Primal Scream - Chaosmosis
Ignition / Indigo
VÖ: 18.03.2016
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Hit me!
Das Chaos muss irgendwie angefangen haben, mit Urknall, Urmensch oder Urschei. Eine unkenntliche Krakelei beginnt doch auch mit dem Stift und einem ersten Punkt auf leerem Weiß. Bei Bobby Gillespie war es eine merkwürdige Art zu fühlen, die ihn von The Jesus And Mary Chain abkoppelte und in die eigene Band Primal Scream trieb. Er ist überempfindlich, hört in der Stille noch Lärm; für ihn gleicht sanfter Windstoß einem Sturm. Früher versuchte er das böse Zentrum von allem (Hirn) mit allem Möglichen auszuschalten (vgl. "Liste der psychotropen Substanzen des Bundesamts für gesundheitliche Aufklärung"). Bleibt die Außenwelt chaotisch, leidet die innere darunter. Jede Flucht ist verdammt und scheitert. Gerade, wenn eine Band im Tumult das Zauberhafte sucht. Und aus Punkattitüden und Popfinessen und Rockgitarren und Gospelchören und elektronischen Flirts etc. pp. ein Wahrnehmungsprodukt erstellt, das vertontes Chaos darstellen soll.
Bisher war es vertane Zeit, die Anfangspunkte der Kritzeleien, die Primal-Scream-Alben ausmachen, zu suchen. Wer würde schon behaupten "XTRMNTR" ginge zurück auf eine derbe Industrial-Disko oder das letzte Werk "More light" sei ins Jazz geglittener Britpop? Eben, reduktionistischer Blödsinn. Trotzdem versucht, ist "Chaosmosis" aus den Pop-Forderungen des Bandmanagers erwachsen: Der wollte eingängige Songs, was allesamt sind, die möglichst kurz dauern (nur drei Titel über vier Minuten), die auch im Radio stattfinden könnten. Punktypen lassen sich das nicht gern sagen, aber ihrem richtungslosen Drang helfen oft solche Leitplanken. Primal Scream werden die Idee gemocht haben. Und hat sie mit enormer Leicht- und Lieblichkeit umgesetzt. Beginnend beim bombastischen Schunkel-Pop "Trippin' on your love" mit Fuzzgitarren und den Girlies von Haim, die im Hintergrund flöten. Diese jungen Amerikanerinnen wollen nach den 80ern klingen, der in den 80ern musikalisch sozialisierte Gillespie möchte nach Heute klingen – das passt. In dem Vielerlei auf "Chaosmosis" schreien Primal Scream ihre Verjüngung geradezu entgegen.
Haim helfen ein weiteres Mal im drückenden "100% or nothing" aus. Sky Ferreira begleitet unter die Diskokugel des schmissigen "Where the light gets in" und unter die Flutlichter aus Synthesizern. In der zurückgenommenen Ballade "Private wars", die mit schwummrigen Streichern wie ein Fremdkörper heraussticht, barmt sich Rachel Zeffira von Cat's Eye leise. Gillespie, mittlerweile glücklich verheiratet, verarbeitet verkorkste Leben, verhinderte Lieben und seine Einsamkeit. Wenn einer ständig die Sonnenbrille aufhat, sind dessen Tränen unkenntlich. Doch ist dies auch ein bestimmendes Thema von Primal Scream, die Unzufriedenheit mit sich, ständig falsch verstanden zu werden oder auch mal Ohnmächtig zu fallen, in all dem Chaos. Dabei hat Gillespie seinen Humor (wieder-)gefunden. Er kokettiert im müden Flöten-Boogie "I can change" damit, dass er es nicht kann. Oder singt in "Golden rope" nach großen "Hallelujah"-Chören in einem schönen Morrissey-Moment: "I love that there is something wrong with me." Ein Witz, über den nur derjenige lacht, der sich selbstentblößt. Dabei stampfen die Synthies in "Carnival of fools" wie in schummriger Trance. Bis "Autumn in paradise" in liebliche Harmonien einlullt.
Allzu viel wurde über Gillespies Obsession mit den Rolling Stones und "Exile on Main St" berichtet. Natürlich sind sie weiter Teil seiner musischen DNA. Doch jede Faszination nutzt sich mal ab, anstelle der alten treten neue. Und auf "Chaosmosis" sind New Order, Phoenix und The Strokes Teile der Klangfamilie. Den Elektro-Pop-Drehpunkt haben Primal Scream stets mitgeschleppt, doch nie war er derart dominant. Die Ehre gebührt den Schotten, auch für das hässlichste Albumcover in 2016.
Highlights
- Trippin' on your love
- Where the light gets in
- Autumn in paradise
Tracklist
- Trippin' on your love
- (Feeling like a) Demon again
- I can change
- 100% or nothing
- Private wars
- Where the light gets in
- When the blackout meets the fallout
- Carnival of fools
- Golden rope
- Autumn in paradise
Gesamtspielzeit: 37:43 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33059 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-07-14 11:41:49 Uhr
Läuft irgendwie nett durch, ist aber weit weg von der Großartigkeit des Vorgängers entfernt. Bleibt hoffentlich nicht das letzte Album der Band... ein letztes Aufbäumen wäre schön. |
Lichtgestalt User Postings: 5914 Registriert seit 02.07.2013 |
2016-04-13 09:48:53 Uhr
Mir gefällt es nach einem Durchgang sehr gut. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33059 Registriert seit 07.06.2013 |
2016-04-04 19:36:29 Uhr
Schade, gibt mir mal wieder nichts. Bleibt "More light" das einzig wirklich gute Album seit "Evil heat". |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33059 Registriert seit 07.06.2013 |
2016-03-18 11:49:39 Uhr
So, ab heute verfügar. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27171 Registriert seit 08.01.2012 |
2016-03-08 21:31:13 Uhr
Frisch rezensiert!Meinungen? |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Phoenix; New Order; The Flaming Lips; MGMT; Haim; Chvrches; The Strokes; The Rolling Stones; Oasis; The Charlatans; Ride; Spiritualized; The Mock Turtles; Super Furry Animals; The Jesus & Mary Chain; Depeche Mode; Nine Inch Nails; Pet Shop Boys; Pavement; Iggy Pop; The Stooges; Hot Chip; Gorillaz; Fleetwood Mac; LCD Soundsystem; Moby; Franz Ferdinand; Chemical Brothers; Arctic Monkeys; Beck; The Bravery; The Venus In Furs; Babyshambles; Tame Impala; Ariel Pink's Haunted Graffiti; The Small Faces; The Black Crowes; The Dandy Warhols; The Soundtrack Of Our Lives; Whyte Seeds; Caesars; Kula Shaker; The Stone Roses; Ian Brown; Happy Mondays; Terrorvision; The The; Cinderella; Nazareth; Hanoi Rocks; Quiet Riot; The Free; Grand Funk Railroad; Mr. Big; Jet; Towers Of London; The Flaming Sideburns; Eels; Alabama 3
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Primal Scream - Come Ahead (15 Beiträge / Letzter am 30.08.2024 - 13:19 Uhr)
- Primal Scream - XTRMNTR (47 Beiträge / Letzter am 03.07.2024 - 16:53 Uhr)
- Primal Scream (73 Beiträge / Letzter am 21.12.2022 - 12:31 Uhr)
- Primal Scream - Live In Japan (2 Beiträge / Letzter am 20.09.2022 - 17:09 Uhr)
- Primal Scream - Beautiful future (1 Beiträge / Letzter am 16.07.2021 - 15:01 Uhr)
- Primal Scream - More light (37 Beiträge / Letzter am 14.07.2021 - 21:34 Uhr)
- Primal Scream - Give out but don't give up (24 Beiträge / Letzter am 14.07.2021 - 14:55 Uhr)
- Primal Scream - Screamadelica (15 Beiträge / Letzter am 14.07.2021 - 13:55 Uhr)
- Primal Scream - Chaosmosis (16 Beiträge / Letzter am 14.07.2021 - 11:41 Uhr)
- Primal Scream - Evil heat (9 Beiträge / Letzter am 11.04.2014 - 20:31 Uhr)
- Was haltet ihr von Primal Scream? (16 Beiträge / Letzter am 31.07.2013 - 10:52 Uhr)
- Primal Scream - Riot city blues (47 Beiträge / Letzter am 26.07.2007 - 20:04 Uhr)