RAC - Ego
Counter / Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 14.07.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Helmuts Visionen
"Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen", polterte einst der im Nachgang zu seiner Kanzlerkarriere überaus beliebte Berufspolitiker und -raucher Helmut Schmidt. Valides Datenmaterial über die Anzahl von Visionären in der Politik und in Arztpraxen ist schwer aufzutreiben. Dass aber die Musikbranche von so einigen Künstlern mit visionärer Kraft durchzogen ist, gilt unter Fans als ausgemacht. Nach dem Genuss des Zweitwerks von André Allen Anjos aka RAC steht allerdings fest: Der grammyveredelte Produzent gehört eher nicht zu den fiebrigen Visionären, sondern vielmehr zu den kühlen Pragmatikern. Dass einen "Ego" dennoch nicht kalt lässt, ist eher seinen produktions- und soundtechnischen Skills, denn einer außergewöhnlichen ausdrucksstarken Songwriter-Kunst zu verdanken. Was beileibe nicht schlecht, aber auf Albumlänge auch nicht unbedingt durchgehend außergewöhnlich gut ist.
RAC lässt bei 13 der 14 Tracks eine auf den ersten Blick recht illustre, auf den zweiten aber doch etwas zu homogene Schar an mehr oder weniger bekannter männlicher und weiblicher Goldkehlchen auf seine Beats trällern. Dabei gehört die Auftragsarbeit von Weezers Rivers Cuomo mit "I still wanna know" noch zu den kernigeren Varianten eines Albums, welches durch seine sich durchgängig abwechselnden Sänger eher Compilation-Charakter besitzt. Allein betrachtet, würde wohl niemand Cuomos Track mit obligatorischem Gitarren-Solo als Rock-Song bezeichnen. Im Kontext von Elektropop-Schlichtheiten wie "Nobody" oder "Unusual", denen im produktionstechnischen Windkanal sämtliche Ecken und Kanten abgeschliffen wurden, sticht der Singalong-Song mit echten Hitqualitäten allerdings wieder als Headbanger heraus.
Der äußerst ohrgerechten Hitdichte ohne wirkliche Aussetzer kann zum einen anerkennend Respekt gezollt werden. Zum anderen eskaliert RAC das Adjektiv "schön" zu einem derartig glatten Vertreter eines aus H&M-Umkleidekabinen bekannten Soundteppichs, dass einem das Honigkuchenpferdgrinsen schnell zu einem verkrampften Verkäuferinnenmund gefriert. "The beautiful game" oder "Johnny Cash" wissen dem Genre trotz unwiderstehlicher Mitsumm-Qualitäten nicht wirklich etwas substanziell Neues hinzuzufügen. Auch "Find a way" oder der etwas brav geratene Opener "Fever" wollen zwar die ganz große Emotion, wecken aber aufgrund einer doch sehr schablonenhaften Herangehensweise eher mittelgroßes Achselzucken. Glücklicherweise schiebt eine Nummer wie "This song" mit Rostam von Vampire Weekend die zuvor aufgestellten Fragezeichen weg und punktet souverän mit den gewohnten Trademarks auf der Habenseite. Und wenn flirrende Synthies mit The-Postal-Service-Harmonien um die Wette glucksen, lässt "No one has to know" den Hörer in Sommerfantasien schwelgen. "Be" bringt zwar ebenfalls keinen Bazillus in den keimfreien Pop, fügt dem Schema F des zu Musik gewordenen Bacardi-Feelings aber mit quietschenden und leicht degenerierten Samples ebenso eine eigene Note hinzu wie das knuffig, verschlafene "Heartbreak summer".
Einzeln herausgepickt, funktioniert ein Großteil der Tracks ganz wunderbar und würde auf einer Melt-Festival-Spotify-Playlist in keinster Weise negativ auffallen. Doch trotz singulär gelungener bis wirklich guter Nummern, ist die Dauerpräsenz des Happy-IKEA-Feelings auf Albumlänge etwas zu viel des gut Produzierten. Statt aufwühlender Höhepunkte gleiten die 14 Songs teils dermaßen sediert durch die Tracklist, dass man sich ein wenig an den frisch lobotomierten Jack Nicholson in "Einer flog über das Kuckucksnest" erinnert fühlt. Auch wenn der Mann einst Visionen hatte, bleibt ihm am Ende lediglich ein leicht trauriges Grinsen.
Highlights
- I still wanna know (feat. Rivers Cuomo)
- Be (feat. Jordan Corey)
- Heartbreak summer (feat. K.Flay)
Tracklist
- Fever (feat. KNA)
- I still wanna know (feat. Rivers Cuomo)
- Nobody (feat. Chaos Chaos)
- Unusual (feat. MNDR)
- This song (feat. Rostam)
- No one has to know (feat. Joywave)
- The beautiful game (feat. St. Lucia)
- Johnny Cash (feat. Scavenger Hunt)
- It's a shame (feat. Pink Feathers)
- Be (feat. Jordan Corey)
- Heartbreak summer (feat. K.Flay)
- Find a way (feat. ALICE MK)
- Heavy (feat. Karl Kling)
- End
Gesamtspielzeit: 60:00 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
eric Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 2857 Registriert seit 14.06.2013 |
2017-07-20 16:21:35 Uhr
Hier müsste eigentlich auch Bleachers in die Referenzen. Single ist gut! :) |
The Vatican presents: The Popeboys |
2017-07-19 21:58:22 Uhr
Hab mir bei dem Bandnamen auch andere Musik erhofft. :( |
Ian Stuart Donaldson |
2017-07-19 21:57:09 Uhr
Rock Against Communism? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27648 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-07-19 21:48:15 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27648 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-06-27 11:20:18 Uhr - Newsbeitrag
|
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
The Postal Service; Lemâitre; The Acid; MNDR; St. Lucia; Totally Enormous Extinct Dinosaurs; Tanlines; Miike Snow; Passion Pit; Chromeo; Robert DeLong; M83; MGMT; Empire Of The Sun; The Naked And Famous; Cut Copy; Madeon; Phantogram; Is Tropical; Purity Ring; Sebastian; Calvin Harris; Tensnake; Little Boots; Phantogram; Flume; Chvrches; Icona Pop; Little Dragon; We Have Band; Clock Opera; David August; Junior Boys; Lo-Fi-Fnk