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Anohni - Hopelessness

Anohni- Hopelessness

Rough Trade / Beggars / Indigo
VÖ: 06.05.2016

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Dance the pain away

In sich ist das stimmig: "Drone bomb me" singt Anohni, und so kühl wie der Krieg heutzutage vom Computer aus gesteuert wird, klingen auch die Beats. Irritierend hingegen wirken die Fanfaren im Song, bis man begreift, dass Anohni aus der Perspektive eines Mädchens in Afghanistan singt, dessen Familie bereits im Gefecht ums Leben kam. Sie sehnt sich deshalb nach Wiedervereinigung mit den Lieben im Jenseits und deshalb der Auslöschung im Diesseits. Verkörpert wurde das Mädchen im Video zum Song von Naomi Campbell, eine unglückliche Wahl, da Campbell zum einen bei weitem aus dem Mädchenalter heraus ist, zum anderen verbinden sich mit ihrem Gesicht vor allem Geschichten, die von Zickigkeit erzählen.

Ganz anders sie selbst, die früher Antony Hegarty hieß und mit Antony & The Johnsons vier Alben im Stil des Barock-Pops veröffentlicht hat und sich dabei und drumherum als talentierte Netzwerkerin bewiesen hat, die Künstler wie Björk, Devendra Banhart und Boy George für ihre Songs gewinnen konnte, als auch bei diversen Kollegen von Lou Reed bis Herbert Grönemeyer gastierte. Eine ihrer erfolgreichsten Zusammenarbeiten war die für das Debütalbum des Projekts Hercules And Love Affair. Damals merkte man schon, wie gut der sanfte, zwischengeschlechtliche Gesang der New Yorkerin zu elektronischer Musik passt. Sang sie bislang vor allem über ihr Seelenleben und kleidete diese Schmerzensszenarien in dramatisch auf- und abschwellende Streicher- und Klavier-Epen, schaut sie mit dem neuen Album auf die Welt, die sie umgibt und singt über die Themen, die sie aktuell bewegen: Drohnenkriege, Umweltzerstörung, Überwachungsstaat. What’s going on?

Dazu passt der extrovertierte Sound, den Hudson Mohawke und Oneohtrix Point Never für den Albumbeginn produziert haben: viele Fanfaren, Glöckchen, Hi-Hats im ersten Drittel der Platte. Spätestens beim monotonen Singsang zum dunklen Grollen trübt sich aber auch das Soundbild dunkel. Herrschte vor Obamas Präsidentschaft "Hope", hat sich längst "Hopelessness" ausgebreitet, weil Obama die hohen Erwartungen, die auch Anohni in ihn gesetzt hatte, nicht erfüllt hat. Sicher nicht zufällig folgt "Obama" in der Tracklist auf "I don't love you anymore". Danach werden die Songs wieder harmonischer, die Töne heller, obwohl nach dem Vorabsong "4 degrees" an der Stelle das Thema der zunehmenden, globalen Umweltzerstörung noch einmal aufgegriffen wird und bei "Crisis" erneut die Drohnenkriege thematisiert werden. Dessen Snares in Klang und Rhythmus nebenbei gesagt verblüffend denen von Ibeyis "River" ähneln.

"Hopelessness" ist ein sehr gutes Album, obwohl es in mancher Hinsicht unentschlossen wirkt. Um die politische Botschaft im Pop-Gewand zu übermitteln, ist das Album nicht poppig genug; das haben Chumbawamba deutlich plakativer sowohl im Stil als auch in der Botschaft geschafft. Als reine Kopfplatte ist die Scheibe wiederum doch zu eingängig. Zu guter Letzt bleibt auch die Frage, ob nicht eh nur die erreicht werden, die ähnlich denken. Um sich mit der Musik einer Transgender-Frau, die zu teils wenig melodiösen Songs ohne prägnanten Refrain singt, zu beschäftigen, gehört schon eine grundsätzliche Offenheit. Und Konzertkarten um die 70 Euro plus Gebühren kann sich in erster Linie auch nur das linksliberale Bürgertum aus den pittoresk sanierten Altbauvierteln leisten. Es ist ein Dilemma. Aber sonst trüge das Album auch einen anderen Titel.

(Johannes Mihram)

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Highlights

  • Drone bomb me
  • 4 degrees
  • Execution
  • Crisis

Tracklist

  1. Drone bomb me
  2. 4 degrees
  3. Watch me
  4. Execution
  5. I don't love you anymore
  6. Obama
  7. Violent men
  8. Why did you separate me from the Earth
  9. Crisis
  10. Hopelessness
  11. Marrow

Gesamtspielzeit: 42:13 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Catweazle
2016-06-30 12:49:19 Uhr
Um genau zu sein, waren es 63,50 €. War sicher mit ein Grund, dass es nicht ausverkauft war. Das E-Werk war, wohl deshalb, bestuhlt (habe ich dort noch nie erlebt).

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2016-06-30 10:50:04 Uhr
65 Euro?????
Dennisol
2016-06-30 07:57:33 Uhr
Was rechtfertigt bei diesem Act eigentlich einen Preis von über 60,- EUR? Ist doch eher so eine Szene-Figur, auch die vorherige Band war doch eher ein Kritikerliebling und hatte eine relativ kleine Fanbase, oder?
hut ab für diesen mut
2016-06-30 00:15:09 Uhr
Anohni komplett verhüllt (auch das Gesicht!)

schöne islamkritik-art-performance!
Catweazle
2016-06-29 23:49:42 Uhr
Ganz einfach: ich finde Antony and the Johnsons großartig und habe mir die Karte gekauft, bevor die CD erschien. Hätte ich die vorher gehört, wäre mir das sicher nicht passiert. Bin übrigens gerade aus Köln zurück und fand es nicht ganz so schlimm wie befürchtet, aber es war so weit von einem Live-Konzert entfernt wie ich es noch nie erlebt habe. Musik aus der Konserve, Anohni komplett verhüllt (auch das Gesicht!), wenig Licht, keinerlei Kontakt zum Publikum (kein einziges Wort!), keine Zugabe. Konzertlänge 65 min., macht 1 €/min.
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