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Craig Finn - We all want the same things

Craig Finn- We all want the same things

Partisan / Knitting Factory
VÖ: 24.03.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Die Bar der gebrochenen Helden

"Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt", flüstert eine junge Frau, während sie sich setzt. "Als mein Bruder starb, habe ich etwas zwischen seinen ganzen Klamotten gefunden. Es war ein kleiner Behälter, ungefähr die Größe eines Baseballs, eingeknüllt in eine alte Zeitung. Ich kannte diesen Kerl, er machte ein paar Anrufe und wir fuhren für den Deal den ganzen Weg nach Chicago. Und dann fühlten wir uns so einsam und tranken und blieben dort und verbrachten die Nacht zusammen, obwohl wir uns doch nicht kannten und hatten uns die Rückfahrt nach St. Paul lang nichts mehr zu sagen." Mit einem stummen Lächeln schiebt der Barkeeper ihr einen Whiskey über den Tresen. "Der geht aufs Haus", sagt er voller Mitgefühl. Während er Notizen macht und gelegentlich ein paar Noten kritzelt, setzen sich immer mehr gebrochene Helden an den Tresen und warten nur darauf, dem Mann am Zapfhahn für Trost und ein Getränk ihre Geschichten zu erzählen. Sollte dieser fiktive Barkeeper nun beschließen, Songs zu schreiben, müsste ihm selbst jemand Trost spenden. Denn die Geschichten all dieser Figuren finden sich bereits auf Craig Finns dritten Solo-Werk "We all want the same things". Und besser als der The-Hold-Steady-Frontmann hätte es kaum jemand hinbekommen können.

Der deprimierenden Story jener jungen Frau ringt Craig Finn im Spoken-Word-Track "God in Chicago" bis zur Erkenntnis "We all want the same things" einen kurzen Moment existenzieller Schönheit ab. Die Wendung "And then it was morning" zerschmettert zwar das Herz, doch Finn gibt wie der Hirte aus "Ninety bucks" keines seiner Schäfchen auf. Und mit denen hat es das Leben nicht immer gut gemeint. Aus großen jugendlichen Träumen wurden bodenständigere Hoffnungen, die aber noch immer mit der gleichen Sehnsucht verfolgt werden: "Jamie when we're sailing off / High above the parking lots / Looking off the balcony / Well that seems pretty pure to me" aus "Rescue blues" ist nur einer der zahlreichen Wünsche, die man seinen Kneipenbrüdern nie anvertrauen würde – die bei Finn jedoch genau in den richtigen Händen sind.

"Watch our lives play out in these parking lots / With dead end cards and debit jobs" heißt es weiter in "Tracking shots" und generell entkommen die meisten Figuren kaum der Strecke zwischen Kneipe und Parkplatz. Wenn doch einmal in "Preludes" ein Ausflug ansteht, bleibt der Wagen liegen und der Protagonist mit der demütigen Erkenntnis zurück: "God watches us." Gott, Drogen, Alkohol, Sex und persönliche Tragödien sind wie auch St. Paul oder Memphis zwar bereits seit "Almost killed me" Dauerschauplätze in Finns Kosmos. Solange man allerdings die Geschichten als neu entdeckten Erzählband von Charles Bukowski verkaufen könnte, erfreut man sich an den zahlreichen Anspielungen gerne aufs Neue. "Her body was an outpost for ideas that didn't work", meint Finn. Und was will man lyrisch mehr, als hinter einer einzigen wunderbaren Zeile mal eben eine ganze Biographie greifen zu können? Eben.

Finn kann sich unter anderem in "Tangletown" so stark auf seine Miniatur-Dramen verlassen, dass er auf "We all want the same things" im Gegensatz zu seiner Hauptband eher unaufgeregte statt hymnische Songstrukturen liefert, wobei es beispielsweise mit dem wirren Saxophon aus "Jester & June" auch manch neue musikalische Idee zu entdecken gibt. Im flotten "Birds trapped in the airport" wiederum singt die erste schwule Hauptfigur im Schaffen des Songwriters sich mit all seiner Sehnsucht in die Herzen jener, welche sich in den Bars einen Beichtvater wie Finn himself hinter dem Tresen wünschen. "Stay positive" und "Be honest" würde dieser einem wahrscheinlich raten, sobald man selbst sich mal auf jenem Barhocker wiederfindet, gezeichnet vom Schicksal. In schwierigen Zeiten können einfache Trostworte genau die richtigen sein.

(Marcel Menne)

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Highlights

  • Preludes
  • Birds trapped in the airport
  • Tangletown
  • Be honest

Tracklist

  1. Jester & June
  2. Preludes
  3. Ninety bucks
  4. Birds trapped in the airport
  5. God in Chicago
  6. Rescue blues
  7. Tangletown
  8. It hits when it hits
  9. Tracking shots
  10. Be honest

Gesamtspielzeit: 43:58 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Gordon Fraser

Postings: 2537

Registriert seit 14.06.2013

2017-12-14 18:28:27 Uhr
Schön gesagt, Finn erzählt da wirklich brillante Stories. Aber eben nicht im sparsamen Folkie-Format, sondern mit sattem Sound. Wird in meiner Jahresliste weit vorn landen.
Readyman
2017-12-13 21:54:42 Uhr
Gehört klar zu den besten Alben dieses Jahr. Allein God in Chicago und der Song davor sind Erzählperlen von ganz grossem Format. Drehbücher des Lebens.
Barone
2017-06-14 00:12:56 Uhr
Bisher leider noch nicht. Aber Clear Heart Fully Eyes ist sehr, sehr stark. Hält die neue das Niveau?

Gordon Fraser

Postings: 2537

Registriert seit 14.06.2013

2017-06-13 09:38:19 Uhr
Niemand? Höre zur Zeit wahnsinnig oft die Platte. Bei den Referenzen sollte m.E. Frightened Rabbit noch ganz oben stehen.

Gordon Fraser

Postings: 2537

Registriert seit 14.06.2013

2017-05-24 19:00:34 Uhr
Sehr stark. Hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. "Preludes" ist großartig.
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