Listen




Banner, 120 x 600, mit Claim


Drive-By Truckers - American band

Drive-By Truckers- American band

ATO / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 30.09.2016

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Was ist amerikanisch?

Ein weißer, fetter Typ steht auf dem Boden seiner Farm, in der einen Hand eine Flinte, in der anderen einen triefenden Burger. Gebildet? Fehlanzeige. Aber ein guter, herzlicher Saufkumpan allemal. Solange man selbst auch weiß ist, versteht sich. Mit klassischen Klischees über Amerikaner ist man hierzulande eben schnell bei der Hand. Auch im politischen Diskurs bedeutet amerikanisch zumeist mindestens eine Kombination aus mehreren der Attribute rassistisch, religiös fundamentalistisch, gewalttätig, kriegstreiberisch und kapitalistisch. In einem Land, in dem eine allgemeine Krankenversicherung als kommunistische Idee gilt, von Polizisten erschossene dunkelhäutige Jugendliche traurigerweise keine Seltenheit sind, ganz merkwürdige Leute als Staatsoberhaupt kandidieren und weltweit Medien mit sich vollmachen, sind Anlässe zu solchen Auffassungen leider zuhauf gegeben. Drive-By Truckers, die nun seit gut 20 Jahren allein mit ihrem Namen einen der vielen uramerikanischen Mythen bedienen und ansonsten für hemdsärmeligen Rock und subversives Storytelling stehen, sind dazu angetreten, etwas am Status Quo zu ändern. Dazu besetzen sie das Wort amerikanisch auf ihrem Album "American band" kurzerhand um, zeichnen jedoch gleichermaßen das Bild eines Landes in einer schweren Krise. Anlass: die anstehende, anscheinend alles entscheidende Präsidentschaftswahl Clinton gegen Trump im November. Es steht also jede Menge auf dem Spiel.

"It all started with the border", erzählen die Mannen um Mike Cooley und Patterson Hood in ihrem bisher wohl offensten politischen Song "Ramon Casiano", einer beißenden Anklage gegen die National Rifle Association. Was damit alles begann und von nun an das Themenfeld des Albums bestimmt, wird einem nach und nach klar, wenn man von einer Geschichte zur nächsten gelangt. Hier geht es um niedergeschossene farbige Jugendliche mit nichts weiter als Skittles in den Taschen, um das sture Befolgen von Traditionen und um Vorurteile. Allgemein also so viele und so komplexe soziale Missstände, dass man sie gar nicht alle benennen kann. Diese setzen zwar den verbitterten Grundton der elf Songs, die dichte Stimmung des Albums lässt jedoch stets Raum für mitschwingende Hoffnung, ohne die all der Mist wohl auch kaum zu ertragen wäre. Genau das macht indes den großen Reiz aus: Vom Inhalt abgekoppelt ist "American band" der ideale Soundtrack für Fahrten durch die amerikanische Landschaft mit der Abendsonne im Nacken. Zuverlässig werden sich allerdings Tracks wie das beim ersten Hören vielleicht vorbeifließende "Darkened flags on the cusp of dawn", das sich der Hymne vehement verweigert, immer stärker in den Hinterkopf graben und so ihre Wirkung entfalten. Für jede Menge Zündstoff ist dabei natürlich gesorgt.

Neben dem Migrations-Epos "Ever South" ist gerade der Einstieg zu "Guns of Umpqua" eins der zahlreichen Beispiele dafür, dass Drive-By Truckers lyrisch nichts verlernt haben: "I see birds soaring through the clouds outside my window / Smell the fresh paint of a comfort shade on this new fall day / Feel the coffee surge through morning veins from half an hour ago / Hear the sound of shots and screams out in the hallway." Dagegen sind manche andere Stellen doch wieder ein wenig zu platt geraten. Exemplarisch sei dafür "Does the color really matter?" aus "Surrender under protest" zitiert. Dennoch zeigen solche Passagen, dass diese "American band" das Herz am rechten Fleck hat. "What it means" fordert weiterhin, den sozial Benachteiligten zuzuhören, da man eben nicht weiß, wie diese sich fühlen, während "Baggage", das den Selbstmord von Robin Williams reflektiert, pures Mitgefühl ausdrückt. "Once they banned Imagine" hingegen verneigt sich zwar einerseits vor John Lennons Friedenshymne, klagt aber vor allem deren Verbannung aus dem Radio nach dem 11. September an – also zu einer Zeit, in der das Lied wichtiger denn je wurde. Hiermit sollte klar sein, was Drive-By Truckers eigentlich meinen, wenn sie von amerikanisch sprechen. Kritisch, friedfertig, empathisch, kommunikativ. Klingt nach einem ziemlich guten Amerika. Vor allem aber nach einer verdammt guten Band.

(Marcel Menne)

Bei Amazon bestellen / Preis prüfen für CD, Vinyl und Download
Bei JPC bestellen / Preis prüfen für CD und Vinyl

Bestellen bei Amazon / JPC

Highlights

  • Ramon Casiano
  • Darkened flags on the cusp of dawn
  • Ever South

Tracklist

  1. Ramon Casiano
  2. Darkened flags on the cusp of dawn
  3. Surrender under protest
  4. Guns of Umpqua
  5. Filthy and fried
  6. When the sun don't shine
  7. Kinky hypocrite
  8. Ever South
  9. What it means
  10. Once they banned Imagine
  11. Baggage

Gesamtspielzeit: 47:01 min.

Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)

Einmal am Tag per Mail benachrichtigt werden über neue Beiträge in diesem Thread

Um Nachrichten zu posten, musst Du Dich hier einloggen.

Du bist noch nicht registriert? Das kannst Du hier schnell erledigen. Oder noch einfacher:

Du kannst auch hier eine Nachricht erfassen und erhältst dann in einem weiteren Schritt direkt die Möglichkeit, Dich zu registrieren.
Benutzername:
Deine Nachricht:
Forums-Thread ausklappen
(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Marcel

Postings: 12

Registriert seit 26.06.2015

2016-10-14 08:11:21 Uhr
Einen stärkeren Country-Einfluss haben Drive-By Truckers schon. Es ist allerdings auch kein Wunder, dass sie schon häufiger mit The Hold Steady eine Bühne geteilt haben, denn man fühlt sich schon häufig an die jeweils andere Band erinnert. Also von meiner Seite aus als riesiger Fan von The Hold Steady wärmste Empfehlungen für die Drive-By Truckers.

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2016-10-13 11:08:21 Uhr
Seltsamerweise bisher an mir vorbeigegangen. Klingen die wirklich ein bisschen wie The Hold Steady? Oder erwartet einen hier auf Dauer doch wieder mehr Country- und Folk-Rock?

diggo

Postings: 140

Registriert seit 02.09.2016

2016-10-13 07:01:14 Uhr
Tolles Album einer nach wie vor völlig unterschätzten Band. Textlich und musikalisch ganz stark! Braucht jedoch einige Durchgänge... Wohl ihr bestes Album seit dem Ausstieg von Isbell.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2016-10-12 22:08:50 Uhr
Frisch rezensiert.

Meinungen?


Zum kompletten Thread

Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.

Bestellen bei Amazon

Threads im Plattentests.de-Forum

Anhören bei Spotify