Grizzly Bear - Painted ruins

RCA / Sony
VÖ: 18.08.2017
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Architekten des Sounds
Grizzly Bear sind eine Band, die es meisterlich versteht, das Zeitgefühl der Hörer aus den Angeln zu hebeln: Seit jeher sind ihre Songs auf verschiedenen Ebenen seltsam entrückt, der Gesang wirkt oft jenseitig, gespensterhaft, die Instrumentierung ihrer Kompositionen ist warm und organisch, pulsierend gar, mit mindestens einem Bein verwurzelt in der reichhaltigen Musikgeschichte, während sich das andere freistrampelt. Die ersten beiden Alben der ursprünglich aus Brooklyn stammenden Band, "Horn of plenty" und "Yellow house", waren nahezu ungreifbar und verhuscht, entzogen sich einer stichhaltigen Kategorisierung. Mit ihrer dritten Platte "Veckatimest" folgte künstlerisch wie kommerziell dann tatsächlich der Durchbruch. Und die letzte Veröffentlichung "Shields" war ohnehin über jeden Zweifel erhaben und gilt nicht grundlos als eines der herausragenden Alben aus dem Jahr 2012. "Painted ruins" macht im Wesentlichen da weiter, wo Grizzly Bear zuletzt aufgehört haben, es gibt keinen sichtlichen beziehungsweise hörbaren ästhetischen Bruch: Nach wie vor streben die vier Herren, die mittlerweile größtenteils in Los Angeles leben, nach Harmonien, verschachteln diese aber nur zu gerne in ihren Songs, die mehr sein wollen als ein netter Zeitvertreib: Im besten Sinne Kopfhörermusik, die durch die immer kürzer werdenden Tage trägt.
Schon der kurze Opener "Wasted acres" verwischt sämtliche Spuren von Zeit und Vergänglichkeit, während die Instrumente warm und klar aus den Boxen perlen und eine barocke Samtheit ausstrahlen. Die Singleauskopplung "Mourning sound" mausert sich dagegen zum waschechten Hit, der mitsamt seinem stoischen Beat nach vorne prescht: eine Marschrichtung, die man von Grizzly Bear in dieser Direktheit tatsächlich nicht gewohnt ist. Gesungen wird die Nummer von Ed Droste und Daniel Rossen, auch wenn man oftmals den Moment des Stimmwechsels verpasst, so harmonisch fügt sich hier jedes Puzzleteil ins Gesamtbild. Das folgende "Four cypresses" beginnt dann zunächst mit einem repetitiven Drumbeat, doch sobald Stimmen und Saiten die Szenerie betreten, weicht sich die militärisch wirkende Strenge auf, blubbert sich der Song lavagleich über die Ziellinie. Erwähnenswert ist dabei schon, wie sehr es Grizzly Bear über die Jahre gelungen ist, ein nahezu einzigartiges Sounddesign zu erschaffen, irgendwo zwischen verträumtem Indie-Rock, freigeistigem Folk und neoklassizistischen Farbtupfern. Ihre Stücke sind architektonische Meisterwerke, Kathedralen und Tunnel, Aquädukte und imposante Hochhäuser. Letzteres trifft insbesondere auf "Three rings" zu, das sich in fantastische, schwindelerregende Höhen schraubt.
Der Mittelteil von "Painted ruins" bestätigt den Eindruck, wie sehr Grizzly Bear bei sich selbst sind, oft klingen ihre Songs im besten Sinne gedankenverloren: Alleine wie das bezeichnende "Losing all sense" zwischen den Jahrzehnten wandert, von The Beatles zu David Bowie und noch weiter, ist beeindruckend. Später, in der zweiten Albumhälfte, nehmen Droste, Rossen und Co. das Tempo raus, verdichten ihre Kompositionen, in die man sich durchaus auch mal hineinkämpfen muss, so engmaschig und komplex sind die Arrangements. Fürs traumwandlerische "Systole" durfte erstmals Bassist Chris Taylor die Leadvocals übernehmen, was tatsächlich eine neues Steinchen ins bunte Mosaik der Band legt: Über stoisches Picking und wabernde Keyboardflächen lässt Taylor seine Phrasen streifen, im Hintergrund ertönt dazu ein nervös tippelndes Schlagzeug. Mit diesem Stück strecken Grizzly Bear ihre Fühler zaghaft weiter in Richtung Psychedelic-Folk. Das abschließende "Sky took hold" erklingt dagegen wieder orchestraler, fülliger im Sound und zieht einen Strich unter ein Album, das mit "Painted ruins" einen programmatischen Titel trägt. Schönheit und Würde im Abgründigen, vermeintlich Kaputten zu suchen und zu finden: eine weitere Glanzleistung dieser stets bemerkenswerten Truppe.
Highlights
- Wasted acres
- Mourning sound
- Three rings
- Systole
Tracklist
- Wasted acres
- Mourning sound
- Four cypresses
- Three rings
- Losing all sense
- Aquarian
- Cut-out
- Glass hillside
- Neighbors
- Systole
- Sky took hold
Gesamtspielzeit: 48:22 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Old Nobody User und News-Scout Postings: 4003 Registriert seit 14.03.2017 |
2022-04-25 20:33:32 Uhr
Oh, das ist mir auch neu.Schon seit 2020.Wäre sehr schade wenn es tatsächlich vorbei wäre. Rossens Solo Output kommt für mich nicht an die Grizzly Bear Sachen ran.Das waren alles mindestens gute Alben und jedes mit absolut spannenden Songs |
nörtz User und News-Scout Postings: 15778 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-04-25 20:15:47 Uhr
Hatte ich gar nicht mitbekommen:https://en.wikipedia.org/wiki/Grizzly_Bear_(band)#Ed_Droste's_departure_and_hiatus_(2020%E2%80%93present) Rossen elaborated in a further interview: "I think where we are now is just a very natural — you know, Grizzly Bear, I joined that band at the end of 2004, so you consider how long that was. The stretch that we were active was like 14 years. And I think if anything it’s just like, people change, lives change. I really respect bands and artists that can keep it together forever, but I think we all just wanted to do some different things with our lives for a little bit. That doesn’t mean the band’s over. It’s not. There’s no official line on that. We’re not broken up or anything. It’s just, you know, Ed is pursuing a different career. He went back to school. He wanted to do that. He was having not the most productive time on the road. It was not great for him. It wasn’t really great for any of us by the end, honestly. It was just… we wanted to do something different." |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20172 Registriert seit 10.09.2013 |
2022-01-05 23:35:19 Uhr
Muss die Band mal wieder mehr hören. Das Album hier finde ich etwas schwächer als die drei Vorgänger, aber das bewegt sich alles auf enorm hohen Niveau, unter 8/10 ist da nichts. Neben erwähntem "Three rings" mag ich auch noch "Mourning sound", "Losing all sense", "Neighbors" und den Closer sehr. |
Unangemeldeter Postings: 1661 Registriert seit 15.06.2014 |
2022-01-05 23:31:13 Uhr
Würde ich größtenteils auch unterschreiben, allerdings gibt's für mich mit Cut-Out und v.a. Three Rings zwei klare Highlights, der letztere ist sogarsicher in meiner Top-3 der Band. Unfassbarer Spannungsbogen.Bei mir wohl Veckatimest > Painted Ruins > Shields, die Abstände sind aber klein. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10526 Registriert seit 26.02.2016 |
2022-01-05 23:10:00 Uhr
Wollte was zum Album schreiben, aber lest einfach das Posting von saihttam, da steht alles drin. :-)7,5 würde ich geben. |
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Referenzen
Daniel Rossen; Songs Of Green Pheasant; Papercuts; Fleet Foxes; Father John Misty; Deerhunter; Lotus Plaza; Atlas Sound; The Impossible Shapes; DM Stith; Mercury Rev; Canon Blue; The Zombies; Love; Crosby, Stills, Nash & Young; The Rural Alberta Advantage; Animal Collective; Our Brother The Native; CocoRosie; Jim O'Rourke; Department Of Eagles; The Olivia Tremor Control; Grandaddy; The Double; The Incredible String Band; The Beach Boys; John Fahey; The Skygreen Leopards; Yeasayer; The Flaming Lips; August Born; Danielson; Super Furry Animals; Sparklehorse; Iron & Wine; Calexico; The Microphones; The Delgados; Final Fantasy; Anywhen; Tindersticks; Midlake; Modest Mouse; The Apples In Stereo; James Orr Complex; Currituck Co.; The Universe; The Morning Benders; Gorky's Zygotic Mynci; Yo La Tengo; Blur; Radiohead; Broken Social Scene
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