der 90er gezählt wird, gelang ihnen 1991: Auf "Screamadelica" verschmolzen die aktuellsten Musikstile wie Rave oder Acid-House zu sphärischen Hymnen, und die können einen heute noch begeistern. Das nächste Album "Give out, but don't give up" präsentierte Rock'n'Roll der Sechziger im Jahre 1994 - das hört sich zwar nicht nach neuen Wegen an, doch auch die anderen englischen Bands versuchten sich wieder an "richtigem" Rock mit poppigen Melodien, einige Leute nannten den Stil daher Britpop. 1997 erschien "Vanishing Point": hier war Dub der zeitgemäße Einfluß und extrem locker und relaxt hörte man Dub auch gerade in den Clubs Europas, u.a. von Kruder & Dorfmeister oder der Asian Dub Foundation. Primal Scream waren dem Zeitgeist stets auf der Spur.

Schon der Titel ihres sechstem Studioalbums läßt nun Heftiges erwarten: "XTRMNTR". Das klingt brutal als ob eine Maschinenpistole auf Dauerfeuer geschaltet ist. Den Namen der ersten Singleauskopplung hat die Plattenfirma nur für Deutschland von "Swastika eyes" (Hakenkreuz-Augen) in "War pigs" umgeändert, wahrscheinlich um möglichen Mißverständnissen oder Konfrontationen aus dem Weg zu gehen. Dieser Song mit eindeutig antifaschistischem Text könnte in einer 70er-Jahre-Disco, die 3 Jahrzehnte später wiedereröffnet wird, der Dauerbrenner werden. "Swastika eyes" ist extrem gut tanzbar und hört sich, laut Bassist Gary Mounfield, an wie "Donna Summer auf Speed". Der 7 Minuten lange Track wird auf derselben CD auch gleich noch einmal als Remix von den Chemical Brothers dargeboten.

"Man sollte wissen, daß es uns darum geht, wie es ist, derzeit in Großbritannien zu leben: nämlich abgefuckt. So wie überall anders auch." meint Bobby Gillespie. Und genau das ist der Inhalt von "XTRMNTR": Endlose, rasende, fast wahnsinnige Wut gegen den Zustand dieser Welt. Gegen Faschismus, gegen Hippies (Titel des ersten Tracks: "Kill all hippies"), gegen die USA, gegen Militär, gegen das Wegschauen und Verdrängen. Die Platte ist "eine Kriegserklärung, zu der man tanzen kann" (Gary Mounfield). Voller Kraft reißen einen die Songs mit, bei "Accelerator" zerplatzt einem vor lauter verzerrtem Krach fast der Kopf.

Obwohl die meisten Titel oft nur in 5 Minuten runtergeschrieben wurden, ist das alles nicht nur simpler Lärm oder überdrehtes Getöse. Es ist die einzige Art von Musik, die in einer Welt der Massenmedien und der Volksverdummung, der Computer und der Technik wirkliche Existenzberechtigung hat. Denn nur so kann Musik des neuen Jahrtausends klingen: Alle nur denkbaren Einflüsse verarbeitend, extrem schnell und gewaltsam, so wie unsere Welt heute wirklich ist. Primal Scream halten sich nicht an niedlichen, netten und artigen Songs auf, denn die Welt und unser Leben sind es ebenfalls nicht.

Die musikalischen Eigenheiten von "XTRMNTR" kann man mit einem 1000-teiligen Puzzle vergleichen, das jemand vor Entrüstung auf den Boden geschleudert hat. Jedes Teil steht für einen eigenen Musikstil, und jetzt auf dem Boden verbinden sie sich zu etwas Neuem. Jeder Track ist auf diese Art vollgepackt mit völlig neuen Effekten und Strukturen. Ganz hinten taucht ab und zu ein Fetzen oder ein dreimal verzerrter Ton auf, der einen an ein Instrument, einen anderen Song oder sogar an einen ganzen Stil erinnert. Funk, Jazz, Rock 'n Roll, harter Techno, House, irgendwie scheint alles kleingehackt und doch gleichzeitig und übereinander vorzukommen. Weiterhin beweisen Primal Scream, daß Improvisation (wie im Jazz) auch im Bereich der elektronischen Musik funktioniert. Leise und ruhig wird die Musik nur bei der Ballade mit dem programmatischen Titel "Keep your dreams". Und damit haben sich Primal Scream erneut selbst übertroffen: Mit "XTRMNTR" wird das alte Jahrtausend beendet und kann das neue beginnen.

(Steffen Krautzig)

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Highlights

  • Swastika eyes
  • MBV Arkestra (If they move kill \'em)
  • Keep your dreams

Tracklist

  1. Kill all hippies
  2. Accelator
  3. Exterminator
  4. Swastika eyes
  5. Pills
  6. Blood money
  7. Keep your dreams
  8. Insect royalty
  9. MBV Arkestra (If they move kill 'em)
  10. Swastika eyes (Chemical Brothers Remix)
  11. Shoot speed kill light

Gesamtspielzeit: 60:24 min.

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User Beitrag

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 29443

Registriert seit 07.06.2013

2022-10-23 15:03:56 Uhr
Geb mir derzeit gern Bootlegs aus der Zeit 99-01. Was das für ein Abriss war... unfassbar. Diese Mischung aus Groove und Noise... mega.

Enrico Palazzo

Postings: 3143

Registriert seit 22.08.2019

2021-07-14 15:44:21 Uhr
Ist auch bei meinen Top50-Alben der 2000er im oberen Drittel dabei. So kaputt und SO gut!

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 29443

Registriert seit 07.06.2013

2021-07-14 14:16:02 Uhr
Der Drum-Einstieg beim Opener, das Gezerre von "Accelerator", der Bass vom Titeltrack, der Noise-Jazz von meinem wohl absoluten Highlight "Blood money", die beruhigende Verschnaufpause "Keep your dreams", der wieder grandiose Drum-Einstieg bei "MBV Arkestra"... ich liebe das Ding. Das ist gleichzeitig so schön drüber und daneben und trotzdem on point.

Enrico Palazzo

Postings: 3143

Registriert seit 22.08.2019

2019-10-27 22:24:00 Uhr
Watt?

Herr

Postings: 1768

Registriert seit 17.08.2013

2019-10-27 22:03:07 Uhr
Muss da nicht erst noch die Küche sauber gemacht werden?
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