Peter Doherty - Hamburg demonstrations

Clouds Hill / Warner
VÖ: 02.12.2016
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Klare Sicht
Postfaktisch. Das mittlerweile allgegenwärtige Wort beschreibt den Zustand, wenn Meinung aufgrund von Gefühlen und Stimmungen verbreitet wird, ohne Fakten aus seriösen Quellen zu liefern. Lange nicht mehr war es so leicht, subjektive Stammtisch-Weisheiten mit haltlosen oder gefälschten Statistiken zu stützen. Sorgfältige Recherche, ein klarer Blick, ein kritisches Auge? Braucht es beim Rezipienten nicht, solange das Geschriebene der eigenen Meinung entspricht. Nicht nur Pete Doherty weiß: Dadurch wird die sowieso schon komplizierte Welt derzeit nicht unbedingt leichter zu verstehen. Und so hört man heute auch dem Mann, der einst so häufig in seine ureigenen, im Rausch herbeihalluzinierten Welten abgetaucht war, eine ungeahnte Nachdenklichkeit an.
In Paris, wo Doherty derzeit wohnt, hat er am 13. November 2015 den Terror ganz nah miterlebt: Der Abend, als im Pariser Bataclan 90 Konzertbesucher von radikalen Islamisten ermordet wurden, war ebenso ein Anschlag auf die freie Meinung, auf die Kultur und die Musik. Eine adäquate Antwort auf diese Grausamkeiten allerdings gelingt Doherty auf "Hamburg demonstrations", seiner zweiten Solo-Platte: "Come on boys / Choose your weapons / J-45 or AK 47' ?" heißt es da in "Hell to pay at the gates of Heaven". Dem Terror und der Gewalt in die hässliche Fratze schauen und gleichzeitig die berühmte Gibson-Gitarre, die John Lennon verwendete, als Symbol für die unauslöschbare "Waffe" des freien Lebens herausstellen? Chapeau, Monsieur Doherty. Doch nicht nur für diesen starken Song, der nebst stimmlicher Achterbahnfahrt auch durch nachdrückliches Zusammenspiel von Rhythmik und Piano begeistert, gilt: Selten hörte man den begnadeten Songschreiber mit derart klarer Sicht auf die Dinge erzählend wie auf seiner neuen Platte.
Beinahe vergeistigt erscheint gar der Auftakt mit dem zunächst akustisch gezupften, später in typischer Doherty-Manier vorgetragenen, verschrobenen "Kolly Kibber", benannt nach einem Charakter aus Graham Greenes Roman "Brighton Rock", den der Sänger verschlungen hatte. Verstörend ist hier höchstens die Passage, in der sich der Künstler zu zwei Versen in deutscher Sprache hinreißen lässt. Intim hingegen wird es bei "Flags from the old regime", der neu aufgenommenen Verneigung vor Dohertys 2011 verstorbener guter Freundin Amy Winehouse, die auch ohne Streicher gut funktioniert. Auch das tolle "Birdcage" mit stimmgewaltiger Unterstützung durch Suzie Martins ist Doherty- und Babyshambles-Kennern bestens bekannt, doch der Track gewinnt in der Neuaufnahme deutlich an Energie. The-Libertines-Fans freuen sich indes über die erste offizielle Studioaufnahme der Ballade "She is far", ein Relikt aus den ersten Gehversuchen des Engländers, stammt das Stück doch aus Tagen weit vor "Up the bracket".
Was das alles mit Hamburg zu tun hat? Aufgenommen wurde das Album in der Hansestadt mit Produzent Johann Scheerer. In dessen Clouds-Hill-Studios spielte der The-Libertines-Kopf sämtliche Songs mit Musikern aus dem Umfeld des Studios ein: Mit dabei unter anderem Sonja Glass und Valeska Steiner von Boy, Tim Schierenbeck von Gloria und Sebastian Nagel, ein hierzulande arrivierter Live-Gitarrist. In gewisser Weise ist es dann ebenjener fein austarierte und warme Band-Sound, der den so unterschiedlichen Kompositionen die gemeinsame Linie verleiht. Davon profitiert auch das elegant vorgetragene "Down for the outing", seit Jahren schon im Live-Repertoire des Sängers zu belauschen und als Demo-Version bekannt. Womit wir bei dem keinesfalls postfaktischen, kleinen Manko von "Hamburg demonstrations" angekommen sind: Wer wie Doherty so viel Bekanntes serviert, darf sich trotz gelungener Rezeptur über den ausbleibenden Michelin-Stern nicht wundern.
Highlights
- Birdcage
- Hell to pay at gates of Heaven
- She is far
Tracklist
- Kolly Kibber
- Down for the outing
- Birdcage
- Hell to pay at the gates of Heaven
- Flags from the old regime
- I don't love anyone (But you're not just anyone) V2
- A spy in the house of love (Demo vocals)
- Oily boker
- I don't love anyone (But you're not just anyone)
- The whole world is our playground
- She is far
Gesamtspielzeit: 41:08 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
@Lügenpresse |
2019-02-21 10:22:09 Uhr
Lügenpresse! |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20158 Registriert seit 10.09.2013 |
2019-02-21 10:15:29 Uhr
Die Rezension hatte irgendwie wirklich keinen Kritikpunkt, außer dass die Songs zu weiten Teilen schon bekannt waren. Hmm. |
Hamburg-Dämon |
2019-02-20 22:15:22 Uhr
Gibt es eigentlich eine Erklärung, warum diese Platte nur sechs Punkte bekommen hat? |
Tom Green |
2019-01-21 16:09:44 Uhr
anders als gedacht, steht wohl bald das Debüt von Peter Doherty & The Puta Madres in den Läden. Die Single? "Who's having you over?" hat am späteren Nachmittag im BBC Radio Premiere. Mögliche Songs (da auf zahlreicen Live Gigs der letzten Jahre gespielt) Who's been having you over? Shore Leave Travelling Tinker The Lementable Ballad of Gascony Paradise under your Nose Ballad of Gaxony Ave Ride into the Sun (Velvet Underground Cover) Weed Smokers Dream (allerdings schon auf der BSeite von Kolly Kibber veröffentlicht) Das vierte Album von The Libertines kommt dann wohl frühestens Ende des Jahres. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34223 Registriert seit 07.06.2013 |
2017-12-12 14:36:06 Uhr
Nettes Album. Rezension und Wertung gehehn wirklich sehr auseinander. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Babyshambles; The Libertines; Albert Hammond Jr.; Bob Dylan; Paul Simon; Billy Bragg; The Coral; The Zutons; The Last Shadow Puppets; Dirty Pretty Things; Blur; Damon Albarn; The Beatles; Morrissey; Razorlight; Graham Coxon; The Smiths; The Jam; The Cribs; The Rifles; The Kinks; The Stooges; We Are Scientists; The Strokes; Arctic Monkeys; The Films; The Vaccines; Jamie T; The Pigeon Detectives; The Futureheads; Franz Ferdinand; The Kooks; The Stone Roses; Suede; James; Mando Diao; Scott Walker; The Dead Weather; The Clash; The Dandy Warhols; Noel Gallagher's High Flying Birds; Oasis; Bob Marley; The Doors; Iggy Pop; The Who
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Peter Doherty & Frédéric Lo - The Fantasy Life of Poetry & Crime (23 Beiträge / Letzter am 12.08.2022 - 22:32 Uhr)
- Peter Doherty live (wenn er's nicht gerade mal wieder absagt) (5 Beiträge / Letzter am 07.05.2022 - 00:10 Uhr)
- Peter Doherty & The Puta Madres - Peter Doherty & The Puta Madres (20 Beiträge / Letzter am 21.09.2019 - 15:18 Uhr)
- Peter Doherty - Hamburg demonstrations (13 Beiträge / Letzter am 21.02.2019 - 10:22 Uhr)