Girl Ray - Earl Grey

Moshi Moshi / Rough Trade
VÖ: 04.08.2017
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Curl day
Was für ein Start ins Erwachsenenleben: "Earl Grey", das Debüt des blutjungen britischen Trios Girl Ray, ist die vielleicht passendste Vertonung des deutschen Sommers 2017. Hier und da schwül-schwitzig, an anderer Stelle dramatisch-düster und stets mindestens melancholisch. Ein Album, zu dem es sich sowohl in Badeklamotten unter der Sonnenmarkise, im Windbreaker unterm Regenschirm oder gar in Ruhe unter der heimischen Decke aushalten lässt. Dabei ist es letzten Endes sogar völlig egal, ob draußen die Sonne erbarmungslos auf die Erde strahlt oder der Regen für lauter kleine Schwimmbäder in den Straßen sorgt – der je nach Laune zwischen Sehnsucht und Trotz schwankende Indie-Pop der drei gerade mal 18-jährigen Mädels ist allzeit bereit.
Dass ihre Musik dabei immer wieder zum Träumen einlädt, ist Poppy Hankin, Sophie Moss und Iris McConnell nicht nur überaus bewusst, sondern auch genau so geplant: Politische Statements und dergleichen sucht man lieber woanders, Songs wie "Don't go back at ten" sind vielmehr Alltagsbeobachtungen zum Identifizieren statt Botschaften zum Anstacheln: Die Beziehung ist vorbei, der Abgrund tief, die Freunde aber glücklicherweise längst zur Stelle. Musikalisches Kopftätscheln ist das, und manchmal braucht man ja auch nicht viel mehr. Ähnlich verhält es sich mit dem grandiosen "Where am I now", das sich im letzten Viertel des Albums fast ein wenig zu verstecken scheint, mit Sechzigerjahre-Harmonien und gar leicht psychedelisch anmutender Atmosphäre aber vollends zu überzeugen weiß.
Kaum anzumerken ist Girl Ray jedenfalls, dass sie in dieser Konstellation erst seit wenigen Jahren gemeinsam musizieren. Bestens aufeinander eingespielt und im Einklang miteinander funktioniert auch das vergleichsweise riskante Experiment, in die Mitte des Albums einfach mal einen Dreizehnminüter wie den Quasi-Titeltrack "Earl Grey (Stuck in a groove)" zu packen. An solchen Späßen sind schon ganz andere, erfahrenere Künstler gescheitert, die Londonerinnen hingegen werden für ihren Mut belohnt: Langsam schaukeln sie das gute Stück immer weiter hoch, holen sie Blasinstrumente dazu, bis sie augenzwinkernd andeuten, in tosendem Chaos zu versacken – doch weit gefehlt. Als wäre nichts gewesen, fahren sie alles schlagartig wieder runter und probieren sich erneut an geselliger Ruhe. Immer diese Jugend mit ihrer Ironie.
Andernorts laden die drei schließlich ganz unironisch zur gemeinsamen Ausgelassenheit ein: Der Opener "Just like that" gibt sich an der Oberfläche naiv-unschuldig, während "Stupid things" zwischen jugendlicher Frische und dem altmodischen Bedürfnis nach Beständigkeit tänzelt. Das wirkt durchaus charmant, und dank Hankins glasklarer und immer ein bisschen im Vordergrund stehenden Stimme glatt vertraut. Oder zumindest nahbar: Gerade will man mit ihr leiden, wenn sie in "Preacher" so zerbrechlich und deprimiert die ersten Zeilen singt, bis schließlich doch noch der Knoten platzt und sich die fiesen, grauen Regenwolken fürs Erste wieder verziehen. Und doch setzen wir lieber auf Sicherheit und bleiben noch eine Weile unter der Decke liegen, träumen eine Runde weiter und genießen diesen Soundtrack des Sommers, des Herbstes, des Winters, des Frühlings. "Earl Grey" passt einfach. Und die beste Nachricht? Das hier ist erst der Anfang.
Highlights
- Preacher
- Earl Grey (Stuck in a groove)
- Where am I now
Tracklist
- Just like that
- Monday Tuesday
- Stupid things
- Don't go back at ten
- Cutting shapes
- Preacher
- A few months
- Earl Grey (Stuck in a groove)
- Where am I now
- Stupid things (reprise)
- Ghosty
- Waiting ages
Gesamtspielzeit: 51:17 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 4079 Registriert seit 16.10.2016 |
2017-10-13 16:49:46 Uhr
Schön, dass hier noch jemand Gefallen an dieser tollen Newcomer-Band findet. Deine Bezeichnung "Geplänkel" bei dem erwähnten Song trifft den Nagel auf den Kopf. :) |
audiollama Postings: 13 Registriert seit 24.11.2013 |
2017-10-13 10:55:24 Uhr
Ich find die Band auch ziemlich cool und relaxed. Hab mir gestern Abend nochmal "Stupid Things" angehört, stimmt aber was du schreibst. Dieses "geplänkel" am Anfang.. wirkt so lässig, aber trotzdem gut bei dem Stück. Deine Lieblingssongs decken sich mit meinen. Sind schon paar richtig gute Songs drauf. |
myx Postings: 4079 Registriert seit 16.10.2016 |
2017-10-11 11:53:57 Uhr
Dieses Album macht wirklich Freude. Girl Ray klingen so herrlich unbekümmert, als würden sie die zwölf Songs aus dem Stegreif spielen. Wie etwa im wackeligen Klavierteil von "Stupid Things (reprise)", bevor das Lied mit Gitarre und Klingklang wundervoll dahinperlt ...Auch den Dreizehnminüter "Earl Grey (Stuck in a Groove)" meistern die jungen Damen locker, Melodie- und Instrumentenwechsel sorgen für Abwechslung. Meine Highlights sind "Preacher" und "Don't Go Back at Ten" (mit diesen tollen, herzerfrischenden Gitarrenschlenkern). |
myx Postings: 4079 Registriert seit 16.10.2016 |
2017-08-04 14:01:04 Uhr
"Where Am I Now" und besonders "Preacher" haben mich umwickelt und lassen mich nicht mehr los ... Wunderbare Neuentdeckung - vielen Dank! ;-)Die Rezi macht auch Lust aufs Album. Wie wohl der "wagemutige" Dreizehnminüter klingen wird? Bin gespannt. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 24572 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-07-26 23:20:44 Uhr - Newsbeitrag
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Surftipps
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- https://www.theguardian.com/music/2017/mar/06/new-band-of-th e-week-girl-ray-no-142-lo-fi-pop
- http://diymag.com/2017/02/15/ray-of-light-girl-ray-neu-inter view
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