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Friends Of Gas - Fatal schwach

Friends Of Gas- Fatal schwach

Staatsakt / Caroline / Universal
VÖ: 28.10.2016

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Im Häckselschritt

Von der Hamburger Schule lernen heißt für das Leben lernen. Oder für die Musik. Oder für beides. Wie war das noch gleich in einem Highlight des exquisiten Die-Sterne-Albums "24 / 7"? "Wohin zur Hölle mit den Depressionen? / Ich geh in die Disco, ich will da wohnen." Und die in Die Liga Der Gewöhnlichen Gentlemen weiterlebenden Vorzeige-Mods Superpunk brüsteten sich in einem Song auf "Why not?" damit, die wirklich bedeutsamen Schätze der heimischen Sammlung "Auf Tape" zu haben. Aspekte, die für die bisherigen Tonträger von Friends Of Gas aus München nicht unwesentlich sind: Die Debüt-Veröffentlichung "Tape" erschien lediglich als ebensolches mit vier Songs, und fürs erste Album ging es nicht etwa ins Studio, sondern in einen (leeren) Club. Genauer gesagt ins heimische "Kafe Kult", wo sich das Quintett zwecks Aufnahme mitten im Sommer umringt von Mikrofonen auf die Bühne stellte. Und plötzlich war der Raum voll, obwohl sich niemand sonst darin befand – mit Sound. Geht das?

Nina Walser wird's wissen, denn ihre Stimme könnte notfalls auch eine ganze Stratocaster-Armee ersetzen. Genauso der als eine Art Produzent fungierende Max Rieger von Die Nerven aus Stuttgart – ein Katzensprung in die bayrische Landeshauptstadt, erst recht, wenn man bei der Entstehung einer der gewaltigsten deutschen Noise-Rock-Platten der letzten Jahre assistieren kann. Lassen wir also "Fatal schwach" sprechen – beziehungsweise schreien. Denn genau das macht Walser ein ums andere Mal. Mit einem Organ, das abwechselnd eine Punkrock-infizierte Wanda Jackson, Lydia Lunch mit Bronchialkatarrh oder auch Beth Ditto evoziert, der man den Soul von den mit Reißzwecken perforierten Stimmbändern geschmirgelt hat. Veronica Burnuthians Gitarre hackt genauso kantig zu, während Erol Dizdar die Drums entweder im kompakten Schwitzkasten-Groove bearbeitet oder zur Tribal-Maschinerie umfunktioniert. Das zweite Adjektiv im Albumtitel ist hier also das gröbste Understatement, das man sich vorstellen kann.

Power und Brachialität sind nämlich die wirksamsten Waffen, die Friends Of Gas einsetzen – und wenn es mal eine Idee subtiler zugeht, sorgt ein überlanges Stück wie "Ewiges Haus" mit heiser deklamierten Textrudimenten, rohem Post-Punk-Bass und rollendem Schlagzeug-Gerüstbau für jede Menge unterschwelligen Tumult. Die Anknüpfpunkte für die genauso grimmig aufstampfenden wie krachend detonierenden Songs sind dabei vielfältig: Sowohl das rabiate Leipziger Trio SAFI als auch der raue Nackenbrecher-Indierock von Patrick Wagners Bands Surrogat und Gewalt jaulen gedanklich auf, wenn der Opener "Template" den Körper zur Benutzeroberfläche für verbissenes Riffing reduziert und auch "Involuntary" nach schwach glühendem No-Wave-Start ab der Mitte ordentlich Fahrt aufnimmt. In "Kollektives Träumen" pflanzt Walser ihre Vocal-Salven hingegen zwischen atemlos zugespitzte Licks, die zusammen mit der präzise arbeitenden Rhythmusgruppe auch von den frühen Gang Of Four stammen könnten.

Die blickdichten Sonic-Youth-Harmonien von "Saurer Schnee" verfallen dann in einen krautigen Taumel, der zwischendurch immer wieder zum Drone-Angriff auszuarten droht, ehe "Einknick" schlankem viersaitigem Gewümmer morphende Industrial-Störgeräusche untermischt und schließlich beide unter Walsers entfesseltem Gebrüll in den Häcksler stopft. Sogar Kim Gordon soll kurz beim Umrühren der resultierenden Kraftpampe gesehen worden sein. "I don't need my teeth" teufelt die Frontfrau im atonalen neunminütigen Rausschmeißer – wohl wissend, dass es mit den Beißerchen des Hörers nach einer Dreiviertelstunde begeistertem Knirschen genauso aussehen dürfte. Die Luft im bis auf die Band unbevölkerten Raum flimmert zu diesem Zeitpunkt längst vor gesättigten Lärmschwaden, die sich aber bei Bedarf stets auf eine glasklare Struktur herunterbrechen lassen. Und bei so viel Wucht kann man nur mit einem – wiewohl leicht abgewandelten – Zitat aus dem ganz zu Anfang erwähnten Song schließen: "Na, wie wär's? Häckselschritt."

(Thomas Pilgrim)

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Highlights

  • Template
  • Kollektives Träumen
  • Einknick

Tracklist

  1. Template
  2. Ewiges Haus
  3. Involuntary
  4. Kollektives Träumen
  5. Saurer Schnee
  6. Einknick
  7. Teeth

Gesamtspielzeit: 45:09 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Herr

Postings: 1800

Registriert seit 17.08.2013

2019-12-01 10:52:07 Uhr
Die 9 Minuten „klöng“ sind sehr kunstvolle Verarschung.

noise

Postings: 919

Registriert seit 15.06.2013

2019-12-01 00:59:20 Uhr
Wirtschaftliche Kriterien spielen schon eine Rolle. Wenn man ein bestimmtes Budget zur Verfügung hat überlegt man sich schon ob sich eine 2-Song EP für vielleicht 16-18€ lohnt. Ist mir eigentlich aus Prinzip schon zu viel Geld.
Auch ein Grund warum ich mir die neue "Tool" noch nicht gekauft habe.

NOK

Postings: 237

Registriert seit 04.10.2018

2019-11-23 22:53:29 Uhr
Ich hab schon die im Internet umherschwirrende Information aufgeschnappt, dass der Nachfolger zu "Fatal schwach" im April kommen soll. Mir gefallen die beiden neuen Songs im Übrigen auch sehr - nur das Stück in der Mitte ist schon sehr dreist in seiner künstlerischen Prätention. So ungern ich Musik mit wirtschaftlichen Kriterien betrachte: Ich habe wenig Lust, mir dieses auf 12"-Ausmaße gestreckte Etwas zum - nahezu - LP-Tarif anzuschaffen.

noise

Postings: 919

Registriert seit 15.06.2013

2019-11-21 22:19:48 Uhr
Ja, ich hatte mir nach 3 Jahren auch mehr erhofft als eine 3 Song EP. Zumal wie "Untergeher" schon schrieb 1 Stück nur aus einem Akkord besteht.
Habe allerdings die Hoffnung, dass die EP vielleicht nur der Vorbote für eine full length ist. Könnten auch Ihre nur auf Cassette (!) veröffentlichten Erstling "Tape" mal als CD/LP wiederauflegen. Da sind auch ein paar gute Songs drauf.

Der Untergeher

User und News-Scout

Postings: 1827

Registriert seit 04.12.2015

2019-11-21 15:15:53 Uhr
Mir gefällt die EP, auch wenn sie sich nicht unbedingt weiterentwickelt haben. Stagnation auf hohem Niveau oder so. Die Mischung aus Post Punk und Noise Rock mit stets krautigem Groove macht einfach Laune. Schaue sie mir morgen in Hamburg an. Live sind die nämlich ne echte Wucht.

Schade, dass es nach so langer Zeit nur eine kurze EP geworden ist. Zumal die Hälfte der EP wiederum zentriert wird von dem titelgebenden Stück, in dem "nichts weiter" passiert, als dass neun Minuten lang ein und derselbe Akkord angeschlagen wird. Gegen ein Album hätte ich nichts einzuwenden gehabt. Hoffe, dass da bald noch mehr kommt.
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