Timber Timbre - Sincerely, future pollution

City Slang / Universal
VÖ: 21.04.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Willkommen in Timberland
Taylor Kirk muss sich gefühlt haben wie ein ADHS-Kind in Disneyland. Zugegeben, der Vergleich hinkt gewaltig. Das weiß jeder, der sich den reduzierten Sound seiner Band Timber Timbre im Antlitz des Cinderella-Schlosses vor einer Horde winkender Mickey-Mäuse vorstellt. Trotzdem muss man sich den gestenarmen Schnauzbart-Barden mit Unterarm-Tätowierungen und Denkerstirn bis zum Hinterkopf in die Räume eines etwas dezenteren Märchenbaus hineindenken, auf der anderen Seite von Paris. Kirk hat sich und die Band für "Sincerely, future pollution" in den heiligen Hallen des Komponisten Olivier Bloch-Lainé einquartiert. Ein Luxusanwesen mit Studios, bis unter die Decke befüllt mit Instrumenten aus einer Zeit, als der Zauber dieser Welt in Vergnügungsparks aus purem Plastik zu Türmchen gestapelt wurde. Ein Klingklang-Wunderland aus Linn-Drums und Oberheim-Synthesizern. Da greift man doch zu, da rennt man doch von einer Attraktion zur nächsten. Und die Eltern mit der Jahresdosis Ritalin hinterher.
"Sincerely, future pollution" ist nunmehr das sechste Album des Landeis aus Ontario. Und wenn sich etwas wie ein roter Faden durch die Diskografie der Band zieht, dann ist es der Wunsch der Fans, dass Timber Timbre einmal wieder die Verletzlichkeit, die Sensibilität, die Mystik der selbstbetitelten Platte aus dem Jahr 2009 erzeugen. Um das vorwegzunehmen: Nein, auch "Sincerely, future pollution" ist nicht der sehnlich erhoffte Befreiungsschlag, mit dem sich Kirk auf seine Wurzeln zurückbesinnt. Stichwort: Synthesizer und ADHS. Es gibt aber auch gute Nachrichten: Das nervtötende Saxophon aus dem Vorgänger "Hot dreams" hat er endgültig aus dem Ensemble verbannt. Stattdessen wagt sich Kirk auf neue Experimentierfelder und Spielwiesen. Und der Chor der Fans ruft: Hör auf, Dich weiterzuentwickeln, Taylor!
Auf was man sich immer verlassen kann: Kirk croont sich durch seine Gefühlswelten, durch die beängstigende Gegenwart und die dystopische Zukunft. Das Synthie-Rauschen begleitet den Immertraurigen bis ins Hotelbett einer Frau, die ihn in "Velvet gloves & spit" mit Zuckerbrot und Peitsche verführt und traktiert: "Our castle in the sand, built too high too soon / And under waving palms and waving sails and waves / Goodbye." Es sind solche Songs, bei denen sich der Hörer wieder ganz nah beim alten Kirk wähnt. Das Problem, warum "Sincerely, future pollution" eben nicht wirklich funktioniert, liegt an dieser aufgeregten Unstetigkeit, die im schlimmsten Fall an Konzeptlosigkeit grenzt. Erst funkt "Grifting" in die frühen Achtziger zurück, dann erinnert "Skin tone" an ambitionierte Fahrstuhlmusik.
In der Single-Auskopplung "Sewer blues" erzeugen die Schwingungen der analogen Synthies erstmals eine Spannung, die dem Abgesang einer zum Untergang verdammten Gesellschaft einerseits träumerische Hoffnung und andererseits beißende Ironie gegenüberstellt. "The voice is barking of nausea and fear / An unholy jargon in the judgement seat." Unheilige Zeiten, wenn selbst die Stimme der Vernunft versagt. "Sincerely, future pollution" zieht sich gerade zum Ende hin zäh wie Kaugummi unter Achterbahnsitzen. "Floating cathedral" lehnt sich an "Hot dreams" an, das schmalzigste Kapitel der Bandgeschichte. Nichtsdestotrotz leben Timber Timbre von der Spannung der Beobachtung, wie sich Taylor Kirk immer wieder verirrt und trotzdem einen einzigartigen Sehnsuchtskosmos erzeugt. Die Sehnsucht der Kinder, die schon immer nach Disneyland wollten.
Highlights
- Velvet gloves & spit
- Sewer blues
Tracklist
- Velvet gloves & spit
- Grifting
- Skin tone
- Moment
- Sewer blues
- Western questions
- Sincerely, future pollution
- Bleu nuit
- Floating cathedral
Gesamtspielzeit: 40:09 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Unangemeldeter Postings: 1613 Registriert seit 15.06.2014 |
2022-12-22 18:29:36 Uhr
Geil, danke! Sincerely, Future Pollution immer noch ein bockstarkes Album. |
MrMan Postings: 227 Registriert seit 05.09.2019 |
2022-12-21 18:27:28 Uhr
Bringen im Frühling mit "Loveage" ein neues Album raus. Ein Song gibt's schon zu hören:https://lovage.bandcamp.com/track/mystery-street |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28240 Registriert seit 08.01.2012 |
2017-09-14 20:17:36 Uhr - Newsbeitrag
NEUER TIMBER TIMBRE SONG "LES EGOUTS" TOURAUFTAKT AM 22.09. BEIM REEPERBAHN FESTIVAL Liebe Freunde von City Slang, im April erschien mit "Sincerely, Future Pollution" das gefeierte Album der kanadischen Band TIMBER TIMBRE. Die Tour im Anschluss war aber viel zu schnell vorbei, deswegen geht es jetzt in die zweite Runde: Tourauftakt ist nächste Woche am 22.09. beim Hamburger Reeperbahn Festival, danach geht es weiter nach Berlin, Dresden, Wien und Zürich. Zur Feier des Tages schenken uns Timber Timbre heute einen Fast-Chanson: "LES EGOUTS" klingt erstmal ganz anders als das Album aus dem Frühjahr, doch da kommt er wieder um die Ecke, dieser typische Timber Timbre Sound, dafür lieben wir diese Band und Taylor Kirk, ein Mann, der immer für Überraschungen gut ist: Timber Timbre entwarfen auf "Sincerely, Future Pollution" über die Strecke von neun Songs ein Klangspektrum, das sich jeglicher popgeschichtlichen Einordnung sperrt. Es klingt wie: Weltraum Noir. Tindersticks on Mars. Das Gegenteil von „La la Land“. Roy Orbison in der Regie von David Lynch. Der Tunnel Of Love von Bruce Springsteen aber ohne Ausgang. Reflektiert und doch poetisch - modern, aber vor allem zeitlos schön. "Von der Neoromantik zum Maschinensturm: ein großer Schritt für den Dark Pop der Band aus Montreal.“ (Musikexpress *****) „80s-Artpop mit tiefen Seufzern.“ (...) „…als hätten Roxy Music, David Sylvian und die Tindersticks ein gemeinsames Album gemacht.“ (Rolling Stone) „…der bewegende Soundtrack zu einer düsteren Zeit...“ (Visions) TIMBER TIMBRE AUF TOUR 21.09. Berlin, DE Heimathafen 22.09. Hamburg, DE - Reeperbahnfestival 24.09. Dresden, DE – Beatpol 25.09. Warsaw, PL - Proxima 26.09. Prague, CZ – NoD 27.09. Wien, AT - Arena 28.09. Ljubljana, SL – CUK Kino Sisika 30.09. Rome, IT – Monk Club 01.10. Padova, IT – Circolo Mame 02.10. Zurich, CH – Plaza 03.10. Milan, IT – Salumeria della Musica 04.10. Istanbul, TK - Babylon Club 06.10. Le Havre, FR – Fort de Tourneville 07.10. Feyzin (Lyon), FR - L’Epicerie Moderne 09.10. Montpellier, FR – LE ROCKSTORE 10.10. Nantes, FR – Stereolux 11.10. Nancy, FR - L’Autre Canal 12.10. Amsterdam, NL - Melkweg (Old Hall) 13.10. Brugges, BE – Cactus Club 15.10. Brighton, UK – The Haunt 16.10. London, UK – Oslo 17.10. London, UK – Bush Hall |
fakeboyE |
2017-05-08 21:48:37 Uhr
Absolut einverstanden mit Unangemeldeter. Sewer Blues und Western Questions sind absolute Highlights. Griftung und Moment ebenfalls. Starke Weiterentwicklung des eigenwilligen TT-Sounds. Ich mag den Erstling, ich mochte Hot Dreams, ich mag Sincerely... 8/10 |
Unangemeldeter Postings: 1613 Registriert seit 15.06.2014 |
2017-04-20 11:16:15 Uhr
Naja, für mich sämtliche Instrumentalstücke und Späße wie der Rivers of Babylon-Abklatsch Grand Canyon...Ich höre von beiden Alben halt hauptsächlich noch einzelne Songs und lege quasi nie die CD ein, die s/t und die neue höre ich dagegen gerne am Stück. |
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Referenzen
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