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Big Thief - Capacity

Big Thief- Capacity

Saddle Creek / Cargo
VÖ: 09.06.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Herz gestohlen

Ein junges Paar verliebt sich Hals über Kopf und bekommt ein erstes Kind, unterstützt werden die beiden von einer starken Gemeinde. Diese entpuppt sich jedoch als streng religiöser Kult, also bricht die junge Familie mittellos auf und lebt in einem Van. Sie schlägt sich durch, muss immer wieder umziehen, bis sie endlich Geld für ein Haus zusammengespart hat. Doch der Vater hält es für göttliche Bestimmung, mit der mittlerweile fünfköpfigen Familie auf der Straße zu leben, also wirft er alles Geld für einen Bus raus. Die Familie droht auseinanderzufallen. In den Nächten beobachtet die älteste Tochter ihren Vater immer wieder dabei, wie er über Gitarrenakkorden meditiert, ist fasziniert, übt selbst und beginnt schließlich, mit ihm zu spielen. Die beiden bringen ein gemeinsames Album heraus. Wäre es nun der Feel-Good-Film des Sommers, würde das Album weggehen wie warme Semmeln, finanzielle wie familiäre Probleme lösen und die Tochter zum Popstar machen. Hier handelt es sich allerdings um das wahre Leben von Adrianne Lenker, deren erstes Album mit ihrem Vater sich zwar ordentlich verkaufte, aber nicht sämtliche Konflikte in Wohlgefallen auflöste. Und den eingeschlagenen Weg zum Popstar gab sie danach auf. Manchmal kann sich die erst ernüchternde Realität jedoch im Gegensatz zum Happy End eines Hollywoddfilms als der viel größere Glücksfall herausstellen. Ohne diese Vorgeschichte der Frontfrau Adrianne Lenker gäbe es schließlich weder die Indie-Band Big Thief noch das fantastische Debüt "Masterpiece" noch den Nachfolger "Capacity". Und ohne all das wären Fans von ruhigem Indie-Rock mit Folk-Einflüssen ein Stück weit ärmer dran.

Die Geschichten ihrer Kindheit fließen immer wieder in "Capacity" hinein. Das packende "Mythological beauty" etwa reflektiert, wie Lenkers Mutter sich gefühlt haben muss, als Adrianne ein heruntergefallener Teil eines Baumhauses den Schädel brach. "I was just 5 and you were 27 / Praying don't let my baby die", haucht Lenker in das Mikro, als wolle sie sich für den kurzen Gefühlsausbruch davor entschuldigen, doch am Schluss siegt die verletzliche Bitte: "Do you leave your light on?" Nicht nur an dieser Stelle zeigt Adrianne Lenker, wie man mit Narben, die einem das Leben zugefügt hat, umgehen kann. Auch unter der melodischen Oberfläche der weiteren Songs lauern wie bei "Great white shark" und "Watering" neben verblassten Kratzern auch fisch aufgerissene Wunden. Weil man sich diese nicht nur beim Bau eines Baumhauses holt, sondern auch Familie, Beziehungen, Unfälle, man selbst oder auch Sex dafür sorgen können, hat Lenker so einige, die sie in wunderschöne Songs hüllt, welche viel länger halten als die Wundmale.

Manchmal überdecken die feinen Arrangements von "Objects" oder "Black diamonds" den Schmerz, oft wird er gelindert von poetischen Detailaufnahmen, weil im Kosmos von "Capacity" wirklich jeder Moment festgehalten und geheiligt werden will. Gerade das berührend-nostalgische "Mary" verdeutlicht, wie wichtig jeder noch so kleine Erinnerungsfetzen ist "The sugar rush the constant hush the pushing of the water gush / The marching band when april ran may june bugs fly and push." Und über all dem thront noch "Shark smile", der lässige Road-Trip "90 miles down the road of a dead end dream", was jedoch niemanden kümmert, weil die absurde Fahrt der beiden Liebenden für immer bleibt. Selbst wenn man weiß, wie grauenhaft diese Geschichte endet: Bei Adrianne Lenker wäre man mit eingestiegen, hätte jede Sekunde genossen und selbst der Leitplanke entgegengelächelt.

(Marcel Menne)

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Highlights

  • Shark smile
  • Mythological beauty
  • Haley
  • Mary

Tracklist

  1. Pretty things
  2. Shark smile
  3. Capacity
  4. Watering
  5. Coma
  6. Great white shark
  7. Mythological beauty
  8. Objects
  9. Haley
  10. Mary
  11. Black diamonds

Gesamtspielzeit: 41:40 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Jim Virtute
2018-01-05 00:12:39 Uhr
Vor allem nach mehrmaligen Hören wird es immer besser.So angenehm unaufgeregt, eingängig und authentisch. Ich mag Shark Smile immer mehr.Außerdem mag ich das Coverfoto. Ist sehr einprägsam und ausdrucksstark und ich würde es mir am liebsten an die Wand hängen.Noch interessanter, wird es dadurch das es ein persönliches Bild der Sängerin ist (Ihr Onkel der sie als Baby hält).

Das Vorgängeralbum ist auch toll. Hoffe sie kommen mal in die Nähe.Wo hast du sie gesehen @Der Untergeher?

Der Untergeher

User und News-Scout

Postings: 1862

Registriert seit 04.12.2015

2018-01-04 15:32:06 Uhr
Völlige Zustimmung! Ein Album voller Highlights. Wunderschön, unendlich berührend und dabei so angenehm unspektakulär. Oberflächlich gesehen ist das Album nicht besonders innovativ, das ist aber für die tiefgreifende Wirkung völlig nebensächlich.

Hätte, gerade hier im Forum, mehr Aufmerksamkeit verdient. Live übrigens absolut eindringlich, die Band.

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2018-01-04 13:24:36 Uhr
Wunderschönes und unfassbar beruhigendes Album. Mythological Beauty entspricht genau seinem Titel.
Klpemu
2017-12-24 19:43:53 Uhr
Gerade "Mary" erstmals gehört.
Super.
Oliver
2017-06-17 22:14:50 Uhr
Unbedingt den Song Haley auschecken, Song des Jahres!
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