Alt-J - Relaxer

Infectious / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 02.06.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Vielleicht zu dumm
19. September 2014, eine grüne Wiese, der Rezensent räkelt sich im seltenen Hamburger Sonnenschein. Das Telefon klingelt, ein gar nicht mal so enger Bekannter: "Das soll jetzt also die perfekte Platte sein?", fragt er missmutig. "Oder bin ich vielleicht einfach zu dumm dafür?", schiebt er zynisch hinterher. Der Rezensent bejaht Letzteres und beendet das Gespräch zügig. Seither folgen ständig ähnlich gelagerte Konversationen, mittlerweile ranken sich krude Thesen um die 10/10 für "This is all yours" von Alt-J. "Die Höchstwertung war gut für Plattentests.de und nur deswegen gerechtfertigt", lautet etwa eine. So ein Unfug! Lieber Leser, verzeihen Sie bitte den Wechsel zur Ich-Form, aber: Ich würde es verdammt noch mal wieder tun. Und ich hätte auch gerne "Relaxer" besser bewertet.
Dabei hat die neue Alt-J-Platte ja durchaus Potenzial: Zwar wurde die erste Vorabsingle "3WW" von vielen mit Enttäuschung quittiert, man darf aber gewiss sein, dass sie wächst – mit guten Kopfhörern, ein wenig Zeit und dank der bittersüßen, zweistimmig dargebotenen Endzeile "I just want to love you in my own language." Dass die Instrumentierung zwischendurch ganz und gar verstummt und einzig dem Piano Platz macht, ist neu, aber glückt im Gegensatz zu anderen Experimenten auf "Relaxer". Bekanntes Terrain betritt hingegen die zweite Auskopplung "In cold blood". Es ist das einzige Stück, in dem die Engländer auftreten, wie man sie kennt – die Trompeten mal ausgenommen. Die "Lala-lala-la-la"-Bridge klingt vertraut, die Thematik auch, man fühlt sich sofort wohl. "Hit me like that snare" setzt auf ganz andere Töne, taucht ein in die musikalische Welt der Sechzigerjahre. Erst klingt das nach The Rolling Stones, dann marschieren The Doors samt schiefer Orgel durch die Tür. Der Track steigert sich, bricht den Takt und kulminiert in der wiederholten Zeile: "Fuck you, I do what I want to do." Parolen dieser Art hätte man an dieser Stelle wohl kaum erwartet – was ist schließlich doktrinärer als der bis zum obersten Knopf geschlossene Hemdkragen von Keyboarder Gus Unger-Hamilton? Dennoch gelingt der Ausflug in aufsässige Gefilde ganz gut.
Danach wird es plötzlich wirr: "Deadcrush" dreht mit hochgepitchter Stimme ziemlich am Rad und klingt wie die "alten" Alt-J nach ausführlicher Klebstoff-Inhalation. "Adeline" macht es sich zu Beginn mit Klampfe nebst Klavier recht einfach, verschwindet dann aber in sphärischen Klangwelten, die die Eingängigkeit zugunsten einer unnötigen Theatralik aufgeben – und gleichzeitig dennoch für jeden Radiohead-Hörer zu billig wirken dürften. "Last year" ist eine simple Gitarren-Piano-Ballade mit weiblichem Konterpart zu Joe Newmans Gesang, die sich bessere Zeiten zurückwünscht und einzig mit der in den letzten eineinhalb Minuten einsetzenden Flöte einen Reizpunkt setzen kann. Das abschließende "Pleader" eröffnet mit fernen Schüssen und krummem Gekeife aus dem Off, nach 40 Sekunden bequemen sich Streicher einzusetzen, gezupfte Saiten und düstere Drones folgen, Violinen treten auf den Plan, dann hymnenhafter, mehrstimmiger Gesang. Noch ein Banjo dazu, und man wäre bei Mumford & Sons. Bitte nicht. Dass unter den gerade mal acht Songs mit "House of the rising sun" auch noch eine Coverversion ist, spricht Bände. Zwar hält sich diese kaum ans Original, weder musikalisch noch textlich, trotzdem erzeugt sie wenig Spannung. Da helfen auch die liturgischen Orgelklänge zu Beginn und die heranschallenden Gitarren wenig.
Die Attribute, die "This is all yours" und auch schon "An awesome wave" groß machten, fehlen dem neuesten Werk des Trios über weite Strecken: das Klebrige, das Markerschütternde oder auch einfach nur eine durchgängige Stimmung. Zwar möchte sich "Relaxer" als auf dem Computerspieleklassiker "LSD: Dream Emulator" basierendes Konzeptalbum verkaufen, die Bezüge dazu sind aber doch recht lose und die musikalischen Sprünge zwischen den Stücken oft zu weit, die Hälfte der Titel schlicht zu episch im negativen Wortsinne. Oder das geht halt nur auf Acid. Nüchtern betrachtet ist "Relaxer" zwar durchaus ein gutes Album, aber ihm fehlt das Großartige. Vielleicht wird hier schlichtweg Realität, was schon so mancher dem Dreier beim Vorgänger vorgeworfen hatte: Wollten Alt-J das künstlerische Element diesmal doch zu sehr erzwingen? Oder bin ich vielleicht einfach zu dumm dafür?
Highlights
- 3WW
- In cold blood
- Hit me like that snare
Tracklist
- 3WW
- In cold blood
- House of the rising sun
- Hit me like that snare
- Deadcrush
- Adeline
- Last year
- Pleader
Gesamtspielzeit: 38:59 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Gomes21 Postings: 5461 Registriert seit 20.06.2013 |
2022-01-07 23:26:10 Uhr
Dito |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34409 Registriert seit 07.06.2013 |
2022-01-07 16:11:19 Uhr
Jepp, es hätte sogar ein sehr schönes, ruhiges Album werden können. Leider sind die Kontrapunkte eher schwächer und komisch gesetzt. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10456 Registriert seit 26.02.2016 |
2022-01-07 16:07:04 Uhr
Es geht ja auch viel auf dem Album in eine ruhigere Richtung, aber gerade weil sie das nicht durchziehen, teile ich die Meinung, dass da der Faden fehlt. |
Lateralis84skleinerBruder Postings: 986 Registriert seit 03.03.2019 |
2022-01-07 15:56:24 Uhr
Ich muss am Anfang des Tracks immer an Keiichi Tanaami‘s Crayon Angel denken, was ich auf einer sehr tollen Reise entdeckt habe. Ist also eher eine assoziative Entspannung für mich. Finde den Track aber dennoch cool |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10456 Registriert seit 26.02.2016 |
2022-01-07 14:47:18 Uhr
Bei "Snare" kann ich alles andere als relaxen. |
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Referenzen
Django Django; The Beta Band; Home Video; The Weeknd; TV On The Radio; Phoenix; Here We Go Magic; Breton; Zulu Winter; Zammuto; The Books; Foals; These New Puritans; Caribou; The Maccabees; Trailer Trash Tracys; The xx; Pinkunoizu; Tunng; Diagrams; Weird Dreams; Oberhofer; Mystery Jets; Tanlines; Wu Lyf; The Cribs; Bombay Bicycle Club; Tokyo Police Club; Field Music; Why?; Grizzly Bear; Fleet Foxes; Youth Lagoon; Light Asylum; Sufjan Stevens; Lightspeed Champion; Blood Orange; Of Montreal; Wild Beasts; Scissor Sisters; The Flaming Lips; Super Furry Animals; Grandaddy; Metronomy; Boedekka; Athlete; The Shins; Broken Bells; Beck; Eels; Blur; Gorillaz; Yeasayer; Menomena; Twin Shadow; Radiohead; Animal Collective
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