Steven Wilson - To the bone
Caroline / Universal
VÖ: 18.08.2017
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Heute ein König
Weia, da war aber jemand angefressen. Etwa zehn Monate ist es her, da ließ Schlagzeuger Marco Minnemann seiner Enttäuschung und Verärgerung über seinen langjährigen Auftraggeber Steven Wilson via Facebook freien Lauf. Der Anlass: Wilson hatte Minnemann und seinem Bandkollegen Guthrie Govan offenbar nicht mitgeteilt, dass die Alben "The raven that refused to sing (And other stories)" und "Hand. Cannot. Erase." mit Gold ausgezeichnet wurden und sie konsequenterweise nicht zur Preisverleihung eingeladen. Um die Story abzukürzen: Der hochbegabte deutsche Drummer teilte Wilson mit, er möge sich diese goldene Platte an einen nicht näher benannten Ort schieben und ist nun Ex-Drummer. Gut, der verbale Testikeltritt wurde später wieder gelöscht, doch eines hätte Minnemann wissen sollen: Steven Wilson ist und bleibt absoluter Alleinherrscher, was seine Musik angeht. Vollkommen egal, ob dabei nun die erfolgreiche Band Porcupine Tree über die Wupper geht oder nicht, vollkommen egal, ob er dadurch als Nerd abgestempelt wird.
Mit diesem Verständnis im Hinterkopf muss man sich grundsätzlich jeder Platte des schmalbrüstigen Briten nähern. Denn alles, was zählt, ist das, was er in genau diesem Moment für sich und für niemand anderen sonst ausdrücken möchte. Und genau deshalb beginnt "To the bone" nur scheinbar floydisch-düster, sondern mündet in einen durchaus eingängigen Rocker, der bisweilen wohlige Erinnerungen an die Zeiten von Platten wie "Lightbulb sun" weckt und im Refrain mit einer gottgleichen Hook aufwarten kann. Vor allem setzt das den Weg fort, der schon auf "Hand. Cannot. Erase." begonnen wurde, nämlich die Abkehr vom sperrigen Artrock, der "The raven that refused to sing (And other stories)" zu dieser Göttergabe machte, und die Hinwendung zu mehr Pop.
Moment mal, Pop? Ganz genau. Denn lupenreiner solcher ist das folgende "Nowhere now", das in seiner Eingängigkeit alle Register der Radiotauglichkeit zieht, ohne jedoch glücklicherweise in jener Beliebigkeit zu verschwinden. Deutlich besser, nämlich schlicht großartig ist das schon vor Monaten als Single veröffentlichte "Pariah", für das Wilson erneut auf die Gesangsdienste von Ninet Tayeb zurückgriff und das als bittersüßes Duett mit jedem Durchlauf mehr verzaubert. Nur unwesentlich weniger ansprechend ist "The same asylum as before", das auf seine Art Ecken und Kanten setzt. Denn während die Falsett-Vocals nicht jedermanns Sache sein dürften, kracht's im Mittelteil zwischendurch vom Feinsten, nur um im Anschluss die Harmonien des Refrains von sanften Streichern zur Ruhe betten zu lassen. Genau diese Spannungsfelder, diese Ambivalenzen innerhalb der Songs sind die Essenz von Wilsons Kunst, die Fähigkeit, den Hörer nie in Sicherheit zu wiegen. Vor ein paar Jahren war es halt noch im Artrock-Gewand, davor durchaus auch mal Metal, jetzt eben im eingängigen Pop-Rock. Mit "Permanating" allerdings dürfte es der Meister übertrieben haben. Klar, der kleine Mann aus Hemel Hampstead hat noch nie einen Hehl aus seiner Vorliebe für ABBA und frühe Talk Talk gemacht, aber hier dürfte sowohl Benny Andersson und Björn Ulvaeus als auch Mark Hollis die Zornesröte ins Gesicht steigen. Oder um es klar zu sagen: Selbst ein Steven Wilson kann beim Songwriting mal gepflegt in den Abort greifen. Wie gut, dass "Black tapes" oder auch "People who eat darkness" den Groll hierüber umgehend wieder in Wohlwollen verwandeln. Und "Song of I" oder "Detonation" haben mit Pop mal überhaupt nichts mehr zu tun, sondern sind schlicht hintergründig-melancholische Kunst.
Eines schafft Steven Wilson mit seinem fünften vollständigen Solo-Album mit Sicherheit: "To the bone" wird sicherlich nicht unwidersprochen, nicht ohne Diskussion den Weg in die Plattenschränke antreten. Versuchen wir eine Betrachtung aus Wilsons eigener Sicht: Bekanntermaßen ist ihm jeder unreflektierte Musikkonsum ein Graus. Insofern dürfte er seine eigenen Erwartungen vollständig erfüllt sehen, denn das Werk verlangt intensive Beschäftigung trotz teils unverschämter Leichtgängigkeit, trotz dieses erwähnten, hoffentlich einmaligen Ausflugs in den Disco-Pop. Und das ist vielleicht das Überraschendste an dieser Platte, auch wenn die emotionale Wucht, diese alles überstrahlende kreative Energie insbesondere der letzten beiden Alben nicht erreicht wird, wohl auch nicht mehr erreicht werden kann. Kollege Schuder schrieb zur letztjährigen Compilation "Transience", dass der Brite "mühelos dazu in der Lage wäre, ein wunderschönes reines Pop-Album zu machen, wenn er denn wollte." Nun, mit "To the bone" wollte er.
Highlights
- Pariah
- The same asylum as before
- Song of I
- Detonation
Tracklist
- To the bone
- Nowhere now
- Pariah
- The same asylum as before
- Refuge
- Permanating
- Blank tapes
- People who eat darkness
- Song of I
- Detonation
- Song of unborn
Gesamtspielzeit: 59:49 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
nürtz |
2017-09-14 12:55:32 Uhr
trolololol |
nörtz User und News-Scout Postings: 14799 Registriert seit 13.06.2013 |
2017-09-14 12:54:24 Uhr
Ich bin unschuldig. |
Andre3000 |
2017-09-14 12:05:02 Uhr
Jetzt wird hier schon zensiert weil man “elitärer Furzprogger“ sagt?! Plattentests ist immer mehr am Ende seitdem nörtz manisch kommentiert und löscht. |
Neklov |
2017-09-13 19:29:43 Uhr
...wenn seine aktuelle "Popmusik" nicht den klanglichen und emotionalen Ansprüchen genügen kann, dann halt "My Book Of Regrets" im Kopfhörer lauschen und geniessen... |
wer |
2017-09-13 10:03:13 Uhr
Die Synthies bei Pariah find ich eher nervig - die Platte kommt einfach nicht an "Hand.Cannot.." ran |
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Referenzen
King Crimson; Yes; Genesis; Emerson, Lake & Palmer; Pink Floyd; Steve Hackett; Blackfield; No-Man; Porcupine Tree; Storm Corrosion; Riverside; Lunatic Soul; Richard Barbieri; Gazpacho; Nosound; OSI; Chroma Key; Demians; Amplifier; Oceansize; It Bites; North Atlantic Oscillation; Paatos; Anathema; Sigur Rós; Archive; Aereogramme; Antimatter; Quidam; Gentle Giant; Van Der Graaf Generator
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