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Aimee Mann - Mental illness

Aimee Mann- Mental illness

Super Ego / Membran
VÖ: 31.03.2017

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Dann lacht Mann

Wie unterschiedlich Künstler doch auf die Welt blicken. Ein wunderbar deutliches Beispiel bietet die Protestbewegung "30 days, 30 songs", in der gegen Donald Trump musiziert wird. Die meisten wüten, schimpfen wild, giften sich frei. Nicht so Aimee Mann. Ihr Song "Can't you tell?" ist eine Innensicht, die Wäre-Ich-Du-Perspektive. Was würde sie fühlen, in Trumps Innerem? Einen verunsicherten Kerl, davon getrieben, sich andauernd beweisen zu müssen, insgeheim hoffend, irgendwer würde ihn stoppen. Aimee Mann liest etwas Universales aus der Figur, weit wertvoller als das simple Geschrei der anderen. Und verfängt sich wieder in dem typischen, merkwürdigen Widerspruch, der ihre besten Songs auszeichnet: Der Klang wird reduziert, die Instrumente treten skelettös auf, das wirkt nahbar, intim, als würde jemand sein Herz offenlegen und angesichts der Emotionen erschrecken. Gleichzeitig bleibt Aimee Mann ein Alien, die große Unnahbare mit geisterhafter, feiner, zerbrechlicher Stimme, so weit droben, als würde sie nicht nur über den Oktaven, sondern uns allen schweben.

Diesen Stil hatte sie verfeinert, derart perfektioniert, dass selbst Songs, die nicht aus ihrer Feder stammen, zu Coldplay oder den Beatles gehören, die eigentliche Urheberschaft vergessen ließen. Es wurden Aimee-Mann-Songs. Dann standen leider ihre Exkurse ins Gröbere an, begonnen mit "@#%&*! smilers", fortgeführt im eingängigen, aussagelosen Poprock auf "Charmer". Ablenkungsversuche von der Zerbrechlichkeit, die diese Songwriterin zur Schau zu stellen vermag, eine, in die sie sich jederzeit versetzen kann, obwohl es ihr blendend geht, wie sie gerne betont. Empathie ist eben die Eigenschaft großer Künstler. Weniger emphatisch schaut Aimee Mann auf die Musikindustrie, die würde halbtot vor sich hinsiechen, weshalb die Amerikanerin meinte, da könne sie auch, vollkommen unpopulär, ihr traurigstes, langsamstes Album veröffentlichen, das sich einem rein akustischen zu nähern versucht und elf Walzer bietet. "Mental illness" heißt es, das neunte Studiowerk und erste seit fünf Jahren.

Nun langweilen solche Künstler, gerade wenn sie sich ein enges Klangkorsett geschnürt haben, gerade durch das Perfekte oder Makellose ihrer Songs. Da können sie noch so traurig sein. Trauriges kann auch langweilen, tut es häufig. Aber "Mental illness" mangelt es nicht an Wärme und Herz, die Songs sind delikat und fragil, intensiv wegen des stripped-down-settings. Schlagzeug und E-Bass haben Nebenrollen. Gitarre und Klavier prägen, dazu die vielen Harmonien, die gesungenen, aber vor allem die gesummten. Glöckchen und Streicher ergänzen das, die jedoch auch zu vernachlässigen sind. Denn dieses Album ist inspiriert von Traurigkeit und Melancholie, aber deprimiert nicht.

Das wäre noch unpopulärer und noch schlechter zu verkaufen. "Mental illness", harmlos als kurzes Kopfdurcheinander verstanden, entsteht nach den kleinen, entscheidenden Momenten, denen sich Aimee Mann widmet: Wenn Mann an der eigenen Fassade knabbern muss, weil sie ihre Freunde bloß verschonen möchte mit ihrer Gefühlsduselei. Wenn Mann wieder in der Vergangenheit kleben bleibt, dem schöneren Gestern. Wenn Mann über die Vergänglichkeit sinniert und darüber, dass die wahre Liebe häufig nicht wahrhaftig ist, wie in "You never loved me". Oder der zurechtgelegte Lebensplan nicht klappt, "Patient zero" handelt davon, der Desillusion in Hollywood, wenngleich auch aus Sicht eines Schauspielers. Dann lacht Mann, nicht geisteskrank, eher überlebensnotwendig. "Good for me" fasst dies in einer Klavierballade zusammen. Und spätestens mit "Poor judge" steigt Aimee Mann kurzzeitig in diese Sphären von Randy Newman auf, von Streichern umarmt. Und dann ist sie doch wieder ganz oben.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • Goose snow cone
  • Patient zero
  • Poor judge

Tracklist

  1. Goose snow cone
  2. Stuck in the past
  3. You never loved me
  4. Rollercoasters
  5. Lies of summer
  6. Patient zero
  7. Good for me
  8. Knock it off
  9. Philly sinks
  10. Simple fix
  11. Poor judge

Gesamtspielzeit: 38:34 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Zigzag Charlie
2018-01-30 20:50:52 Uhr
Aimee macht das Licht das knipst. 8/10
juhu
2018-01-29 17:19:29 Uhr
2018 Grammy für "Bestes Folkalbum", GANZ fein und GRATULATION, immer noch ein ganz tolles Album, ging im ganzen Grammy Rummel fast unter.
Eindeutig
2017-03-31 10:58:09 Uhr
das schönste Albumcover des Jahres!
Jaq le Shag
2017-03-31 10:46:47 Uhr
Etwas zu schwermütig, etwas zu perfekt. Aber so war sie schon immer, die Aimee. 2/10
quasinebenbei
2017-03-31 10:44:12 Uhr
Sehr schöne Rezi. Das Album wächst. Endlich wieder die "Bachelor No. 2"-Aimee.
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