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Palace Winter - Waiting for the world to turn

Palace Winter- Waiting for the world to turn

Tambourhinoceros / Indigo
VÖ: 03.06.2016

Unsere Bewertung: 9/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Schlafrock

Man trifft sich, beschnüffelt sich, vertraut sich, emanzipiert sich, traut sich, und schon ist ein ganz und gar wunderbares Album fertig. Bei Twitter hätte das wohl genügt als Biographie des dänischen Duos Palace Winter. Ihr könnt nachzählen, es sind tatsächlich weniger als 140 Zeichen. Etwas ausführlicher erzählt, geht die Geschichte so: Caspar Hesselager tourte einst als Gastmusiker mit The Rumour Said Fire, als im Vorprogramm der gebürtige Australier Carl Coleman, der sonst den Alternative Country von Sink Ships anleitet, mit ein paar Solostücken auftrat. Man lernte sich kennen, fand musikalische Überschneidungen, verkroch sich in Hesselagers Kopenhagener Studio und kam mit der EP "Medication" wieder hervor. Und man hätte ihnen einen Pfeil in den Allerwertesten schießen müssen, wenn sie anhand der bestärkenden Resonanz nicht auch noch ein Album in Angriff genommen hätten. Die Vereinigung deutscher Pfeilschnitzer aber bleibt ohne Auftrag, die Köcher unberührt.

"Waiting for the world to turn" bezieht sich auf die nächtlichen Stunden, wenn der Körper mit runtergefahrenem Schutzsystem regungslos im Schlafmodus verweilt, die Welt sich aber weiter unbesonnen dreht – und das rastlose Hirn es ihr gleich tut. "You were dreaming of another place, another name, another face", singt Hesselager mit leicht verschleierter Stimme die ersten Zeilen des sechsminütigen Wabertraums "Dust wind". Ein Filter über die Worte, die Stimme, den Song. Überall springen Textsegmente empor, die auf luzides Träumen rekurrieren wie "You knew the dream was coming to an end" aus "Hearts to kill" oder unruhig auf der Bettkante hin und her rutschen: "I don't wanna sleep, don't wanna breathe." Palace Winter strömen hinaus in die Welt, um als eine elektronische Variante von The War On Drugs jene Menschen glücklich zu machen, die deren "Lost in the dream" – das passt doch mal wie die Faust aufs Auge – lieben lernten.

Beginnend bei eingefadeten Songs und dem atmosphärischen Aufbau bis hin zu dem 80s-Drum-Beat, wie er "H.W. running" befeuert und sich dergestalt "An ocean in between the waves" anschließt, drängt sich der Vergleich in mehrfacher Hinsicht auf. Anders gesagt: Palace Winter erschaffen epische Soundlandschaften, ein unbändiges Gefühl von Weite. Und wie könnte man das besser als mit Americana und 70s-Folk-Rock. Angefüttert mit synthetischer Flächenarbeit und Kraut-Verweisen nutzt das Duo Repetivität als Spannungsbogen. Deshalb überrascht "Positron", als sich nach Minuten der Wohligkeit die Atmosphäre urplötzlich verdüstert und der Track sich ein blubberndes Psych-Rock-Outro über den Frack gießt. Wir hatten uns unter Schlafrock ja immer was anderes vorgestellt, aber bitte, dann eben gerne ohne Würstchen.

Bis auf den Einsatz von Drummer Christian Rindorf (The Rumour Said Fire) haben Palace Winter die Stücke selbst eingespielt, produziert und gemischt. Ihr Sound wirkt schlichtweg mitreißend: eine effektgefütterte Rumpelkammer, in der MGMT genauso ein und aus gehen wie Treetop Flyers und Crosby, Stills, Nash & Young, in der die psychpoppigen "Soft machine" und "What happened" friedlich neben Country und Achtzigerjahre-Utensilien koexistieren. "Hearts to kill" stapft trampelig ins Bild und zieht einen verlotterten Synthschleier über den Boden, wie ein ein Kleinkind, das seinen Stoffteddy am Arm über den Boden schleift. Ein grobschlächtiges "Hoppla, hier bin ich" der feinsten Sorte und Kontrast zum anmutigen Gniedeln des fantastischen "Proclamation day".

Als wäre das nicht genug, entlassen uns Palace Winter mit dem schönsten Doppel seit Mila und Kunis. "My dependence on you frightens me", singt Hasselager im an Aero Flynn erinnernden "Dependance". So klar und letztlich fragil tritt er auf der gesamten Platte nicht in Erscheinung. Der balladesken Kunst-Wolke grätscht eine zeternde E-Gitarre in den Rücken, langsam gleitet das Stück in "Independence" über. Dann setzen Akustikgitarre und Rhythmik ein, und es überkommt einen das Gefühl von Befreiung, von Loslassenkönnen. Man möchte unweigerlich freihändig Fahrrad fahren auf einer menschenleeren Straße, den Lautstärke-Knopf um 180 Grad nach rechts drehen, die Arme ausbreiten. Aus purer Freude. Nur die Erde dreht sich einfach weiter.

(Stephan Müller)

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Highlights

  • H.W. running
  • Proclamation day
  • Dependance
  • Independence

Tracklist

  1. Dune wind
  2. Hearts to kill
  3. Positron
  4. Soft machine
  5. H.W. running
  6. What happened
  7. Proclamation day
  8. Dependance
  9. Independence

Gesamtspielzeit: 42:59 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

NeoMath

Postings: 1676

Registriert seit 11.03.2021

2023-03-05 09:56:10 Uhr
Die Scheibe ist in der Tat richtig gut. Unbedingt auch den mindestens gleichwertigen Nachfolger "Nowadays" hören!

rainy april day

Postings: 634

Registriert seit 16.06.2013

2023-03-05 01:53:18 Uhr
Gerade ohne je einen Ton von ihnen gehört zu haben zum Wegduckeln angemacht, aber ist zu spannend dafür. Schönes Album!

Gordon Fraser

Postings: 2536

Registriert seit 14.06.2013

2021-06-07 21:40:36 Uhr
Immer noch so gut. Begeistert wie beim ersten Mal.

Gilt auch vier Jahre später noch. Allein das grandiose Finale der letzten drei Songs!

Yersinia

Postings: 598

Registriert seit 27.06.2013

2017-09-06 22:43:43 Uhr
Bin gespannt!

Stephan

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 991

Registriert seit 11.06.2013

2017-09-06 10:31:55 Uhr
Der Nachfolger ist übrigens so gut wie fertig.

"Hello World,
We're almost done with the album. We reckon it's our strongest work so far. This record is about death, anxiety and the human condition and it's been a wild experience capturing these songs. We can't wait for you to hear this shit. Hope you're all doing awesome out there. See you very soon!"
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