Eivør - At the heart of a selkie
TUTL / Cargo
VÖ: 14.10.2016
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Die Sagenhafte
Fisch
Wir schreiben den Dreikönigstag auf den Färöer-Inseln, wenn die Nacht am längsten ist. Die Selkies, mythologische Geschöpfe in Gestalt weiblicher Robben, tummeln sich der Sage nach an diesem Tag nicht nur im Wasser und verdrücken ihre übliche Ration Fisch, sondern streifen an Land ihr Fell ab und verwandeln sich in bezaubernde, verführerisch tanzende junge Frauen. Klar, dass dieses Spektakel der Männerwelt im nahe gelegenen Dorf Mikladalur nicht verborgen bleibt. Es kommt, wie es kommen muss: Ein Fischer verguckt sich in eine der Schönheiten, und eine gleichnishafte Liebesgeschichte im Spannungsfeld von Zivilisation und Natur, Mensch und Tier, zarten Gefühlen und nagendem Heimweh entspinnt sich. Und wer nun ob des Albumtitels immer noch an Selbstporträts mit dem Handy denkt, kriegt eine gescheuert.
Fleisch
Doch versehen wir die wundersame Lovestory mit ein wenig Fleisch – in mehrerlei Hinsicht. Die färöische Singer-Songwriterin Eivør Pálsdóttir hat das Ganze zusammen mit der Danish Radio Big Band samt Dirigent Peter Jensen und dem Danish National Vocal Ensemble vertont. Inklusive Wassergeglucker, sperriger Elektronik, Orchester-Pathos und einer Stimmakrobatik, als würden die übrigen Fabelwesen ihrer Gefährtin zur Hochzeit ein himmlisches bis schauriges Ständchen bringen. In reinstem Färöisch, versteht sich, wobei die Texte aus Volksweisen oder aber von der Dichterin Marjun Syderbø Kjelnæs stammen. Moment: Hochzeit? Richtig, denn der Fischer heiratet die Robben-Frau vom Fleck weg, Nachwuchs folgt auf der Flosse. Patchwork-Familie in sagen-haft. Und musikalisch schiebt sich allmählich die The-Knife-Oper "Tomorrow, in a year" ins Hörbild.
Land
Im Gegensatz zur Protagonistin sah Eivør Pálsdóttir bisher zumindest international nur wenig Land – trotz diverser englischsprachiger Ausflüge, Live-Präsenz in Europa und acht Studioalben seit 2000. Von "Slør" aus dem Jahr 2015 hat sie gleich drei Songs auf "At the heart of a selkie" mitgenommen und dem Projekt entsprechend umgekrempelt: "Verð min" bleibt allerdings eine zauberhafte Liebeserklärung, die mit merklich zurückgefahrenem Arrangement Pálsdóttirs Gesang ebenso weite Hallräume zur Entfaltung lässt wie das "Slør"-Titelstück, in dem die Selkie zu drohendem Bläser-Rumoren ihre neue Umwelt erkundet. Für mehr Krawall sorgt "Salt" mit blechernen Fanfaren-Stößen und unruhig laufenden Beats – die Robben-Frau sehnt sich nämlich längst in ihre nasse Heimat zurück. Und erneut kommt es, wie es wohl kommen muss.
Meer
Denn die Selkie hat natürlich auch noch einen darbenden Robben-Mann. Und vermag dessen Ruf genauso wenig zu widerstehen wie ihrer Natur, sodass es sie wieder Richtung Wasser zieht. Noch den Kindern ein letztes Mal das jenseitige Wiegenlied "Vøgguvísa, ein kópakona syngur" gesungen – dann hat das Meer sie wieder. Und der perkussive, latent sakrale Folk-Abschiedsgruß "Lat meg" stellt klar, dass die Robben-Frau nicht mehr zu den Menschen zurückkehren wird. Aber sollte sie sich doch mal wieder an Land zum zuckenden Balztanz "Trettanda nátt" schütteln: Der Fischer wird da sein. Und vielleicht geht dann wieder alles von vorne los. Wir würden nicht nein sagen nach einem so fesselnden, mitunter entrückten Album, das sein Spiel treibt mit Mythos und Moderne, neoklassischem Schöngeist und synthetischer Rüttelei. Zeit, Färöisch zu lernen.
Highlights
- Trettanda nátt
- Verð min
- Slør
- Salt
Tracklist
- Havet
- Trettanda nátt
- Verð min
- Uden Herren opholder vor hus og gård
- Slør
- Vøgguvísa, ein kópakona syngur
- Når jeg betænker den tig och stund
- Salt
- Elskaði
- Jeg vil mig Herren love
- Lat meg
Gesamtspielzeit: 56:48 min.
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