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Turbostaat - Abalonia

Turbostaat- Abalonia

PIAS / Rough Trade
VÖ: 29.01.2016

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Flucht in die Flucht

"Und sie ging den selben Weg / Nur weiter, nur weiter / Vielleicht trifft man sie in Abalonia." Premiere für Turbostaat: Die Flensburger Jungs wagen sich an ein Konzeptalbum. "Abalonia" ist irgendwo und nirgendwo, ein fiktives Land, wie das "Pepperland" der Beatles, wie "Ochrasy" für Mando Diao, oder wie die Piratenrepublik "Libertatia" von Ja, Panik unlängst. Eine Anlehnung an das Avalon der Arthurssage ist dabei wohl nicht von der Hand zu weisen. Dort wurde der Gralsgeschichte nach König Arthur gepflegt, nach seiner Kriegsverletzung. Gisbert zu Knyphausen sang auf seinem Debüt: "Wo die Verwundeten wohnen, da will ich sein." Turbostaat machen sich nun auf den Weg ins Helden-Lazarett.

"Alles ist besser als der Tod", skandieren Turbostaat im Opener "Ruperts Gruen". Die Schlacht wird in typischer Manier gefochten. Helle, geachtelte Gitarrenwand, Jan Windmeier singt und spricht halb, macht ordentlich Aufhebens um die Flucht des beschriebenen Liebespaares: "Wir bleiben nicht zum Sterben hier." Der Ritt nach "Abalonia", er nimmt hier seinen Anfang, kommt keineswegs überdramatisch daher, sondern pragmatisch punkig. Auf dem Weg begegnet den Protagonisten zunächst "Der Zeuge", welcher über die adelige Herkunft des Pärchens aufklärt. Es folgt "Der Wels" mit zahlreichen Tempiwechseln und ausbrechender Lead-Gitarre. Die Flüchtenden stehen einem Gericht gegenüber, es droht die Todesstrafe: "Es tut nichts, es tötet / Es richtet, ohne Scham", wird "Der Wels" als Henker des Königs beschrieben. Nunmehr allein reitet der weibliche Teil des adeligen Paares weiter.

"Die Arschgesichter" verhöhnen sie zunächst in ihrer Trauer, bevor mit "Wolter" das wohl ausführlichste Stück der Turbostaat-Geschichte herannaht und einen weiteren Handlungsstrang einführt: Die Gitarre zieht wie eine Sirene in der Ferne auf, der Bass folgt und legt Nebel auf die Szenerie, die Drums künden vom herannahenden Unheil. Kurz vor der Zweiminuten-Grenze zieht der Takt an und erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der den Krieg näherkommen sieht. Ein Heer der Namenlosen marschiert ihm schließlich entgegen, die Musik verstummt schier, bevor Turbostaat im tobenden Gewitter den Chor anstimmen und sein Ende besingen.

"Eisenmann" taucht ein in das Gefühlsleben des schweren Geräts und berichtet von Zerstörung in unangeahnten Ausmaßen, gleichwohl der Track in ungewohnter Langsamkeit seine Ausdrucksform findet. In "Totmannknopf" findet die einsame Reiterin einen neuen Begleiter, der gemeinsam mit ihr den hereinbrechenden Winter in "Geistschwein" erlebt. Kurz vor der Ankunft im gelobten Land beklagen Turbostaat noch einmal "Die Toten". Auch dieses Stück eröffnet mit einer düsteren Einleitung, die Industrial-Drums integriert und Joy-Division-Referenzen zieht. Das letzte Stück, "Abalonia", hingegen spurtet poppig los, bevor dichte Gitarrenfiguren übernehmen. Der Weg ist noch nicht zu Ende für Semona, die hier erstmals einen Namen erhält, doch es ist der richtige.

Mystisch und erzählerisch erschienen die Verse der vielleicht beliebtesten Punkband Deutschlands seit eh und je. Dass Turbostaat nun eine Platte mit ganzheitlicher Handlung aufnehmen, statt einzelne Kleinstgeschichten zu schildern, ist mindestens die logische Folge ihres Schaffens. Dass dies auch derart gut funktioniert, ist beleibe kein Zufall. Es ließ sich schon in der Vergangenheit erahnen, dass mehr als ein helles Köpfchen hinter Turbostaat steckt, dass der nach außen auffällige Windmeier vor allem als Sprachrohr einer blühenden, übergeordneten Fantasie des Kollektivs fungiert. Musikalisch traut sich "Abalonia" zudem immer wieder über den vermuteten Horizont der Flensburger hinaus – auch das zeigt ihr ganzes Talent. Der Bezug zur Flucht als Zentralthema kommt überaus passend in Zeiten mit Millionen Heimatvertriebenen auf der Suche nach Schutz. Übertragen in die Moderne wirken die Schilderungen Turbostaats daher noch augenscheinlicher. "Abalonia" wird so zum vielleicht wichtigsten Turbostaat-Album aller Zeiten.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Ruperts Gruen
  • Wolter
  • Abalonia

Tracklist

  1. Ruperts Gruen
  2. Der Zeuge
  3. Der Wels
  4. Die Arschgesichter
  5. Wolter
  6. Eisenmann
  7. Totmannknopf
  8. Geistschwein
  9. Die Toten
  10. Abalonia

Gesamtspielzeit: 43:02 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Voyage 34

Postings: 958

Registriert seit 11.09.2018

2020-07-14 13:59:45 Uhr
Fantastisches Album

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2020-07-14 13:39:04 Uhr
"Wolter" ist ein Übersong. Opener auch, japp.

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

2020-07-14 13:29:28 Uhr
Nachdem ich es bis jetzt immer etwas "verachtet" hatte, bin ich über "Uthlande" doch noch mal auf das Album zurückgekommen, und finde es fast durchgehend gut und musikalisch betont vielseitig umgesetzt. Auf den Wels und die Arschgesichter hätte ich allerdings gut und gerne verzichten können.

Eurodance Commando

Postings: 1731

Registriert seit 26.07.2019

2020-01-21 15:25:56 Uhr
Das melancholischste Album von Turbostaat, weswegen ich die zwar weniger auflege, aber dafür ist es auch das langlebigste bisher.
Persönliches Highlight ist gleich beim Opener "Ruperts Gruen" auszumachen. Wenn der Song ab 3 Minuten wieder "zurückkommt" ("Luft kehrt zurück..."), für sowas mitreißendes liebe ich die Band. Ansonsten "Wolter" und der Titelsong als weitere straighte Highlights. "Eisenmann" und "Die Toten" sind atmosphärisch auch ganz stark.

eric

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 2794

Registriert seit 14.06.2013

2020-01-21 12:07:25 Uhr
Ja.
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