Roger Waters - Is this the life we really want?

Columbia / Sony
VÖ: 02.06.2017
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Angry old man
Es ist ja nun nicht so, als hätte Roger Waters in den letzten 25 Jahren auf der faulen Haut gelegen. Natürlich waren da vor allem die Streitereien mit dem in herzlicher Feindschaft abgeneigten ehemaligen Kollegen David Gilmour, aber auch die kurzzeitige, einmalige Reunion von Pink Floyd auf dem Live-8-Ereignis im Jahre 2005. Überaus umtriebig zeigte sich Waters auch dabei, die Aufführungsrechte an der kompletten Bühnenshow von "The wall", die ihm im Zuge des gerichtlichen Vergleichs mit der Band zugesprochenen worden waren, ausgiebigst und durchaus behutsam zu pflegen. Schließlich wurden Pink Floyd nicht zuletzt durch den exzentrischen Bassisten zur Legende. Waters' politisches Engagement hingegen ist zumindest als ambivalent zu bezeichnen. Auf der einen Seite ist da der streitbare Pazifist, dessen Prägung sich allem in "The final cut", der letzten Platte mit Pink Floyd, widerspiegelte. Auf der anderen Seite jedoch ist da auch das Engagement für die – neutral formuliert – israelkritische Kampagne "Boycott, divestment and sanctions" (BDS), das zumindest kritisch hinterfragt werden sollte. Ein neues Album allerdings war nicht Teil seines Schaffens.
Ein Vierteljahrhundert ist es also her, seit Waters mit "Amused to death" die mediale Ausschlachtung des ersten Golfkriegs anprangerte. Und bereits das Artwork zu "Is this the life we really want?" lässt im Zeitalter von Fake News und "Lügenpresse"-Krakeelerei kalt erschauern, bis aus den dumpfen Sprachfetzen des Intros der erste verbale Schlag ins Gesicht erwächst. "Deja vu" beginnt nur vordergründig humoristisch, öffnet dann jedoch umgehend die Tür zu bitteren Dystopien. Doch was heißt "Dystopie"? Ob Waters sich 1992 hätte träumen lassen, einmal einen Song wie "The last refugee" schreiben zu müssen, der nur leicht verschlüsselt die grausigen Bilder des ertrunkenen Kindes vor der türkischen Stadt Bodrum in Erinnerung ruft? Nein, das ist tragische Realität, und man kann förmlich sehen, wie er die Zeilen des folgenden, überragenden "Picture that" ins Mikrofon speit: "Picture a courthouse with no fucking laws / Picture a cathouse with no fucking whores / Picture a shithouse with no fucking drains / Picture a leader with no fucking brains." Dass "Picture that" so ganz nebenher einer von Waters' mächtigsten Songs seit "Not now John" von 1983 ist, der mit seinem Basslauf gar "One of these days" zitiert, gerät dabei fast zur Nebensache.
Überhaupt die vermeintlichen Anführer. Während 1983 auf "The final cut" mit "The post war dream" noch Margaret Thatcher ihr Fett abbekam, arbeitet sich der schon geraume Zeit in den USA lebende Engländer konsequent am neuen Präsidenten seiner Wahlheimat ab, lässt den Titeltrack direkt mit einem Sample des erratischen POTUS beginnen. Und zeigt erste Zeichen bitterer Resignation: "Is this the life we really want? / It surely must be so / For this is a democracy and what we all say goes." Die wahre Bosheit liegt allerdings nicht in den drastischen Lyrics. Denn Waters instrumentiert äußerst sparsam, unterstützt durch die effiziente Produktion von Nigel Godrich, der schon Radiohead ihren ureigenen Sound verlieh. Und durch die überwiegend ruhigen, nie krawalligen oder kitschigen Töne, gepaart mit seinem ureigenen Gesangsstil wirkt jede Zeile wie durch zusammengebissene Zähne gepresst, erweckt das Gefühl, der ganz und gar nicht altersmilde 73-Jährige könnte jederzeit nochmal zuschlagen.
Was "Is this the life we really want?" allerdings tatsächlich in letzter Konsequenz zu einer in der Form nicht erwartbaren hochklassigen Platte macht, sind die überaus geschickten Selbstzitate, die Produzent Godrich seinem Kunden verordnet hat. Immer wieder tauchen Referenzen an frühe Floyd-Platten auf, besonders auffällig bei "A bird in a gale", das eine feine Verbindung zwischen "Have a cigar" und gleich dem kompletten, ohnehin sträflich unterbewerteten Album "Animals" zieht. Es scheint also in dieser Hinsicht, als habe Roger Waters seinen Frieden mit seiner künstlerischen Geschichte geschlossen. Gleichzeitig jedoch geriert sich Waters als Welterklärer, will aufrütteln, polarisiert. Ist manchmal durchaus oberlehrerhaft. Man muss nicht einer Meinung mit Waters sein, darf ihr im Fall der umstrittenen BDS sogar vehement widersprechen. Das ändert jedoch kein bisschen an der Tatsache, dass der Mann, der mit ein paar Studienkumpels vor gut 50 Jahren eine der wichtigsten Bands der Geschichte gründete, immer noch verdammt relevant ist.
Highlights
- Picture that
- Is this the life we really want?
- A bird in a gale
- Smell the roses
Tracklist
- When we were young
- Deja vu
- The last refugee
- Picture that
- Broken bones
- Is this the life we really want?
- A bird in a gale
- The most beautiful girl
- Smell the roses
- Wait for her
- Oceans apart
- Part of me died
Gesamtspielzeit: 54:21 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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noshitsherlock |
2017-11-28 18:07:53 Uhr
marillion ist eh scheiße |
Cpt. Obvious |
2017-11-28 17:30:32 Uhr
Jetzt bitte auch ein Marillion-Boykott, wegen dem Song Gaza. |
bitburg |
2017-11-28 17:13:40 Uhr
mankell ist tot und wallander kein existierender mensch. |
Bonzo Postings: 2504 Registriert seit 13.06.2013 |
2017-11-28 17:00:56 Uhr
Wow, da reagiert die ARD ja sehr schnell. Aber Wallander-Filme zu zeigen ist weiterhin in Ordnung, oder? |
Rog |
2017-11-28 16:50:37 Uhr
Das würde ja bedeuten, dass jeder Gitarrist wie Eric Clapton wird. Eine Gitarre, ein Verstärker und ein Synthesizer machen noch lange keinen Star. So wird man nicht wie wir. |
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Referenzen
Pink Floyd; David Gilmour; Peter Gabriel; Brian Eno; Steve Hackett; Radiohead; The Alan Parsons Project; Archive; A Perfect Circle; King Crimson; Fish; Robert Plant; Procol Harum; Emerson, Lake & Palmer; Mike Oldfield; Traffic; Neil Young; Steven Wilson; Blackfield; Porcupine Tree; Gazpacho; RPWL; Gentle Giant; Yes; Aphrodite's Child; The Pineapple Thief; Bob Dylan; Van Morrison
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