Meilyr Jones - 2013
Moshi Moshi / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 18.03.2016
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Wege nach Rom
Johann Joachim Winckelmann ist bekannt dafür, dass er Hochkultur in neunmalkluge Sätze gepackt hat. Er sagte Dinge wie: "Das Schöne besteht in der Mannigfaltigkeit des Einfachen; dieses ist der Stein der Weisen, den die Künstler zu suchen haben." Schön gesagt, Herr Winckelmann, wenn auch nicht ganz einfach. Einer noch? "Allein die Kunst ist unerschöpflich." Wenn auch schwer vorstellbar, so müssen es diese Weisheiten gewesen sein, die Meilyr Jones in einer schwierigen Lebensphase aufgebaut haben. Die Freundin: abgehauen. Seine Band Race Horses: Geschichte. Und Jones? Sitzt da, gefangen im schwarzen Loch seiner Verbitterung mit einem Buch über klassische Skulpturen. Geschrieben von jenem Winckelmann, der als Urvater neuzeitlicher Kunstgeschichte gehandelt wird. Das war Anfang 2013. Kurz bevor der Waliser seine Sachen gepackt, sich die Schriften von Hector Berlioz und Lord Byron unter den Arm geklemmt hat und ins Flugzeug gestiegen ist. Wohin? Winckelmann hat es gut 250 Jahre früher vorgelebt. Alle Wege führen nach Rom.
Irgendetwas muss mit Jones in Italien passiert sein. Sein Jahr "2013", das er nun besingt, nahm eine epiphanische Wendung, die klassische Touristenerlebnisse zwischen Kolosseum und Rotwein am Trevi-Brunnen vatikanhügelhoch überragt. Aus seinem fragmentarischen Zustand heraus hat er wie ein römischer Bildhauer nach Vollkommenheit gesucht. Heraus kam ein Gesamtkunstwerk, das alle Kitschallüren von Race Horses abgelegt hat. Jones klingt nicht weniger pathetisch. Doch selbst das gottergebene "Love" wirkt wie ein gezielter Schlag mit dem Meißel. Das muss so sein, das passt, genau an dieser Stelle.
Winckelmann und Jones teilen ein gemeinsames Schicksal. Erst in Rom haben beide in Worte gefasst, was Schönheit bedeutet. Über Ideale lässt sich streiten. Aber Jones hat in seinem Jahr und Album "2013" genau die richtigen Entscheidungen getroffen, um über das Resultat sagen zu können: Das ist Kunst! "How to recognise a work of art" hat der Künstler dem Wissenschaftler gewidmet. Nicht ohne seine eigenen Einflüsse aus Jahrzehnten der Popkultur zu verraten: "I saw your video / Of you with Kurt Cobain / You're isolated, oh / Eyes I couldn't recognise / It's not there / It's a fake." Dem spindeldürren Kunstfreund gelingt mit "2013" der Gang über das Drahtseil ohne Sturz, indem er Gegenpole erzeugt. Euphorie und Demut. Pathos und Einfachheit. Orchester und Solopiano. Flöten und Tuba akzentuieren "Passionate friend". Den Kontrast liefert das angenehm zurückhaltende Klavierstück "Refugees". "Rain in Rome" konterkariert die durchstrukturierte Liebeserklärung "Rome" mit, nun ja, Regen und Leerstellen. "Strange emotional" beschreibt seinen Weg aus der Sinnkrise: "I'm happy to say / I found a way." Vor seinem Selbstfindungstrip, sagt Jones heute, hat er daran gezweifelt, überhaupt noch einmal Musik zu machen.
Glücklicherweise hat er sich für die Musik entschieden und statt im Selbstmitleid zu versinken eine ganze Reihe seelischer und musikalischer Helfershelfer zusammengetrommelt. Seine Zitatensammlung reiche von besagten Berlioz und Byron bis zu Ken Loach und Lady Chatterley in "Refugees", David Bowie und Orson-Welles-Perspektiven in "Featured artist", heißt es nahezu anmaßend im Pressetext. Ein Projekt, das an der eigenen Überladung scheitern könnte. Wenn da nicht der behutsame Umgang in der Umsetzung wäre. Zurück in London hat er ein 30 Köpfe starkes Ensemble um sich geschart, zusammengesetzt aus klassischen und modernen Instrumentalisten wie Lucy Mercer von Stealing Sheep, um nur einen Namen zu nennen. "Ich wollte die Seele Roms einfangen, die Mischung aus Hochkultur und Anspruchslosigkeit." Das ist ihm zweifellos gelungen. Vielleicht sollte aber derjenige das Album bewerten, ohne den es niemals entstanden wäre. Also Herr Winckelmann, ein letzter kluger Spruch: "Der Künstler muß mit Feuer entwerfen und mit Phlegma ausführen." Hochtrabend wie zutreffend.
Highlights
- How to recognise a work of art
- Passionate friend
- Featured artist
Tracklist
- How to recognise a work of art
- Don Juan
- Passionate friend
- Refugees
- Rome
- Rain in Rome
- Strange emotional
- Return to life
- Love
- Olivia
- Featured artist
- Be soft
Gesamtspielzeit: 49:46 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
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Mixtape User und Moderator Postings: 1926 Registriert seit 15.05.2013 |
2016-04-14 21:07:09 Uhr
Ich bin immer noch ganz verliebt in das Album. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27219 Registriert seit 08.01.2012 |
2016-03-30 22:31:01 Uhr
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Mixtape User und Moderator Postings: 1926 Registriert seit 15.05.2013 |
2016-02-13 05:23:33 Uhr
Das Debütalbum des Briten erscheint am 18.3. und nach diesen beiden Clips stehe ich in Flammen:http://www.vevo.com/watch/artist/meilyr-jones http://www.vevo.com/watch/meilyr-jones/refugees/GBP251500017 |
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Referenzen
Race Horses; Gruff Rhys; Super Furry Animals; Stealing Sheep; Neon Neon; Euros Childs; Johnny Flynn; James Yorkston; John Grant; Sweet Baboo; Steven James Adams; Martha Ffion; Get Well Soon; Gnoomes; Patrick Wolf; Gorky's Zygotic Mynci; Wild Beasts; Lawrence Arabia; Antony & The Johnsons; Perfume Genius; Efterklang; Mountain Thief; The Antlers; The Decemberists; The Divine Comedy; Jarvis Cocker; Ed Harcourt; Andrew Bird; Brett Anderson; Owen Pallett; Jens Lekman; Tiger Lou; Cashier No. 9; The Apples In Stereo; Admiral Fallow; Alasdair Roberts; Alvvays; Angus & Julia Stone; Ariel Pink's Haunted Graffiti; Benjamin Gibbard; Death Cab For Cutie; The Moonlandingz; Tuff Love
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- Meilyr Jones - 2013 (3 Beiträge / Letzter am 14.04.2016 - 21:07 Uhr)