Descendents - Hypercaffium spazzinate

Epitaph / Indigo
VÖ: 29.07.2016
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Die Hydro-Energy-Band
Neulich, in einer städtischen Grünanlage: Zwei ältere Männer, zirka Ende 50, sitzen auf einer Parkbank und unterhalten sich angeregt. Die beiden schwelgen in Erinnerungen an unbeschwertere, einfachere Zeiten – das Neue, Fortschrittliche wird kritisch beäugt, für die ebenfalls im Park vertretenen Nachfolge-Genrationen haben die beiden bloß Kopfschütteln und Schulterzucken übrig. Kurz darauf, nach einem Moment der Stille, die Blicke sind nach vorn gerichtet, fällt er schließlich, der obligatorische Satz: "Früher war alles besser!" Der Banknachbar quittiert mit einem Nicken. Auf ebenjener Parkbank könnten es sich auch die Herren Descendents längst bequem gemacht haben – die legendäre Truppe um Drummer und Produzent Bill Stevenson und Sänger Milo Aukerman gilt als Vorreiter des melodischen Hardcore – und ist Idol von mindestens anderthalb Generationen Punkrockern.
Seit 1978 gibt es diese Band, sie könnte sich längst genüsslich zurücklehnen. Aber sie tut es nicht, selbst wenn mal über Jahre kein Mucks zu vernehmen ist. Sehr wohl realisiert man im Hause Descendents, welche Strahlkraft ihr 1982 veröffentlichtes Debüt "Milo goes to college" heute noch ausübt, welch Meilenstein ihr "Everything sucks" ist, das satte 20 Jahre auf dem Buckel hat, aber des Titels wegen auch wunderbar die heutige weltpolitische Lage kommentieren könnte – sämtliche Descendents-Alben sind kultig wie das berühmte, oft adaptierte und re-interpretierte Band-Artwork um das nerdige Maskottchen Milo. Auch das bis heute letzte musikalische Lebenszeichen "Cool to be you", still und heimlich 12 Jahre alt geworden, ist mit der Zeit gut gereift und somit das Gegenteil eines Alterswerks.
Doch um Selbstbestätigung geht es nicht. Natürlich nicht. "Hypercaffium spazzinate", die Bezeichnung für eine in der "Hallo wach?!"-Wirkung um ein Vielfaches gepimpte Koffein-Substanz, ist aus drei Gründen entstanden: Spaß an der Band, am Musikmachen mit den alten Freunden, Feuer für neue Songs, das 2011 bei Livekonzerten aufloderte, und nicht zuletzt ging es für Stevenson um das Abschließen mit einer gesundheitlich wie privat sehr schwierigen Zeit. Über letztere schrieb der Mitbegründer der Band die melancholisch-schönen "Without love" und "Spineless and scarlet red". Hört man dieses Album, scheint dennoch egal, was war: Descendents können noch so sehr in die Jahre kommen, sich noch so rar machen, an ihrem typischen Sound wird sich wohl nie groß etwas ändern. Und das ist verdammt gut so, wie das Eröffnungsquintett der Platte unterstreicht: Ob das polternde "Feel this", die kurzborstige Kratzbürste "Victim of me", der Nonsens-Track "No fat burger" oder die kleinen Hymnen "On paper" und "Shameless halo" – die vemeintlich faltigen Descendents benötigen für diese fünf Songs keine acht Minuten und klingen anno 2016 nicht nur deswegen frisch und geschmeidig wie Hydro-Energy-Creme.
Tatsächlich hat "Hypercaffium spazzinate" über weite Strecken richtig Biss. "We got defeat" prügelt sich in gerade mal 50 Sekunden durch die Menge. "Limiter" und "Testosterone" zeigen sozialkritisch Zähne, orientieren sich am klassischen 80s-Hardcore. Letzteres Stück rechnet dabei mit dem Kapitalismus ab: "Good things don't come to those who wait / They come to those who take." Doch es geht auch anders. Wenn die Punk-Oldies die knackige Schale ihrer Kompositionen aufbrechen, entstehen im Kern nicht selten wahre Kleinode des poppigen Punkrock, nach denen sich etliche der untenstehenden Referenzbands die Finger lecken würden: Die Hymne "Smile" etwa erinnert stark an die Zeit nach 1986, als Descendents ohne den sich dem Studium widmenden Aukerman und mit Dag-Nasty-Mann Dave Smalley als All unterwegs waren. Das Stück baut sich um einen umarmenden Refrain auf und mutiert dann zu einer waschechten Mitsing-Orgie: "Torn away / And at the end of the day / You can look back / At a game well played." In der Tat gilt das auch für dieses durchweg starke Album. Früher war alles besser? Mitnichten.
Highlights
- Feel this
- Victim of me
- Without love
- Smile
- Spineless and scarlet red
Tracklist
- Feel this
- Victim of me
- On paper
- Shameless halo
- No fat burger
- Testosterone
- Without love
- We got defeat
- Smile
- Limiter
- Fighting myself
- Spineless and scarlet red
- Human being
- Full circle
- Comeback kid
- Beyond the music
Gesamtspielzeit: 31:25 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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fakeboy Postings: 3760 Registriert seit 21.08.2019 |
2020-08-03 18:47:27 Uhr
Das Album ist kürzlich 4 geworden. Ich find's nachwievor toll. Kein Alterswerk sondern ein Werk einer sehr gut gealterten Band. Ich tät mich über ein neues Album sehr freuen. |
Euroboy Postings: 256 Registriert seit 14.06.2013 |
2016-09-14 21:59:33 Uhr
@ZekeCool, wobei das ganze ja ein langer 24min Song ist, der aber aus 21 einzelnen Parts besteht und ihre Tourstops in 2012 aufzählt ua. Berlin, Suttgart und Düsseldorf. Hat aber immer noch diesen typischen Lookout Sound. @ Fred Hmm, schön wär es ja aber so recht daran glauben tu ich nicht. Evtl. kommt ja von ALL nochmal was. |
Fred Perrier |
2016-09-14 19:59:49 Uhr
Eine neue Platte wird wohl nicht so lange auf sich warten lassen, da Milo ja nun jetzt (erst einmal) auf die Karte Profimusiker setzt. |
Zeke Postings: 192 Registriert seit 15.06.2013 |
2016-09-13 23:03:07 Uhr
@EuroboyNeues Chixdiggit Album ab heute zu hören: http://www.vidproxy.com/permalink.php?url=d5D4zsG3n1yrwOe1CfU%2FGgpOMVqlAOKvGJhJyUWKE09C0jsbhugcNkM95RdRPo%2Bgkfyf82FW0cuStPg5nlmidA%3D%3D |
wilson (ausgeloggt) |
2016-08-29 23:30:07 Uhr
hahaha...wie geil, die descendents in den deutschen albumcharts auf platz 8 und in den usa auf platz 20!!! |
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Referenzen
All; Bad Religion; Dag Nasty; Venerea; Stiff Little Fingers; NOFX; No Use For A Name; The Circle Jerks; Minor Threat; Dead Kennedys; Nerf Herder; The Offspring; Guttermouth; Anti-Flag; Green Day; Rancid; Bouncing Souls; The Vandals; Lagwagon; Swingin' Utters; Pennywise; Down By Law; Strung Out; Propagandhi; The Get Up Kids; Hagfish; Midtown; Saves The Day; Millencolin; Snuff; No Fun At All; Satanic Surfers; Rise Against; Yellowcard; Blink-182; Nerf Herder; Ramones; The Clash
Surftipps
- http://www.descendentsonline.com
- http://descendents.tumblr.com/
- http://epitaph.com/artists/descendents
- http://www.indigo.de/unser_programm/titel/13154/
- https://en.wikipedia.org/wiki/Descendents
- https://www.facebook.com/thedescendents/
- https://twitter.com/descendents?lang=de
- https://descendents.bandcamp.com/
- https://www.discogs.com/de/artist/44288-Descendents
- https://vimeo.com/26040538
- http://www.last.fm/music/Descendents
- http://www.rollingstone.com/music/news/descendents-on-the-vi rtues-of-becoming-punk-codgers-20160617
- http://pitchfork.com/features/5-10-15-20/9924-punk-veteran-m ilo-aukerman-of-the-descendents-on-the-music-of-his-life/
- http://www.allmusic.com/artist/descendents-mn0000206407
- http://filtermagazine.com/index.php/exclusives/entry/filter_ 50_milo_turns_50_descendents_grow_up_whether_they_want_to_or _not
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