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Anathema - The optimist

Anathema- The optimist

Kscope / Edel
VÖ: 09.06.2017

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Retourkutsche

Wie herrlich abgedroschen doch so manche Floskel daherkommt. Stillstand sei Rückschritt, so die Binsenweisheit. Demgegenüber phrasenschweint der Volksmund, man müsse einen Schritt zurückgehen, um zwei nach vorne zu machen. Nun, für Anathema sind diese beiden Aussagen offensichtlich nur scheinbar ein Widerspruch. Fakt ist nämlich, dass die Liverpooler mit den überwältigend schönen letzten zwei Studioalben "Weather systems" und "Distant satellites" eine natürliche Grenze erreicht zu haben schienen. Denn noch mehr Gefühl, noch mehr Pathos – und aus dem über Jahre kultivierten Ambient-Rock wäre schlagereskes Gesäusel entstanden. Also Reset, auf zu neuen Ufern. Stopp, nicht ganz so weit. Natürlich nicht zurück zu den Doom- und Death-Wurzeln der frühen Neunziger. Sondern lediglich knapp 16 Jahre zurück in der eigenen Diskografie.

Denn dort, bei "A fine day to exit", liegt die Lösung für den kryptischen Titel des Intros "32.63°N 117.14°W", mit dem das Unternehmen der Familien Cavanagh und Douglas ihr elftes Studioalbum "The optimist" eröffnet. Diese Koordinaten sind exakt diejenigen des Silver Strand State Beach – des Strandes in der Nähe von San Diego, an dem der Protagonist des Albums 2001 verschwand. Offensichtlich nicht für immer, denn man hört eine japsende Person in ein Auto steigen. Am Radio einen Sender suchen. Und bei pluckernden Loops hängen bleiben. Wer oder was nun bei "Leaving it behind" zurückgelassen werden soll, bleibt zunächst unklar. Sicher ist jedoch, dass der erste vollständige Song der Platte erschreckte Gesichter hinterlässt. Bitte, bitte fangt an, wollen sie den Brüdern Cavanagh an den sechs Saiten zurufen, bis sich dann nach knapp zwei Minuten endlich der Spannungsknoten löst und der Regler am Verstärker aufgedreht wird.

Die wahre Brillanz im Sound der Briten liegt allerdings nicht in elektronischen Spielereien, sondern vor allem in Songs wie dem opulenten "Endless ways", das noch ein wenig dem Erfolgsrezept der letzten Platten folgt. Langsam, fast schon quälend baut sich das Stück auf, wäre da nicht der wunderbare Gesang von Lee Douglas, der zunächst über allem zu schweben scheint und später die immer weiter hinzugefügten Schichten zusammenhält. Wohl nur wenige Bands sind zu solchen Stimmungsreisen wie Anathema in der Lage, und das zieht sich erneut wie ein roter Faden durch das Album. Nirgendwo sonst allerdings werden die Ängste, die Sehnsüchte und die Verzweiflung des Protagonisten, laut Bandaussage eine Projektion der eigenen Psyche, so eindrucksvoll offengelegt wie bei "Springfield". Verzweifelt sucht Douglas' Gesang Halt und stellt immer wieder diese eine entscheidende Frage: "How did I get here? / I don't belong here."

Vordergründig mag "The optimist" eingängiger geworden sein, direkter. Doch diese Eingängigkeit ist trügerisch, nach wie vor erfordern die Songs Aufmerksamkeit, damit man alle Facetten zu erfassen vermag. So wie dadurch die Musik Schicht für Schicht auf ihren Kern reduziert wird und genau deshalb tief im Inneren berührt, so kehren die Liverpooler ihr Innerstes nach außen. Wären da nicht das trotz aller Konzentration eher vorbeirauschende "Ghosts" oder das für sich zwar tolle, aber stilistisch nicht ganz homogene "Leaving it behind", die das Album etwas auflockern. Was allerdings wirklich und nachhaltig beeindruckt, ist die vermeintliche Leichtigkeit, mit der Anathema mittlerweile eine großartige Platte nach der anderen produzieren. "The optimist" bildet auf spannende Weise eine Klammer über zwei Alben, die 16 Jahre auseinander liegen, ohne auch nur im Ansatz wie ein Aufguss oder gar wie "A fine day to exit, part 2" wirken. Und vielleicht ist das sogar die noch größere Leistung.

(Markus Bellmann)

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Highlights

  • Endless ways
  • Springfield
  • Back to the start

Tracklist

  1. 32.63°N 117.14°W
  2. Leaving it behind
  3. Endless ways
  4. The optimist
  5. San Francisco
  6. Springfield
  7. Ghosts
  8. Can't let go
  9. Close your eyes
  10. Wildfires
  11. Back to the start

Gesamtspielzeit: 58:23 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Oceantoolhead

Postings: 2278

Registriert seit 22.09.2014

2017-08-03 14:35:12 Uhr
Sehe ich sehr ähnlich. Der Dreier Judgment, A Fine Day to Exit, A Natural Disaster war schon grandios. Alles was danach kam verlief sich im Esotherikkitsch. Der Frauengesang geht teilweise gar nicht.

Auf der neuen Platte singt Vincent auch nur noch auf wenigen Liedern. Es wird ist zwar wieder etwas düsterer und geht vom Sound her in die richtige Richtung, aber die Songs folgen im Prinzip dem selben Schema welches die beiden Vorgängerplatten schon ausgereizt hatten: Ein und das selbe Thema/Motiv wird für ca. 5-6 min durchgedudelt und wird nur dadurch variiert, dass der Song leise anfängt und pompös endet. Gähn. Einzige Ausnahme ist hier der Opener - gleichzeitig auch bester Track der Platte. Die elektronischen Spielereien sind zuvernachlässigen.

Gähn/10

Gomes21

Postings: 4867

Registriert seit 20.06.2013

2017-08-03 13:35:23 Uhr
Den 'Zuckerguss' Faktor fand ich auf Distant Satellites zu hoch, das hier geht mir schon wieder in die richtige Richtung.
Am stärksten finde ich sie auf Judgement, A Fine Day to Exit aber auch auf Weather Systems

Porcurillion

Postings: 39

Registriert seit 24.07.2017

2017-08-03 13:03:25 Uhr
Ich mochte Anathema sehr für die Phase von der "Alternative 4" bis zur "A Natural Disaster". Danach setzten sie zunehmend diesen "schönen" Frauengesang und Streicher ein und liessen dafür die Gitarren weg. Agressivität wich Weinerlichkeit und Lobhudelei.

The Optimist ist nur noch Zuckerguss pur, ohne Inhalt. Mag sein, dass das vielen Leuten gefällt, aber ich kann und mag mir das nicht anhören.
Donti
2017-06-23 16:47:30 Uhr
Ja wirklich. Deutlich besser als die letzte, die hatte mich ein bisschen enttäuscht. Ich freu mich auf die Tour mit Alcest!

tjsifi

Postings: 786

Registriert seit 22.09.2015

2017-06-23 15:06:36 Uhr
Spitzen Album!
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