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The Magnetic Fields - 50 song memoir

The Magnetic Fields- 50 song memoir

Nonesuch / Warner
VÖ: 03.03.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Ein Leben in Songs

Was hinterlässt ein fünfzig Jahre währendes Leben? Lässt es sich abzählen, anhand des Mülls, den benutzten, glitschigen Kondomen, halbfertig gerauchten Zigaretten und zerknüllten Fast-Food-Packungen? Sind es die besuchten Orte, die vielen Menschen, ob geliebt oder wenig gemocht, als Strichliste zusammengeschrieben? Wie auch immer – Jahrzehnte werden zu einem unübersichtlichen Wulst an Erlebten und Gefühltem, nunmehr Erinnerungen. Und Stephin Merritt sortiert und sondiert aus. Fünfzig Jahre in fünfzig Songs, fünf Jahrzehnte als fünf Alben in einem. In "50 song memoir" bugsiert Merritt, bisher nur randläufig autobiographisch, alles. Er, der einst mit "69 love songs" so großartig versponnen und unberechenbar die Liebe in allen Formen einzufangen wusste, gibt sich der Idee eines lebens- und wahrheitsgesättigten Kaleidoskops her. Selbstverständlich ist es ein gigantomanisches Projekt, mit hunderten Instrumenten, gesammelten Ukulelen, Banjos, Akkordeons, Mandolinen, Pianos, Gitarren – mal in groß, mal in klein, mal perkussiv, mal ergänzt von Klängen aus der Spielzeugkiste.

Wie bei jedem derartigen Memoir oder Bildungsroman, möchte man bloß nacherzählen: Der junge Merritt, der sich fragt, woher er überhaupt kommt, ob er ein arttypisches "Made in America" sei ("'66: Wonder where I'm from"). Der junge Merritt, der die Wiedergeburt als Kakerlake wünscht ("'67: Come back as a cockroach). Der junge Merritt, der von seiner nach dem griechischen Rauschgott benannten Katze gehasst wird, obwohl er sie liebt, ja, wie er meint, gerade weil er sie liebt ("'68: a cat called dionysus"). Dazu brodeln Blechbläser, es miaut, überhaupt nicht lächerlich, dafür verstärkt es, was dieser Junge als absurdes und ungerechtes Leben kennenlernen wird. Er, enttäuscht auf Hawaii urlaubend ("'73: It could have been paradise"). Er, zeitlebens von Epilepsie, Migräne und anderen Malaisen geplagt ("'92: Weird diseases"). Er, später als Musiker, von einer verwirrten New Yorker Kritikerin als Rassist verrufen ("'06: "Quotes""). Er, älter, in schwummrigen Nächten in dunklen Schwulenbars an Songs schreibend ("'02: Be true to your bar").

Merritt rollt die Autobiographie aus, schmerzlich, jedoch nicht mitleidig. Seine Selbstbespiegelung bleibt ohne Eitelkeit oder Narzissmus. Echtes Leben und echte Dramen sind bei ihm keine Mittel, um zu schockieren oder abzuschrecken, wie es jüngst einige Schriftsteller versuchten. Denn neben Glauben, Surfen und Sodomie ist "50 song memoir" auch eine amerikanische Chronik. Sie handelt von Hippies und Kriegsprotesten in "'70: They're killing children over there" oder einem Liebesbrief an ein vernarbtes New York nach 9/11 in "'01: Have you seen it in the snow?". Die wirkliche, überwältigend sublime songschreiberische Kraft von Stephin Merritt liegt in seinem ersprießlichen Grübeln. Er ist ein Nachdenker und Nachempfinder eingefangen, genau wie auf dem geschmackvollen, von seiner Mutter gemalten Cover. Aus dem vorläufig nichtssagenden Alltäglichen öffnet sich bei ihm eine Welt. Eigenschaften, die auch der sonst grämende Trent Reznor an ihm schätzt, weshalb er den Magnetic-Fields-Kopf als besten zeitgenössischen Songwriter ausgerufen hat.

"50 song memoir" ist nie peinlich oder blümerant, dafür zutiefst berührend. Es ist nicht weltablehnend zynisch, dafür süß-säuerlich und wenn, dann raffiniert sarkastisch. Und das gestaltet sich in kaum versiegender Vielfalt: Brabbelnder Pop, barocker Folk, heiterer Electro, kindliche Wiegenlieder oder gemurmelte Balladen, wie das klaftertiefe "'96: I'm sad" machen dieses Werk aus. Trotz des riesigen Arsenals an Instrumenten werden nie mehr als sieben per Song bemüht. Den starken Melodien bleibt Raum zum Atmen, die schwächeren werden, wie in "'91: The day I finally...", verkracht. Wer meinte, The Magnetic Fields blieb für immer "69 love songs" mit einigen Alben, die hauptsächlich formal spannend waren, durch strikte Klangkonzepte oder Songs, denen allesamt ein "ich" voranstand, findet in diesen zweieinhalb Stunden von "50 songs memoir" das Ganze: Alle Formen, all der Witz, das ganze Herz, das Merritt zu bieten hat. Ein Leben mit, durch, letztlich in Songs.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • '66: Wonder where I'm from
  • '68: A cat called Dionysus
  • '92: Weird diseases
  • '96: I'm sad!
  • '01: Have you seen it in the snow?
  • '02: Be true to your Bar
  • '06: "Quotes"
  • '09: Till you come back to me
  • '15: Somebody's fetish

Tracklist

  • CD 1
    1. '66: Wonder where I'm from
    2. '67: Come back as a cockroach
    3. '68: A cat called Dionysus
    4. '69: Judy Garland
    5. '70: They're killing children over there
    6. '71: I think I'll make another world
    7. '72: Eye contact
    8. '73: It could have been paradise
    9. '74: No
    10. '75: My mama ain't
  • CD 2
    1. '76: Hustle 76
    2. '77: Life ain't all bad
    3. '78: The blizzard of '78
    4. '79: Rock'n'Roll will ruin your life
    5. '80: London by jetpack
    6. '81: How to play the synthesizer
    7. '82: Happy beeping
    8. '83: Foxx and I
    9. '84: Danceteria!
    10. '85: Why I am not a teenager
  • CD 3
    1. '86: How I failed ethics
    2. '87: At the pyramid
    3. '88: Ethan Frome
    4. '89: The 1989 Musical Marching Zoo
    5. '90: Dreaming in tetris
    6. '91: The day I finally...
    7. '92: Weird diseases
    8. '93: Me and Fred and Dave and Ted
    9. '94: Haven't got a penny
    10. '95: A serious mistake
  • CD 4
    1. '96: I'm sad!
    2. '97: Eurodisco trio
    3. '98: Lovers' lies
    4. '99: Fathers in the clouds
    5. '00: Ghosts of the marathon dancers
    6. '01: Have you seen it in the snow?
    7. '02: Be true to your Bar
    8. '03: The Ex and I
    9. '04: Cold-blooded man
    10. '05: Never again
  • CD 5
    1. '06: "Quotes"
    2. '07: In the snow white cottages
    3. '08: Surfin'
    4. '09: Till you come back to me
    5. '10: 20,000 Leagues under the sea
    6. '11: Stupid tears
    7. '12: You can never go back to New York
    8. '13: Big enough for both of us
    9. '14: I wish I had pictures
    10. '15: Somebody's fetish

Gesamtspielzeit: 151:22 min.

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User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2017-03-01 20:51:10 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?


Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2016-12-09 20:07:42 Uhr
Nonesuch/Warner Music veröffentlicht am 3. März 2017 „50 Song Memoir“ von The Magnetic Fields. Das 5CD- / 5LP-Set handelt die 50 Lebensjahre von Songwriter Stephin Merrit ab, mit einem Song pro Jahr. Es wurde produziert von Merritt selbst mit zusätzlicher Produktion von Thomas Bartlett und Charles Newman.

„Ein unvergleichlicher Songschreiber, der in der Lage ist, schelmischen Witz mit schmerzhaft präzisen Beobachtungen zu balancieren“ – Guardian

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2016-11-18 10:13:57 Uhr
Ich freue mich auch, obwohl ich das meiste seit der "69 Love Songs" unspannend fand. Aber irgendwie erhoffe ich mir hier mehr.

dogs on tape

Postings: 189

Registriert seit 14.06.2013

2016-11-18 10:01:07 Uhr
5 wunderbare Vorboten auf der hp versprechen ein großartiges Album.

poser

Postings: 2307

Registriert seit 13.06.2013

2016-06-03 09:10:45 Uhr
Länge ist mir bei der Band herzlich egal. Hoffentlich wird es gut. Ihr letztes war nicht gerade das Gelbe vom Ei.

Ich freue mich trotzdem.
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