Goldie - The journey man

Metalheadz / Cooking Vinyl / Sony
VÖ: 16.06.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die alte Zukunft
Was kann uns die Musik von gestern noch heute über das Morgen erzählen? Damals, in den 1990ern, war das ganz schön viel, denn das Jahrzehnt wurde 1995 von Goldies "Timeless" entzwei geteilt. Und die anstehende Zeit frohlockte etwa mit Dub, Jungle, D'n'B. Neue Genres, neue Songs, die schimmerten und glänzten und nach etwas klangen, das andere noch nicht einmal denken konnten. Darauf folgte ein persönlicher Supergau. Bei Joseph Prince aka Goldie schimmerten nur noch die güldenen Zahnimplantate, er saß im Big-Brother-Container, tanzte sich durch Reality-TV-Formate und verkaufte Grills. Die Drogen, der wirre Kopf, das Gefühl, noch etwas sagen zu müssen, auch wenn manchmal die Worte dafür fehlten – das alles hemmte ihn.
"The journey man" ist hingegen die Enthemmung als Überambition: Sein erstes richtiges Album seit knapp zwei Jahrzehnten (ausgenommen, was er als Rufige Kru veröffentlichte), 16 Songs mit beinahe zwei Stunden Spielzeit, es soll (O-Ton) der "große Bruder von Timeless" sein. Im Mittelpunkt steht ein Zwanzigminüter und natürlich der "journey man", Prince alias Goldie selbst. Eine Lebensgeschichte als Doppelalbum oder umgekehrt. Wie er früh groß rauskommen wollte, erst durch Breakdance, dann durch Graffiti-Kunst, wie es ihm dann durch die Musik gelang, er aber trotzdem nicht so recht zufrieden war. Ob ihm da der britische Verdienstorden hilft, den er 2016 verliehen bekam?
Denn zumindest das wird Goldie weiterhin unruhig stimmen: Dass die Musik, die er als Widerstand und Sozialrevolte entwarf, in der er Menschen eine Stimme gab, den Diskriminierten und Gebeutelten, die zuvor verzweifelt nach einer suchten, heute nicht mehr ist als die Hintergrundbeschallung irgendwelcher Berliner Jugendlicher, die cool-unberührt mit den Köppen wippen und an der Wodka-Mate nuckeln. Der Übergang vom Underground in den Mainstream steht Künstlern selten gut, aber Musikrichtungen meistens noch weit schlechter, gerade wenn sie sich durch eine Anti-Haltung gerierte. Kein Wunder, dass Goldie kürzlich gegen Banksy und dessen überteuerte T-Shirts giftete und dabei womöglich auch gleich die Identität des (bisher) anonymen Streetart-Künstlers preisgab.
Das ist jetzt ziemlich weit ausgeholt, aber auch wichtig, um "The journey man" zu verstehen, weil es jeden, der gewillt ist zuzuhören – was bei knapp zwei Stunden wirklich gewollt werden muss – erst einmal erschlägt. Elektronische Musik und polyrhythmische Beats werden mit so ziemlich allem gemischt, was gerade einfällt: Britischem Soul aus den 80ern, analoger Synthesizermusik, ähnlich der von Gary Numan, dann gibt es Momente der klassischen Musik, es folgen Fusion-Jazz, Ambientspuren wie von Brian Eno und eben Prog-Rock, wie im allzu langen "Redemption". Diese Mixturen sind wild, aber auch nicht übermäßig neu und die Schar an Gastsängern, etwa Natalie Duncan oder José James, stammen aus diesem Goldie-typischen Repertoire an tiefen, reichen, souligen Stimmen.
Und hier zeigt sich ein Schwachpunkt, der Goldie straucheln lässt. Über sich selbst meinte er mal, er sei weniger Produzent, sondern ein Regisseur, der Dinge zusammenbringt und koordiniert. Da "The journey man" jedoch eher ruhigere Songs und Balladen versammelt, vom Trip-Hop "Mountains" über Lounge-Soul von "The mirrored river" oder dem Streicherbeet in "The ballad Celeste", gibt es wenige Möglichkeiten für einen Regisseur. Er kann nicht recht inszenieren und lenken, dafür fällt auf, dass sein Skript, oder hier: das Songwriting, nicht so großartig ausgefallen ist. Vielleicht ist es auch ein Übersetzungsfehler: Wollten auf "Timeless" Akustikinstrumente wie elektronische klingen (eben das wäre eine Inszenierung), gibt es auf "The journey man" allzu viele elektronische Instrumente, die so tun, als könnten sie die unmittelbare Nähe und Weichheit von akustischen bieten.
Denn Goldies besondere Fähigkeit, auch mit "Timeless", war es, stets an der Oberfläche zu polieren und dieser zu einem besonderen Glanz zu verhelfen. Gibt es wenig Oberfläche, wie bei "The journey man", kann wenig poliert werden. Und zurück bleibt leider elektronische Musik, die noch schlechter altert als Frischwurst und gezapftes Bier. Die Großstadtsehnsucht, wie im pulsierenden "Prism" und dem holprigen "Triangle", bleibt eine flatterhafte. Früher wollten alle in die Stadt, heute lesen diese Menschen "Landlust". Was zu Goldies besten Zeiten nach dem Morgen klang, ist heute von vorgestern. Und Zukunftsvisionen, ob gute oder schlechte, gibt es mittlerweile spannendere.
Highlights
- Horizons
- Redemption
- Run, run, run
Tracklist
- CD 1
- Horizons
- Prism
- Mountains
- Castaway
- The mirrored river
- I adore you
- I think of you
- Truth
- CD 2
- Redemption
- Tu viens avec moi?
- The ballad Celeste
- This is not a love song
- The river mirrored
- Triangle
- Tomorrow's not today
- Run, run, run
Gesamtspielzeit: 68:45 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28615 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-07-26 23:20:58 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28615 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-03-06 17:45:21 Uhr - Newsbeitrag
Goldie dreht mit Stephen Graham das erste Video zu seinem neuen Doppel-Album"The Journey Man"!Liebe Freunde, liebe Medienpartner, es war ja fast schon eine kleine Sensation, als Drum'n'Bass-Pionier Goldie vorletzte Woche sein erstes Studio-Album seit fast 20 Jahren ankündigte. Am Wochenende erschien nun das erste Video zum Track "I Adore You" vom am 16.06. erscheinenden Album "The Journey Man". Im Clip ist der britische Schauspieler Stephen Graham (u.a. Snatch, Broadwalk Empire) als Gefängnisinsasse zu sehen, der auch hinter Gittern versucht, die Beziehung zu seiner Tochter so gut es geht zu pflegen. Graham und Goldie lernten sich bereits bei den Dreharbeiten zu "Snatch" kennen, wo sie sich anfreundeten. Hier geht es zum Video. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28615 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-02-17 20:40:25 Uhr - Newsbeitrag
"The Journey Man" - Das neue Doppel-Album des UK-Rave-Pioniers Goldie!Liebe Freunde, liebe Medienpartner, “This new music reflects the most honest, and bold, insight into who I really am and where my heart wants to be.” Mit diesen Worten kündigt der Songwriter, DJ, Produzent, Visual Artist und Schauspieler Goldie sein neues Doppel-Album “The Journey Man” an. Ausgewählte Gastmusiker unterstützen Goldie die Vision des Albums auf 16 Tracks umzusetzen. “The Journey Man” erscheint am 16. Juni auf Goldies eigenem Label Metalheadz via Cooking Vinyl. Einen ersten Eindruck liefert der erste Track "I Adore You", den es hier zu hören gibt. Der musikalische Pionier und Innovator – der mit seinen frühen Veröffentlichungen die Entwicklung von Jungle und Drum ‘n’ Bass maßgeblich beeinflusste – hat eine eine einzigartige Geschichte zu erzählen: Ob von den Kinderheimen in den West Midlands über Stationen in New York und Miami als einer der gefeiertsten britischen Graffiti-Künstler hin zu der Liste außergewöhnlicher musikalischer Kooperationen mit unter anderem David Bowie, Noel Gallagher und KRS One. Bei all diesen unterschiedlichsten Lebensphasen gelang es Goldie immer sich selbst treu zu bleiben. Goldie sagt: “Ich betrachte Musik nicht wirklich aus Produzentensicht, sondern eher wie ein Regisseur. Man erschafft gemeinsam mit Performern, Arrangeuren und Technikern etwas Besonderes, etwas Magisches. Es ist wie Alchemie. Die Noten, die Musik, die Texte, sie sind alle in meinem Kopf und jedes Element muss kommuniziert und zum Leben erweckt werden, um einen Track daraus entstehen lassen zu können. Ich bin schon immer durch die großen Filmregisseure wie Stanley Kubrick und PT Anderson inspiriert worden und wenn man genauer darüber nachdenkt, haben sie einen ähnlichen Ansatz. Sie beginnen mit einer Vision und nutzen diese dann um mit Hilfe der Schauspieler, Kameramänner und Cutter den fertigen Film daraus zu kreieren.” Zu den Kollaborateuren auf “The Journey Man” gehört Natalie Duncan, die in der dreiteiligen BBC-Reihe “Goldie’s Band By Royal Appointment” entdeckt wurde und später den Gesang für Goldies Single “Freedom" lieferte. Weitere Sänger auf diesem Album sind Terri Walker, Tyler Lee Daly, Natalie Williams, José James, Naomi Pryor sowie Goldie's Frau Mika Wassenaar Price. Tracklist: Part one: 01. Horizons 02. Prism 03. Mountains 04. Castaway 05. The Mirrored River 06. I Adore You - Goldie vs. Ulterior Motive 07. I Think Of You 08. Truth ft José James Part two: 09. Redemption 10. Tu Viens Avec Moi? 11. The Ballad Celeste 12. This Is Not A Love Song 13. The River Mirrored 14. Triangle 15. Tomorrow’s Not Today 16. Run Run Run |
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Referenzen
Rufige Kru; Tricky; Wax Doctor; Source Direct; Photek; Fabio; Alex Reece; Adam F; Omni Trio; Grooverider; Shy FX; Kendall Jones; High Contrast; 4hero; Dillinja; Calibre; Digital; Klute; Commix; E-Z Rollers; A Guy Called Gerald; The Qemists; Gorillaz; Blame; Ed Rush & Optical; London Elektricity; Break; Ed Rush; Squarepusher; Black Sun Empire; Sub Focus; Andy C; Danny Byrd; Saul Williams; Chase & Status; State Of Mind; Jubei; Noisia; A$AP Rocky; Burial; Fatboy Slim; Monophona; Red Snapper; Roni Size Reprazent
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