Andreas Dorau - Die Liebe und der Ärger der anderen
Staatsakt / Caroline / Universal
VÖ: 07.07.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Keine Nebensache
"Hauptsache ich!" – ein großspuriger Ausspruch, den man vom bescheiden vor sich hin werkelnden, gern zwischen Bücherstapeln sitzenden Andreas Dorau gar nicht gewohnt ist. Doch auch er feierte 2014 seinen 50. Geburtstag. Und beging ihn mit einem Jubiläums-Konzert inmitten von Freunden und Weggefährten auf der Bühne sowie auf erwähnter Compilation, die zwar jede Menge Hits der absonderlichen Genres Krank-Pop und Anarcho-Schlager enthielt, mit der sich der Hamburger auf dem Cover als Feldherren-Büste aber auch gleich wieder von sich selbst distanzierte. Denn da draußen gibt es Menschen in mannigfaltigen, teils bizarren Nöten, von denen Doraus Lieder oft erzählen. Raus "Aus der Bibliothèque" und rein in die Fährnisse des Lebens. Und natürlich der Emotionen. "Kein Liebeslied"? Allenfalls noch dummes Geschwätz von vorgestern.
Falls jemand von "Die Liebe und der Ärger der anderen" allerdings einen Leitfaden für den Umgang mit dem zartesten aller Gefühle erwartet hat, zieht Dorau ihm in 80 leicht überdimensionerten Minuten schnell den Zahn: Nach Konsultation mehrerer Gelehrter und listigem Zitat aus Pet Shop Boys' "Love is a bourgeois construct" kommt er direkt eingangs zum matten Schluss "Liebe ergibt keinen Sinn" – und tröstet sich mit einem Ohrwurm in der Tradition von "Größenwahn" oder "Flaschenpfand". "Liebe in Dosen"? Nicht lieferbar, wie eine auf dieses Produkt angesprochene Verkäuferin in grenzdebilen Reimen zu parodiertem Kraftwerk-Elektro oder ernsthafter Fraktus-Parodie versichert. Und "Liebe kaputt"? Das kommt davon, wenn man zum gleichnamigen, fast zu offensichtlich geradeaus heizenden Uptempo-Track beim Tanzen ausgerechnet aufs Herz fällt.
Stilistische Vielfalt, zu der zahlreiche Gäste ihren Beitrag liefern – Luca Anzilotti von Snap!, Renommier-Produzent Moses Schneider und Andreas Spechtl von Ja, Panik sind nur die bekanntesten. Am lautesten: Stereo Totals Françoise Cactus, die im köstlichen Mini-Drama "Ein trauriger Tag" pöbelnd das Ableben ihres Hundes Hitler beklagt, während Polizist Dorau maulig dagegenhält – eine daddelige C64-Sequenz entspannt die Situation kaum. Ähnlich tragisch, wiewohl weniger stimmig: der Sommer-Shuffle "Ossi mit Schwan", in dem zwei Münchener einen Brandenburger mit einem Wasservogel verprügeln. Was im Übrigen tatsächlich geschah. Der Brite würde von "fowl play" kalauern, Dorau hingegen erweist sich als feinfühliger Chronist des Absurden. Und auch wie er musikalische Stichproben aus den letzten drei Jahrzehnten durchhechelt, verdient Respekt.
Da entführt "Dies ist nicht real" in ein Variété mit psychedelischem Gebläse, und "Liebe Bürger" bleibt zu staubtrockenem E-Funk drei Tage wach, wobei die Elektronik im großartig grummelnden Analog-Klopfer "Ein Stern mit drei Zacken" besonderen Druck macht – Schattenboxen mit Luxuskarossen inklusive. "Imitier mich" wiederum geht mit "Was ist Musik" von Justus Köhncke in die Glitzer-Disco und stellt die gleiche Identitätsfrage wie die Quetschkommoden-Sequenz des LSD-haltigen "Ein Pseudonym" und das schleifende "Das bist nicht Du": Was bin ich, und wenn ja, wie viele? Neue-Deutsche-Welle-Fossil, Dancefloor-Kubist, nasenhaariger Pop-Großmeister? Eine klare Antwort bleibt dieses Album letzten Endes schuldig – und tut deswegen gut daran, sich nicht zu wichtig zu nehmen. Von Nebensache Dorau kann jedoch auch weiterhin keine Rede sein.
Highlights
- Dies ist nicht real
- Ein trauriger Tag
- Liebe in Dosen
- Ein Stern mit drei Zacken
- Imitier mich
- Ein Pseudonym
Tracklist
- CD 1
- Liebe ergibt keinen Sinn
- Du bist nicht da
- Dies ist nicht real
- Ich sehe Farben
- Ein trauriger Tag
- Liebe in Dosen
- Stadt aus Musik
- Ossi mit Schwan
- Das bist nicht Du
- Radiogesicht
- CD 2
- Liebe Bürger
- Ein Stern mit drei Zacken
- Du stehst auf meiner Liste
- Im Laufe einer Nacht
- Imitier mich
- Sybilla Maria Merian
- Liebe kaputt
- Ein Pseudonym
- Ich sehe schwarz
- So etwas ähnliches wie Liebe
Gesamtspielzeit: 80:24 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Loketrourak Postings: 2233 Registriert seit 26.06.2013 |
2017-07-12 14:02:04 Uhr
...wird tatsächlich wie geplant die Top 100 erreichen - eher im mittleren Bereich und vermutlich nur für eine Woche, aber dennoch. Und klar, man braucht diese Platte. |
quasinebenbei |
2017-07-12 11:40:51 Uhr
Eine sehr unterhaltsame Platte. Habe köstlich gelacht. Liebenswerter Mann. Sehr schön: "Die Leute sagen, ich hab' ein Radiogesicht. Die Stimme dazu hab' ich leider nicht."Leute, beachtet diese Platte! :D * push * |
Kritik ausserhalb des Sechszehners |
2017-06-29 14:42:11 Uhr
Hahahahahaha! Danke Loketrourak! |
Loketrourak Postings: 2233 Registriert seit 26.06.2013 |
2017-06-29 14:34:57 Uhr
ganz Falscher Ansatz @KidK. |
Kritik innerhalb der Kritik |
2017-06-29 14:01:59 Uhr
Die Stelle wo Okayer Computer sowas schreibt gefällt mir nicht so. Aber der Text im Gesamten isst gut.Die Dramatik des Textes ist gut. Aber wo er dann so anfängt krudes Zeug zu schreiben das gefällt mir nicht so gut. Ein mittleres Statement. |
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