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Boris with Merzbow - Gensho

Boris with Merzbow- Gensho

Relapse / Rough Trade
VÖ: 18.03.2016

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Feedbackkultur

"Porzellan und Elefanten, Cops und Demonstranten / Keith and Mick, Sonny and Cher, Attac und Banken." Wie die Volksbeobachter Deichkind in einer ihrer jüngsten Singles anmerkten, gibt es Assoziationen, die einfach offensichtlich sind. "Natural pairings" nennt der Engländer das, und die japanische Band Boris und ihr Landsmann Masami Akita, besser bekannt als Merzbow, bilden ein solches Paar. Beide machen etwas, was man grob umfassend als "Noise" bezeichnen kann, beide haben zudem ihr 20. Karrierejubiläum mehr oder weniger weit hinter sich gelassen. Kooperiert haben sie in der Vergangenheit schon des Öfteren, doch das vorliegende neue Werk "Gensho" ist ein Biest ganz anderer Art.

Übersetzt bedeutet der Albumtitel "Phänomen" und man möchte applaudieren angesichts dieser passenden Bezeichnung. Hier treffen zwei Feedbackkulturen aufeinander: Während Boris ihren Sound traditionell aus Verzerrern und Verstärkern bauen, verschanzt sich Merzbow lieber hinter seinem Laptop, um seinen mittlerweile mit ™ zu markierenden Lärm aus allen denkbaren Frequenzen auf den Hörer loszulassen. Sascha Lobo würde nun "tl;dr: Die einen dröhnen, der andere fiept" drunter klatschen und fertig wäre die Laube. Der Clou, weshalb die Idee des Albums aber so spannend ist, besteht darin, dass die Stücke jeweils nur Material eines Kollaborationspartners enthalten. Die Musik ist allerdings so synchronisiert, dass sich die CDs, Vinyls oder Dateien beim gleichzeitigen Abspielen ergänzen und eine völlig neue Klangdimension schaffen sollen. Man erhält folglich zwei Soloplatten und ein gemeinsames Album in einem. Das Konzept ist nicht gänzlich neu: Boris selbst übten sich 2005 auf ihrem Album "Dronevil" bereits im Synchronspielen, und noch im alten Jahrtausend riefen schon die Flaming Lips mit "Zaireeka" zur kollektiven Boombox-Party auf.

Einzeln gehört dürfte für geschätzt 95% der Menschen die Boris-Hälfte deutlich verdaulicher sein. Für "Gensho" haben sie Stücke quer durch ihr Repertoire ohne Percussion neu eingespielt. Erfreulich ist, dass die Auswahl der Songs von 1998 bis 2014 reicht und auch ihr My-Bloody-Valentine-Cover "Sometimes" vom Tribute-Album "Yellow loveless" dabei ist. Zeigten sich Boris auf ihren letzten Alben vergleichsweise zugänglich und aufgeräumt, bleibt ihr Beitrag hier weniger greifbar, was nicht zuletzt den fehlenden Drums geschuldet ist. Trotzdem schaffen die Songs eine wohlige Atmosphäre, in der sich Gedanken wunderbar verlieren können.

Was man von Merzbows Seite der Medaille eher nicht behaupten kann. Seine vier vinylseitenlangen Tracks ziehen wie gewohnt alle White-Noise-Register und können in der falschen Stimmung entnervend wie ein Staubsaugergeräusch wirken. Doch wie nur wenige sonst schafft es Akita, aus scheinbar undurchdringlichen Soundwänden Formen zu bilden, Muster einzuschleifen und den Hörer letztlich zu belohnen. Schönheit und Hässlichkeit verschmelzen zu einer Masse und zermatschen das Gehirn, bis nur noch Wohlgefühl übrig bleibt. "Goloka pt. 2" entwickelt etwas, das man beinahe als Groove bezeichnen kann und sticht am meisten hervor. Der Abschluss "Prelude to a broken arm" ist dann ein Ausbund an Lautheit, der sich zumindest in dieser Hinsicht mit Akitas Loudness-War-Massakern "Venereology" oder "Pulse demon" aus den Neunzigern messen kann.

Aber geht das Konzept auf, die beiden Alben parallel abzuspielen? Absolut. Merzbows Soundattacken geben dem tiefen Rauschen von Boris eine Kontur, welche die Songs in gewisser Form konkreter und abwechslungsreicher macht. Im Gegenzug gestalten die sanfteren Ansätze des ersten Tonträgers die Anstrengungen des zweiten deutlich magenverträglicher. Äußerst praktisch: Jeder Hörer kann selbst entscheiden, welchen Noise-Anteil er im Sound verträgt, indem er die Lautstärke der beiden Teile variiert. (Im Praxistest hat sich bewährt, die Merzbow-Hälfte leiser unter das Verzerrerbrummeln von Boris zu mischen, ansonsten gehen Letztere über weite Strecken im Getöse unter.) "Gensho" kann demnach die gegenseitige Ergänzung als vollen Projekterfolg verbuchen. "YouTube und GEMA, Schiri und Trainer, Farin und Bela" - Boris und Merzbow.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Sometimes
  • Akuma no uta
  • Goloka pt. 2

Tracklist

  • CD 1
    1. Farewell
    2. Huge
    3. Resonance
    4. Rainbow
    5. Sometimes
    6. Heavy rain
    7. Akuma no uta
    8. Akirame flower
    9. Vomitself
  • CD 2
    1. Planet of the cows
    2. Goloka pt. 1
    3. Goloka pt. 2
    4. Prelude to a broken arm

Gesamtspielzeit: 148:59 min.

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User Beitrag

Achim

Postings: 6286

Registriert seit 13.06.2013

2016-03-28 21:14:19 Uhr
Werde mir das jetzt nun mal in Audition reinziehen, mit den Lautstärken experimentieren und jeweils die beste Mischung als neuen Track speichern.

Achim.

Randwer

Postings: 3558

Registriert seit 14.05.2014

2016-03-28 18:55:18 Uhr
Farewell und Huge mit Planet of the Cows ist zweifellos delikater Ohrenschmaus.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10480

Registriert seit 26.02.2016

2016-03-17 13:33:53 Uhr
Die Doris hat es dem Hörer zumindest einfacher gemacht. :-) Dafür gab es da am Ende nur quasi 2x Mono zusammengemischt, bei Boris jetzt 2x Stereo.

Ein Mash-Up...da würde für mich auch noch dazu gehören, das Ausgangsmaterial zu mixen und zu verändern, anstatt es nur übereinander zu legen. "Gensho" wurde zudem halt direkt mit dem Ziel des parallelen Abspielens erschaffen.
RevCo Inc
2016-03-17 10:03:51 Uhr
Diesen Aufwand kann ich ja mit jedem beliebigen Audiomaterial betreiben.. und dann ist das nicht mehr so weit von MashUps entfernt.

Da scheint mir das Konzept der Tödlichen Doris (glaub ich) stimmiger: Die hatten auf dem linken und rechten Kanal jeweils unterschiedliche Musik, die man auch stereo abspielen konnte.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10480

Registriert seit 26.02.2016

2016-03-17 09:53:41 Uhr
Ich habe das mit den digitalen Dateien und einem Audiobearbeitungsprogramm (GoldWave) gemacht. Damit ging das ganz bequem, die zusammen zu mischen. D.h. wenn du die CDs hast, dann am besten digitalisieren, falls du nicht tatsächlich zwei Player hast.

Mit Zeitversetzung habe ich nicht experimientiert, nur mit unterschiedlichen Lautstärken, was - wie in der Rezension beschrieben - zum Ergebnis hat, dass Merzbow um einiges leiser reingemischt werden sollte.
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