Marissa Nadler - Strangers

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 20.05.2016
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Endstation Glorie
Gefährlich kann das Schwelgen in den eigenen Gedanken werden für den, der nicht mehr davon loskommt. Und dann, inmitten des schönsten Schwelgens, des totalen Ausblendens der Umwelt, also beim Hören von Marissa Nadlers ungeheuerlichem siebten Wurf "Strangers", verpasst man die Bushaltestelle. Nicht nur eine oder zwei, es wird bis zur Endstation durchgefahren. Und hier, am Arsch der Welt – denn an den Ärschen der Welt liegen nun einmal die meisten Endstationen – ist man doch nicht vollkommen aufgeschmissen. Denn egal, wo und wie und bei welchen Fremden man da gelandet ist, es besänftigt einen ja weiter die hauchende Kopfstimme dieser Amerikanerin, die den Hörer so heftig zerfahren mit ihrer intimen Intensität begleitet. Wer derart ätherisch singt, klar in Höhen, rumorend in Tiefen und dabei kraftvoll, dem folgt man überall hin. Zierlich und gleichzeitig durchtrieben, das können viele, beispielsweise auch Lana Del Rey. Doch diese muss alles leicht aufplustern, amerikanische Flaggen verbrennen und Chevys am Straßenrand verschrotten, als misstraue sie ihrer eigenen Musik ein wenig, dass diese ihr Trübsal nicht ausreichend transportiert und daher das Drumherum benötigt.
Nicht so Nadler. Die vertraut ihren eigenen Songs, zutiefst, absolut und blind, was stellenweise schon verhängnisvoll erscheint. Denn sie mischt geradezu untertänig das Obskure mit den eigenen Befindlichkeiten. Letztere hinterfragt sie, das andere nicht. Als würde sie einer dunklen, apokalyptischen Macht willig folgen, die allzu energisch an ihrer Hand reißt. "Strangers" ist daher ein Album, dem Hörer mehr misstrauen sollten, als es Nadler selbst tut. Es verpackt eine Lebensbitternis in galante Arrangements. Es verführt zu etwas, das man eigentlich gar nicht möchte. In "Katie I know" darben die Streicher dick aufgetragen im Hauptteil, Drone-Sounds verhallen bei "Hungry is the ghost" in einer enormen Dramatik, wie sie Randall Dunn schon für Sunn O))) produzierte. "Janie in love" ist das impulsivere E-Gitarren-Stück mit einem weltumschließend-hünenhaften Refrain. Schön und graziös ist das zu jedem Moment, dabei so pittoresk, dass es unheimlich wird. Sollte das ein Schleier sein, fällt er nicht, auch nicht mit "Dissolve", einer Auflösung, in der Nadler zurückgenommene Folklore preist. "I don't care about anybody / Except a few around / And you never bring me down", heißt es da im Echo.
Dabei hat Nadler schon zuvor in "Shadow show Diane" ihr eigentliches Anliegen vorgetragen. Sie singt von ihrer Langeweile vor dem Fernseher, davon, wie sie sich auf die Veranda schleppt und beliebige Menschen, eben die "Strangers", fotografiert. Unglaubliche Menschen, in Szenerien, die ihr Mann ihr niemals glauben würde. Dabei möchte sie auch nur jemand sein, der irgendwann, von irgendjemandem gesehen wird. Ein Rollentausch. Und wie sie da auf der Veranda weilt und Schatten interessanter als ihre austauschbaren Träger findet, stöhnt sie lebenserfahren: "I feel you." Marissa, wir fühlen dich auch.
Highlights
- Janie in love
- Shadow show Diane
- Dissolve
Tracklist
- Divers of the dust
- Katie I know
- Skyscraper
- Hungry is the ghost
- All the colors of the dark
- Strangers
- Janie in love
- Waking
- Shadow show Diane
- Nothing feels the same
- Dissolve
Gesamtspielzeit: 45:22 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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AliBlaBla Postings: 7457 Registriert seit 28.06.2020 |
2024-08-10 13:20:46 Uhr
Tolle Rezi, tolles Album... |
Marissa-Nadler-Powervoter |
2018-11-22 09:43:46 Uhr
Das Original von Lena gefällt mir noch einen Tick besser. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28011 Registriert seit 08.01.2012 |
2016-05-24 22:31:16 Uhr
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Der Untergeher User und News-Scout Postings: 1874 Registriert seit 04.12.2015 |
2016-05-21 13:53:59 Uhr
Sehr schönes Album! Läuft gerade bei mir; packt mich deutlich mehr als gestern beim ersten Durchgang. Tolle Atmosphäre und gelungene Verstärkung durch breitere Orchestration. Zum Glück geht durch den Band-Einsatz keinesfalls die Subtilität der Stücke verloren. |
retro |
2016-05-21 09:10:10 Uhr
ist wieder gut geworden. wann kommt die rezi? |
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Referenzen
Lana Del Rey; Chelsea Wolfe; Beth Gibbons & Rustin Man; Kate Bush; Natalie Merchant; Laura Gibson; Susanna; Joni Mitchell; Nico; Joanna Newsom; Julia Holter; Soap & Skin; Swans; Sunn O))); Antony & The Johnsons; Anohni; Scott Walker; CocoRosie; St. Vincent; Alela Diane; Emily Jane White; Tara Jane O'Neil; Neko Case; Jolie Holland; Sandy Denny; Meg Baird; The Baird Sisters; Vashti Bunyan; RF & Lili De La Mora; Emilíana Torrini; Isobel Campbell; Dear Euphoria; PJ Harvey; Josephine; Nina Nastasia; Emily Wells; Shannon Wright; Emily Loizeau; Bill Callahan; Leonard Cohen; Agnes Obel
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