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Leonard Cohen - You want it darker

Leonard Cohen- You want it darker

Columbia / Sony
VÖ: 21.10.2016

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Der Omegapunkt

Damals, vor einem guten halben Jahrhundert, wollte Leonard Cohen nur schreiben. Erst Gedichte, dann Romane, beides traurig, beides erotisch. Wenige wollten das auch lesen. Also nahm er einige seiner Poems, vertonte sie, und bald erschien "Songs of Leonard Cohen". Das Alpha für dieses wundersame Œuvre. Während bei Bob Dylan aus einem Sänger ein Poet wurde, erwuchs aus dem Poeten Leonard Cohen, beinahe einem Zwang verschuldet, der Sänger. "You want it darker" ist dazu, als 14. Studioalbum, womöglich das Omega. Zumindest meinte der 82-Jährige, er sei bereit zu sterben. Die Kraft schwinde, auch nach dem Tod seiner großen Liebe im Sommer 2016, der besungenen Marianne. All dies schwirrt im Hinterkopf, es begleitet das Hören dieses gewaltigen Albums, wenn es schon im so erschütternden wie eminenten Titelstück heißt: "Hineni Hineni / I'm ready, my Lord." "Hineni" ist hebräisch für "Hier bin ich".

Läuterung war stets ein großes Thema in der Poetik von Cohen. Seine Hörer sollten berührt werden, auch verletzt, als wäre dies der einzige Weg, sie auch zu verändern, oder – wie er es nennt – "schöner" zu machen. "You want it darker" weicht insofern von diesem künstlerischen Manifest ab, weil es Cohen selbst ist, der berührt und verletzt wurde, in seiner brüchigsten, tiefsten Stimme. Das Grummeln nach den vielen Jahren und unzähligen Zigaretten. Früher verging viel Zeit zwischen den Veröffentlichungen seiner Alben. Diese Taktung wurde enger, zwei Jahre liegt "Popular problems" zurück, vier Jahre sind es seit "Old ideas". Auf dieser Seite meinte Christian Preußer zu Letzterem, es sei ein "würdiges Vermächtnis". Aber es scheint, als wolle Cohen noch einmal das abschließende musische Bild auswechseln, mit nur acht Songs und einer instrumentalen Reprise.

Dabei setzt "You want it darker" gerade an dem von ihm empfundenen Tiefpunkt seines Schaffens an. Als wolle er ihn ausmerzen, dieses "Death of a ladies' man", das umstrittene, von Phil Spector produzierte Werk. Während der Aufnahmen stritten die beiden derart, dass Spector sich im Studio einschloss und die Arbeit ohne den eigentlichen Künstler beendete. Dieser bombastische Pop mit allzu üppigen Arrangements war eine Verfremdung, eine misslungene Interpretation des direkten Songwritings von Leonard Cohen. "You want it darker" nimmt einige dieser Ideen und hievt sie auf eine schlichtere Ebene: Es gibt die großen Streicher, die weihevollen Orgeln, mehr Chöre als auf irgendeinem Cohen-Album zuvor, auch die Balalaika hat imposante Momente ("Traveling light"), und doch erdrücken diese Versatzstücke nicht. Um Missverständnisse zu beseitigen: Es produzierte sein Sohn Adam Cohen.

Das klingt dann stärker nach Gospel in "On the level" oder ähnelt der bluesigen Art von Tom Waits mit "If I didn't have your love". "You want it darker" ist in jedem Moment erhaben und andächtig, es ist ein gewichtiges Album, permanent durchschimmert vom Tod. Es sind Elegien. Trotzdem haben sie Humor, etwa wenn sich Cohen wünscht, er hätte einen Vertrag über die Liebe abgeschlossen. Oder er in "Leaving the table" resümiert, dass er sich vor niemandem rechtfertigen müsse für das, was aus ihm geworden ist. Seine Ausreden seien sowieso müde und dürftig. Und wenn "You want it darker" auf Religion anspielt oder direkt zitiert, gerade mit mystischen Bildern, fügen sie sich in diese reinen und tiefen Songtexte.

In Cohens Gedichtband "Flowers for Hitler" ist ein goldenes Mädchen die Lehrerin des Herzens. Seiten zuvor, im "The cockold's song", wird das lyrische Ich zu Gold. Nun scheint es so weit zu sein, nachdem er mit diesem Album die übermächtige Weite in seinem Herzen aufgeräumt hat. Das Mädchen hat ihn verwandelt. Einige Kritiker schimpften über Cohens erste Alben, dies sei Begleitmusik zum Pulsadernaufschneiden. Ihnen kann mit "You want it darker" endgültig entgegnet werden, dass es genau die Musik ist, um es nicht zu tun. Darauf ein innigstes Amen.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • You want it darker
  • If I didn't have your love
  • Steer your way

Tracklist

  1. You want it darker
  2. Treaty
  3. On the level
  4. Leaving the table
  5. If I didn't have your love
  6. Traveling light
  7. It seemed the better way
  8. Steer your way
  9. String Reprise / Treaty

Gesamtspielzeit: 36:09 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Grizzly Adams

Postings: 4521

Registriert seit 22.08.2019

2022-06-29 17:51:21 Uhr
Grad gestern den Song „Treaty“ in der Serie „your Honor“ gehört. Dachte, das Album darf mal wieder laufen. Geht noch immer unter die Haut. Kann man sich eine andere Stimme für diese Songs vorstellen, die das gleiche Gefühl hervorruft? Schwer vorstellbar. Gerade Cohen Songs scheinen mit ihm auf eine Art und Weise verbunden, die ihre Wirkung nur durch seinen Vortrag zu voller Blüte bringen können, obwohl er einer denjenigen ist, deren Œuvre gerne und oft gecovert wird. 9/10 Punkte, und eine Träne für das Wissen, dass diese Stimme nicht mehr klingen wird, ein Zigarettchen in der Nacht und ein Gläschen Wein auf das Leben. Cheers!

Huhn vom Hof

Postings: 5719

Registriert seit 14.06.2013

2022-01-18 23:45:15 Uhr
Ja, ein grandioses Album. Sehr zurückhaltend in der Instrumentierung, dabei aber trotzdem nie langweilig. Ich mag hier besonders die Orgel, muss dabei an die späten Talk Talk denken. 9/10 passt schon.
DirtyComputer
2018-08-25 17:13:31 Uhr
9/10 mindestens. Atemberaubendes Album.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2016-11-15 18:07:11 Uhr
Jepp. Beide waren sich aber auch im Klaren darüber, dass es zu Ende geht.

Greylight

Postings: 110

Registriert seit 14.06.2013

2016-11-15 14:03:32 Uhr
Ja, musste auch sofort an Bowie denken. Seltsame Parallele. Und beide haben Songs auf ihren Alben, die fast schon vom kommenden Tod zu künden schienen.
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