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Hurray For The Riff Raff - The navigator

Hurray For The Riff Raff- The navigator

ATO / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 10.03.2017

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Unsere Liebe ist ein Aufstand

Die eigenen Sorgenfalten hatten Depeche Mode kürzlich noch hinter Karl-Marx-Gedächtnisbärten versteckt, als sie allzu närrisch fragten, wo denn bitte die Revolution sei. Welche Revolution, wollte gegengefragt werden, die klassenkämpferische? Oder sind es heute andere Sorgen, die auf die Straße treiben? Alynda Segarra ruft zum Umstürzen. Sie will anders sein, wie auch schon ihr verquerer Bandname, der einem im Kopf herumwuselt. Hurray For The Riff Raff huldigt gleich zwei schrill wildernden Gestalten, die auf ihre Art die Pole einer jeden Revolution rechts und links festlegen: Einmal dem spleenigen Buckelschrat namens Riff Raff aus der Rocky Horror Show, völlig gegen Geschlechter und für freie Liebe, einmal dem gleichnamigen schmuckzahnigen Rapper, der wohl eher konterrevolutionär dümmlich ist und das Spießertum als Gangstertum versteht. "The navigator" ruft laut ein Hier, ein Jetzt und Los. Pro forma als Musikwerk führt es ein Theaterstück auf. Brecht trifft auf Orwell und Bolaño, wobei eigentlich Bluegrass, Americana und Country auf Pussy Riot, Punk und lateinamerikanische Rhythmen knallen.

Und die Geschichte auf "The navigator" erzählt sich so: Navita ist ein junges Immigrantenmädchen. Es verlebt die Tage voller Rassismus und Klassenkämpfen. Inständig sehnt sie sich eine andere, für sie normale, liebevollere, gerechtere Welt herbei. Da Vorsicht geboten ist, wenn allzu sehnlichst geträumt wird, nimmt sich eine rätselhafte, ältere Frau dem Wunsch an. Rätselhafte, ältere Frauen sind in solchen Märchen stets Hexen, also verflucht sie das junge Mädchen. Navita erwacht 50 Jahre später, ihre Welt hat sich keinen Deut gebessert, ist umso schlimmer geworden. Geliebte Menschen sind verschwunden, Städte durchgentrifiziert, die Vertriebenen leben auf ummauerten Inseln vor sich hin. Navita richtet sie auf und gegen das Unrecht, wird zum Navigator dieser Meute. "Pa'lante", schreit sie ihnen entgegen, allen, die sich versteckten, die entehrt wurden, was so viel bedeutet wie "Vorwärts".

Das liest sich nach einer leicht anstrengenden, ein wenig sozialrevolutionär verkitschten Saga. Dabei ist das die Finesse von "The navigator", dass das Album so unaufgeregt und mühelos klingt. Die Musik spricht derart schnell an, dass Geschichten und Tiefgründiges nicht interessieren. Segarra verfremdet einen Punk als eingängigen Beach-Boys-Schunkler in "Living in the city", sie tunkt ihre Ballade "Nothing's gonna change that girl" allmählich in lateinamerikanische Geziertheit. Springsteen hatte das hungrige Herz, Segarra hat den "Hungry ghost", vorwärtstreibend, die Gesangsspur ähnlich PJ Harvey undeutlich schlängelnd. "Rican Beach" beschwingt in jazziger Form. Und dann gibt es noch das Herzstück. "Pa'lante" konzentriert alles von "The navigator", erinnert so wundervoll an Fiona Apple wie sonst nur Fiona Apple und kriecht mit Zerknirschtheit und Leidenschaft hervor. Segarra singt, dass sie lieben möchte und es nicht verhunzen. Der Schlachtruf gilt für sie, wie für alle.

Autobiographisch verarbeitete Episoden, die obendrein in "The navigator" geflochten wurden, deuten bereits auf das Klangmosaik von Segarra. Sie wuchs in der Bronx auf, ihre puerto-ricanischen Eltern behüteten sie, aber nie war sie Teil einer Gruppe. Für die einen zu dunkelhäutig, für die anderen zu hellhäutig, für die einen mit zu viel Gesang im Gesprochenen, für die anderen einfach nur fremd. Segarra büxte aus, landete in New Orleans. Hurray For The Riff Raff nahmen einige Alben auf, erhielten mehr Liebe von Kritikern als Geld von irgendwelchen Hörern. "The navigator" müsste das ändern, auch weil es mit einigen R&B-Percussions einladender wirkt, weil die Songs so viel eingängiger sind, weil Segarra diese ausdrucksstarke Stimme hat und so viel Starkes auszudrücken. Hurray for the revolution.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • The navigator
  • Rican Beach
  • Pa'lante

Tracklist

  1. Entrance
  2. Living in the city
  3. Hungry ghost
  4. Life to save
  5. Nothing's gonna change that girl
  6. The navigator
  7. Halfway there
  8. Rican Beach
  9. Fourteen floors
  10. Settle
  11. Pa'lante
  12. Finale

Gesamtspielzeit: 42:05 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Nummer Neun

Postings: 740

Registriert seit 14.06.2013

2022-01-07 15:14:36 Uhr
Seit Veröffentlichung und der tollen Besprechung hier, läuft das Album zwar nicht ständig, aber doch immer wieder bei mir.

Einen Nachfolger gibt es aber wohl noch nicht bisher?

dogs on tape

Postings: 189

Registriert seit 14.06.2013

2017-11-06 21:33:41 Uhr
Gutes Album und noch besseres Konzert beim RS Weekender!

Menikmati

Postings: 467

Registriert seit 25.10.2013

2017-03-20 22:53:20 Uhr
Was ich bisher kenne, übertrifft meine eh schon hohen Erwartungen: Mit Rican Beach ist ein zurückgelehntes Groovemonster, Living in the City ein klarer Frühlingshit und The Navigator einfach nur gross. Gibt wohl noch eine Menge zu entdecken auf diesem Album..

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2017-03-02 08:46:27 Uhr
Wollte ich mir auch noch vormerken.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2017-03-01 20:50:14 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

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