The Joy Formidable - Hitch
Membran / Sony
VÖ: 25.03.2016
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
How soon is soon?
Propheten und Weissager lassen sich an vielen Orten antreffen: in der Fußgängerzone, in der Zeitung, auf AstroTV. Die Vorhersage der Zukunft ist aus gutem Grund ein großer Traum der Menschheit – wer würde nicht gerne die nächsten Lottozahlen schon vorher wissen oder ob der Installateur denn tatsächlich innerhalb der nächsten acht Stunden noch kommt? Kollege Baschek übte sich ebenfalls bereits in dieser Disziplin und läutete im noch jungen 2013 seine Rezension zu The Joy Formidables zweiten Album "Wolf's law" mit den folgenden Worten ein: "Wer es noch nicht mitbekommen hat: The Joy Formidable werden bald riesig sein." Ein kühner Blick in die Glaskugel, doch leider lässt der Ruhm drei Jahre später noch auf sich warten. Aber als Sprachwissenschaftler oder The-Smiths-Anhänger mag man entgegnen, "bald" sei ja auch nur ein relativer Begriff. Und Hörer des Drittlings "Hitch" können im Anschluss nur konstatieren, es sei nun wirklich höchste Eisenbahn! Was die drei Waliser hier auffahren, ist in der Tat riesig, in Qualität und Quantität. Bombastische Hooks, lange Songs, großes Selbstbewusstsein. Ein Album, das auf eine Leinwand projiziert werden will. Sie machen quasi ihr "Be here now", ohne vorher ihr "Definitely maybe" oder "(What's the story) morning glory?" eingereicht zu haben.
"Hitch" ist mit seinem offenen Sound wie geschaffen für die großen und freien Momente im Leben, wenn ein euphorisches Gefühl der Unbesiegbarkeit überhand nimmt. Ein unbestreitbarer Drang liegt hinter dem mit Shoegaze und Folk angehauchten Indie-Rock der Band, passend zum Road Trip mit Freunden oder zur ausgelassenen Strandparty. Schon gleich das Eröffnungstrio lässt beim ersten Durchlauf die Frage aufkommen, ob da gerade bereits das Album des Jahres im Player spielt und sollte kaum noch jemanden daheim im Sessel halten. Vor allem "Radio of lips" besitzt eine infizierende Melodie, die sich auch ohne ausgedehnte sechs Minuten Laufzeit ins Hirn gefräst hätte. Die erste Single "The last thing on my mind" shuffelt sich nach einleitendem Studiogeplänkel deutlich zurückhaltender ins Bild, um im Refrain umso wirkungsvoller zu explodieren und sich anschließend in der eigenen Geilheit ausgiebig zu wälzen. Äußerst simpel, dennoch eindrucksvoll ist zudem das begleitende Video, welches Frontfrau Ritzy Bryan als Kontrapunkt zur Sexualisierung der Frauen in den Medien verstanden wissen will. Auf vergleichbare Weise läuft diesmal die Männerwelt mehr oder weniger nackig Parade, Altersbeschränkung des Clips inklusive. Das sitzt.
Auch wenn im folgenden Teil das Tempo abreißt, behalten The Joy Formidable immer die Oberhand. "The brook" beginnt als halbakustisches Midtempolied, um nach und nach am Lautstärkeregler zu drehen, bis zum überwältigenden Finale. Ein wenig "Disarm" von The Smashing Pumpkins klingt durch, Bryans eindringlicher Gesang sorgt jedoch für eine ganz eigene Intensität. Ähnlich funktioniert "Underneath the petal", bei dem auch ohne breitbeinige Riffs eine Menge Druck erzeugt wird. Auf der lärmigen Seite ist "Blowing fire" genauso straight wie ausgeklügelt, schafft deshalb auch das Kunststück, von Anfang an zu begeistern und trotzdem nicht schwächer zu werden. Das Album evoziert stets den Geist des Alternative aus den Neunzigern, bleibt aber nie bloße Reminiszenz oder gar ein Abklatsch, sondern trifft an jeder Stelle die richtigen Entscheidungen, um den Sound voran zu bringen. Im Verlauf der Spielzeit erschafft "Hitch" eine Welt, in der Garbage nie langweilig geworden sind oder Sonic Youth sich mit einer verdammt eingängigen Hitmaschine gepaart haben und hält dabei einen immensen Spaßfaktor bereit.
Nach dem letzten Aufbäumen der Akkorde hinterlässt das Album den Hörer zunächst geplättet angesichts der aufgefahrenen Masse und Klasse. Doch genügend Songs machen unmittelbar abhängig, um den nächsten Durchlauf in kürzester Zeit folgen zu lassen. Die Stücke, die scheinbar unauffällig zwischen den offensichtlichen Hits platziert sind, wirken später umso mehr – die sich herausschälende Hook in "Liana" oder der dynamisch und bombastisch hin- und herpendelnde Closer "Don't let me know", beispielsweise. Seinen größten Trumpf spielt "Hitch" konsequenterweise erst in der zweiten Hälfte aus: "Fog (Black windows)" erzeugt mit seiner schattigen Zurückhaltung samt einer wunderschönen Gitarrenlinie Gänsehaut und den wohligen Kontrapunkt inmitten dieser unter Strom stehenden Biester. Diese Platte feiert sich und ihre Exzesse vollkommen zurecht. Selten waren minutenlange Eskapaden so angebracht und wirkungsvoll wie in diesem Fall. Musikalisch sind The Joy Formidable jetzt endgültig riesig, doch ob das passende Standing in der Musikwelt folgen wird, weiß mal wieder nur die Glaskugel. Aber wenn es mit "Hitch" nicht klappt, mit was dann?
Highlights
- Radio of lips
- The last thing on my mind
- The brook
- Fog (Black windows)
Tracklist
- A second in white
- Radio of lips
- The last thing on my mind
- Liana
- The brook
- It's started
- The gift
- Running hands with the night
- Fog (Black windows)
- Underneath the petal
- Blowing fire
- Don't let me know
Gesamtspielzeit: 66:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33330 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-09-18 21:37:05 Uhr
Der Mittelteil ab "Last thing on my mind" ist grandios. Generell ein tolles Album. Warum ausgerechnet das nochmal schlechter bei rym steht als der Rest bleibt natürlich ein Rätsel. Keine Ahnung, was da los ist... |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10102 Registriert seit 26.02.2016 |
2021-02-15 19:01:36 Uhr
Naja, Oasis hatten vorher auch "Listen Up" oder "Champagne Supernova".Auf "Hitch" wurde das aber gemaxt. Für mich auch definitiv nicht anstrengend, nach dem Debüt ihre beste für mich. Aber die Kritikpunkte von anderen sind fast die gleichen wie bei "Be Here Now". |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33330 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-02-15 17:55:32 Uhr
OK, ich seh grad, im Durchschnitt hast du recht, da sind die Songlängen doch größer. Trotzdem fühlt sich das Album für mich nicht wirklich schwerer, länger, anstrengender an als beide Vorgänger. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33330 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-02-15 17:54:15 Uhr
Hmm, nee, also da waren die Vorgängeralben ja das gleiche Kaliber, eher sogar länger. Also den Vergleich seh ich nicht so. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10102 Registriert seit 26.02.2016 |
2021-02-15 17:15:40 Uhr
Schon im Sound, der Länge der Songs, alles größer, breiter... |
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Referenzen
Garbage; Courtney Love; Hole; Sleater-Kinney; Yeah Yeah Yeahs; Juliette & The Licks; Sheryl Crow; Courtney Barnett; The Distillers; Savages; Be Your Own Pet; Bruce Springsteen; Blood Red Shoes; Mikal Cronin; Biffy Clyro; Foo Fighters; Nirvana; Pixies; The Vines; O. Children; Noisettes; The Raveonettes; You Say Party; You Say Party! We Say Die!; Help She Can't Swim; Sonic Youth; Team Dresch; Warpaint; Parfum Brutal; These New Puritans; Wild Nothing; White Hinterland; Salem; We Have Band; Modern Witch; School Of Seven Bells; The Smashing Pumpkins; Nine Black Alps; My Vitriol; The Von Bondies; The Datsuns; Queens Of The Stone Age; Kyuss; Them Crooked Vultures; Cloud Nothings; DIIV; The Sounds; Oasis; Dinosaur Jr.; Arcade Fire
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