Schnipo Schranke - Rare

Buback / Indigo
VÖ: 27.01.2017
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10

Die Eiterkeit
"Mein Herz weitete sich zu einem saftigen Steak." Es gibt wenig passendere Anlässe, dieses ikonische Helge-Schneider-Zitat anzubringen als das Artwork des zweiten Albums von Schnipo Schranke. Rindfleisch in Nahaufnahme – endlich mal etwas Appetitliches, nachdem Friederike Ernst und Daniela Reis auf ihrem Debüt "Satt" Fürze anzündeten, Sperma abschmeckten und im Klo heruntergespülten Tampons ein Abschiedslied sangen. Und mit "Pisse" war da ja auch noch was. Wobei sich hinter den schmutzigen Wörtern und der entwurzelt vorwärts wankenden Instrumentierung tieftraurige Moritaten über die emotionalen Wirrungen der Mittzwanziger-Adoleszenz verbargen. Eine desorientierte Schlüsselkind-Version der Dresden Dolls, die gerade ihrer ersten Liebe nachtrauert und verzweifelt um klangliche Ausdrucksmittel ringt. Alles muss, nichts kann.
Doch zurück zum Steak: Hier schließt sich der Kreis insofern, als dass der Eingangssatz aus dem Schneider-Text "Operette für eine kleine Katze" stammt, in dem der Vierbeiner kein allzu gutes Ende nimmt. Denn auch auf "Rare" haben's die Miezen schwer: Eine verhungert, die andere wird vom Zug überrollt und in "Wieder alleine" zu Grabe getragen. Zu einem trotz des tierischen Todesfalls unverschämt gut gelaunten, detailverliebten Popsong mit enormem Spannungsbogen. Zuvor hatte "Pimmelreiter" zum Auftakt lediglich – wiewohl ordentlichen – Schnipo-Schranke-Standard geboten: poppiger Minimalismus, der sich aus Klavier-Gehumpel, aufreizend simplen Drum-Patterns und piepsenden Synthies speist und sich dank Zeilen wie "Ich reit durch Sperma, Pipi und so weiter / Und durch knöcheltiefen Eiter" stets mit einem Bein in verschärfter Ekel-Haft befindet.
Ungeachtet dessen gilt auf "Rare" des Öfteren: Gestorben wird immer. Zum Beispiel in "Herr Schulz ist tot", auch wenn der Song flötende Keyboards hoppeln lässt und Ernst und Reis dazu einen erstaunlich aufgeräumten Abgesang anstimmen – imaginierter Samenraub inklusive, wie es zum guten schlechten Ton gehört. Der größte Wurf gelingt den zwei Wahl-Hamburgerinnen jedoch, wenn die Beats schweigen und entwaffnende Schönheit regiert: Der abwechselnd resignierten und vor Euphorie förmlich platzenden Stalker-Ballade "Gast" genügen ein wie aus einem AOR-Hit der Sorte "Don't stop believin'" herausoperierter Piano-Taumel und hoffnungslose Verschossenheit, um auch dem stolzesten Mannsbild das Herz zu brechen: "Und dann bin ich da / Sind wir dann ein Liebespaar?" Wer hier nein sagt, ist doof. Ein Lied, das Leben retten kann.
Ab diesem sprachlos machenden Prachtstück kann "Rare" im Grunde nach nur noch abbauen – und tatsächlich schrammt das Duo in der Folge zusehends an den zuvor auf den Punkt gebrachten Arrangements und unbedarften Sinnlosigkeiten vorbei, wirkt zuweilen gar merkwürdig angestrengt. Weder das an sich launige Tourtagebuch "Haschproleten" noch der Ironie-Bolzen "Stars" zünden vollends, die bekiffte Familientragödie "Dope" entpuppt sich als Trantüte ohne Vitamine – vor allem im Vergleich zum tiefenentspannten, souverän auf HipHop-Groove und elektronischem Wurmfortsatz daherswingenden "Murmelbahn", bei dem Schnipo Schranke lieber im Kinderzimmer hocken statt in die Disco gehen. Wir empfehlen dazu die Facebook-Gruppe "Das wird mir alles zu kindisch hier, komm Teddy wir gehen" – und weite Teile dieses oft brüllend unkomischen Albums.
Highlights
- Wieder alleine
- Herr Schulz ist tot
- Gast
- Murmelbahn
Tracklist
- Intro
- Pimmelreiter
- Wieder alleine
- Herr Schulz ist tot
- Gast
- Haschproleten
- Stars
- Murmelbahn
- Dope
- Ritter in der Nacht
- Immermehr
- Sag niemals Ihh
Gesamtspielzeit: 41:08 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Underground Postings: 1614 Registriert seit 11.03.2015 |
2019-11-10 23:44:04 Uhr
im zweifel linus volkmann |
Cade Redman Postings: 373 Registriert seit 14.02.2018 |
2019-11-10 23:27:55 Uhr
Schreibt jemand einen Nachruf? |
Underground Postings: 1614 Registriert seit 11.03.2015 |
2019-11-07 22:30:46 Uhr
https://www.musikexpress.de/ducks-on-drugs-ex-schnipo-schranke-interview-1365067/ |
Plattenboss |
2018-03-23 18:20:08 Uhr
Das Thema ist nach 2 Alben auch schon wieder durch! Tschö Mädels, Job suchen! |
Cade Redman Postings: 373 Registriert seit 14.02.2018 |
2018-03-23 17:33:01 Uhr
https://schniposchranke.bandcamp.com/album/harry-potter-sessions"Harry Potter" läuft bei mir zu Zeit in einer Endlosschleife. Saugeiler Song! :-D |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Leichtmetall; Die Heiterkeit; Die Lassie Singers; The Dresden Dolls; Amanda Palmer; Evelyn Evelyn; Parole Trixi; The Toten Crackhuren Im Kofferraum; Kapelle Petra; Die Moulinettes; Die Doraus Und Die Marinas; Tubbe; Jeans Team; Jens Friebe; Bum Khun Cha Youth; Apparat Hase; Cobra Killer; Trost; Robots In Disguise; Sue Denim; Stereo Total; Tegan And Sara; Soffy O; Princess Chelsea; Powell; St. Vincent; CocoRosie; Feist; Cat Power; Regina Spektor; Joan As Police Woman; JaKönigJa; F.S.K.; Die Goldenen Zitronen; Karpatenhund; Locas In Love; Mobylettes; Mikrofisch; Spillsbury; Knarf Rellöm; Britta; Christiane Rösinger; Bernadette La Hengst; Die Braut Haut Ins Auge; Das Bierbeben; Pisse; Hans-A-Plast; Nuala; Bärchen Und Die Milchbubis; Mia.; BOY; Gurr; Next Stop: Horizon; Dark Dark Dark; Vermillion Lies; Broadcast; Dagobert; Wolke; Knochen=Girl; Ixi; Frl. Menke; Tic Tac Toe; Lucilectric; Zoltán Kodály School For Girls; Das Bo; Deichkind; Sido
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv

Threads im Plattentests.de-Forum
- Schnipo Schranke - Satt (35 Beiträge / Letzter am 23.03.2025 - 02:04 Uhr)
- Schnipo Schranke - Rare (24 Beiträge / Letzter am 10.11.2019 - 23:44 Uhr)