Fleet Foxes - Crack-up
Nonesuch / Warner
VÖ: 16.06.2017
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Der ideale Kitt
Alles hat ein Ende, das weiß jeder. Aber nur, weil etwas in der Vergangenheit liegt, muss es ja noch lange nicht wirklich vergangen sein. Robin Pecknold etwa holt gern Dinge von früher wieder in die Gegenwart, beleuchtet sie neu und ändert seine eigene Sichtweise. Das macht er mit seiner Band Fleet Foxes, deren Mischung aus Folk und Americana das Alte mit dem Neuen verknüpft, quasi hauptberuflich bereits seit 2006. Und auch "Crack-up", das dritte Album des Quintetts aus Seattle, schaut hin und wieder in den Rückspiegel. Zunächst mal startet das gute Stück rein musikalisch genau da, wo "Helplessness blues" mit "Grown ocean" einst aufhörte – eine Theorie, die Pecknold mittlerweile höchstpersönlich bestätigt hat. Und zudem gibt es im Opener "I am all that I need / Arroyo Seco / Thumbprint scar" gegen Ende noch ein kleines, fast unbemerktes Wiedersehen – pardon, Wiederhören – mit "White winter hymnal" vom grandiosen Debüt von 2008. Hach.
Aber halt, ganz so schnell wollen wir den Anfang des langersehnten neuen Albums nun auch nicht abhaken. Drei Songs in einem gibt es zu Beginn von "Crack-up", mit dem düsteren "I am all that I need" als durchaus ungewöhnlicher Einleitung, dem ungleich euphorischeren "Arroyo Seco" als stürmisch-umwerfendem Mittelteil und "Thumbprint scar" als eine Art zurückgezogenem Epilog. Satte sechseinhalb Minuten lassen sich Fleet Foxes für dieses erste Lebenszeichen nach sechs Jahren Zeit. Das mag riskant erscheinen, passt im Gesamtkontext allerdings nur zu gut: "Crack-up" dürfte das zumindest aufs erste Ohr unzugänglichste Album der Band sein, erschließt sich mit ein wenig Geduld und dem einen oder anderen Hördurchgang aber umso besser. Und immerhin waren Fleet Foxes ehrlich: Schon die erste Vorab-Single "Third of May / Odaigahara" setzte bewusst voraus, dass der Hörer sich fast neun Minuten Zeit nimmt, um dieses wunderschöne Kleinod US-amerikanischer Lagerfeuerliedkunst in sich aufzunehmen.
Wie schon der Vorgänger "Helplessness blues" wurde auch "Crack-up" in verschiedenen Studios der USA aufgenommen. Pecknolds Herangehensweise war diesmal dennoch eine andere: Er wollte seine Gefühle und Ansichten noch deutlicher als je zuvor zum Ausdruck bringen. Seine Freude über das erneute Zusammenkommen der Band, die zwischen 2013 und 2016 pausierte, seine Trauer über das Ende seiner langjährigen Beziehung, sein Leiden hinsichtlich einer nicht näher bekannten körperlichen Erkrankung, seine neugewonnene Selbstsicherheit und auch seine wiederkehrende Angst vor der Zukunft – all das findet auf "Crack-up" nicht nur zwischen den Zeilen statt. Das Album ist Pecknolds ureigner, selbstgemachter Kitt für seine inneren Risse und hilft nebenher auch genau jenem, der genau zuhört. Das muss nicht immer in lebensbejahender Motivationsposter-Lyrik passieren: "Fool's errand" etwa handelt von persönlichen Enttäuschungen und etwaigen niederschmetternden Ereignissen, die wie eine Stolperfalle wirken können. Die offene, luftig-leichte Instrumentierung aber vermittelt Hoffnung, und schließlich stellt der 31-jährige Sänger selbst fest: "But I know I'll again chase after wind / What have I got if not a thought?"
Gedanken hat er viele – wie er sie miteinander verbindet, ist mitunter am verblüffendsten. So wandelt er am Ende des folkigen "Cassius, -", das zuerst von den Protesten nach der Erschießung des 37-jährigen Afroamerikaners Alton Sterling durch zwei Polizisten und dem Tod von Box-Legende Muhammad Ali alias Cassius Clay handelt, in einem metaphorischen See aus lauter Menschen. Der Kreis schließt sich im darauffolgenden "- Naiads, Cassadies" und damit in zwischenmenschlichen Beziehungen: Die einerseits besungenen Najaden waren in der griechischen Mythologie die Wächterinnen über Seen, Flüsse, Meere und dergleichen, während Cassadius eine Abwandlung des auf dem Album immer wieder erwähnten Namens Cassius ist. Raucht der Kopf noch nicht genug? "Fire can't doubt its heat / Water can't doubt its power / You're not adrift, you're not a gift / You know you're not a flower", schunkelt Pecknold entspannt und sorgt vollends sowohl für Glück als auch für Verwirrung. Man muss ja aber auch nicht unbedingt alles verstehen.
Andernorts ist es ohnehin viel einfacher: Im rumpelig-ausschweifenden "On another ocean (January / June)" fleht sich der Gute aus seiner Depression heraus, sucht einen Ausweg und neues Glück, ohne seine alten Sorgen und längst passierte Fehler abschütteln zu können. Und auch "If you need to, keep time on me", das von den elf neuen Stücken wohl noch am ehesten auf "Fleet Foxes" gepasst hätte, beschäftigt sich mit der ewigen Frage nach dem Zeitpunkt: Wann fing es eigentlich an, so kompliziert zu werden? Am Ende ist es egal, die Geschichte wird sich wiederholen. "I should see Memphis" dreht sich wieder um bekannte Figuren: Da wäre vermutlich Gaius Cassius Longinus, der sich gegen Cäsar verschworen hatte – oder wahlweise erneut Cassius Clay. Und Memphis ist natürlich die Stadt in Tennessee. Oder doch die ehemalige Hauptstadt von Ägypten während des Alten Reiches, in der man mit Osiris um sein Leben feilschen konnte? Oder gar die ebenso benannte Najade und Tochter des Flussgottes Neilos? Fragen über Fragen, kaum Antworten. Vielleicht muss man sich diese aber auch nur einfach selbst aussuchen. Und irgendwann kommt man wieder zurück an den Anfang, findet Vergangenes vor, beleuchtet es neu, ändert die eigene Sichtweise. Er ist eben ein ziemlicher Fuchs, dieser Robin Pecknold.
Highlights
- I am all that I need / Arroyo Seco / Thumbprint scar
- Third of May / Odaigahara
- On another ocean (January / June)
- Fool's errand
Tracklist
- I am all that I need / Arroyo Seco / Thumbprint scar
- Cassius, -
- - Naiads, Cassadies
- Kept woman
- Third of May / Odaigahara
- If you need to, keep time on me
- Mearcstapa
- On another ocean (January / June)
- Fool's errand
- I should see Memphis
- Crack-up
Gesamtspielzeit: 55:36 min.
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saihttam Postings: 2570 Registriert seit 15.06.2013 |
2019-09-11 16:57:26 Uhr
Ohja |
maxlivno Postings: 2917 Registriert seit 25.05.2017 |
2019-09-11 15:41:58 Uhr
Fleet Foxes wäre doch mal etwas für die nächsten Listening Sessions |
Gordon Fraser Postings: 2727 Registriert seit 14.06.2013 |
2019-09-11 14:11:27 Uhr
"Crack-Up" war was für den Kopf, die beiden EPs und das Debüt waren mehr für den Bauch und haben für mich besser funktioniert. Der Zweitling war irgendwo dazwischen. Ich würdige die Ambitionen des "neuen" Sounds, aber er hat mich nie wirklich abgeholt. Ich kann freilich auch verstehen warum FF nicht einfach nur den nächsten Aufguss der immergleichen Songs machen. Dafür gibt es ja schon Bands wie The Slow Show... |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20152 Registriert seit 10.09.2013 |
2019-09-11 14:07:33 Uhr
Ja stimmt, die mochte ich auch über weite Teile, vor allem die Songs jenseits der fünf Minuten. Müsste ich mal wieder hören. |
maxlivno Postings: 2917 Registriert seit 25.05.2017 |
2019-09-11 13:51:36 Uhr
Ich sehe alle Fleet Foxes Alben etwa gleich auf, was eine hohe Kunst, alle mit verschiedenen Stärken und Schwächen. @Moped Helplessness Blues müsste dir doch eigentlich auch gefallen, da haben sie ja schon Mut zur Eigenwilligkeit bewiesen und mMn auch ihre bisher besten Songs (The Shrine/An Argument, Blue Spotted Tail, Montezuma und der Titelsong) abgeliefert. Leider sind auch ein paar schwächere Lieder dabei, aber die Höhepunkte sind schon sehr sehr gut. |
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Referenzen
Robin Pecknold; My Morning Jacket; Band Of Horses; Midlake; Monsters Of Folk; Calexico; The Low Anthem; Wilco; Crosby, Still, Nash & Young; Neil Young; The Band; Grizzly Bear; Vetiver; Bonnie 'Prince' Billy; Father John Misty; Califone; The Cave Singers; Neil Halstead; Grandaddy; Jason Lytle; Fruit Bats; The Folk Implosion; Edward Sharpe & The Magnetic Zeros; Buffalo Springfield; America; Blitzen Trapper; American Music Club; Mark Eitzel; Great Lake Swimmers; The Decemberists; The Dodos; Castanets; Bon Iver; Giant Sand; Sparklehorse; Akron/Family; Wolf Parade; Kurt Vile; The War On Drugs; The Zombies; The Beach Boys; The Everly Brothers; Simon & Garfunkel
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