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Tindersticks - The waiting room

Tindersticks- The waiting room

City Slang / Universal
VÖ: 22.01.2016

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Romantiker sind traurige Esel

Romantiker träumen. Durch ihr schwelgerisches Vielleicht – nie angemessener vertont als von Tindersticks –, werden sie erst so richtig romantisch. Nur ist das Hätte, Wäre, Könnte mit Anbeginn der Liebe bereits verdammt. Nach dem ersten Hingerissen-Sein wird etwas zurückersehnt, das es nach Roland Barthes schon nicht mehr gibt. Fiebrig hat Stuart Staples in den Neunzigern gefragt, wohin das Blut gebrochener Herzen fließt und winzige Tränen des Liebessuds besungen. Die romantischste Band ist gleich dem romantischsten Menschen zutiefst nachtragend. Das dritte Album "Curtains" umkreiste derartige Figuren in orchestraler Opulenz. Später knauserten Tindersticks, verringerten häufiger die Musikantenzahl, wie in der Rückschau "Across six leap years", als müssten diese in ein schrumpfendes Kämmerchen passen. Natürlich eines mit defekten Lampen. Ausnahmen waren Filmscores für Claire Denis und die musikalischen Tableaus des Ersten Weltkriegs auf"Ypres".

Eine verschnörkelte Harmonika leitet "The waiting room" ein. Nach instrumentalem Intro flattert Staples' Bariton über ein hallendes E-Piano, eines der vielen elektronischen Tupfer auf dem Album. "I found love / Before I could identify it / I found grace / Before I could be mystified by you", nölt er, unversöhnlich über sich selbst verärgert, weil er doch weiß, dass all tapsiges Bitten um eine zweite Chance bereits vergebens ist. Der kargen Schönheit von "Second chance man" treten Blechbläser entgegen, die obsessiv jazzig sind. Trotzdem bleiben Instrumente nur schattenhaft, was "The waiting room" auch etwas Resignierendes verleiht. Angedeutete Chansons sind das, wenngleich schaurig-schöne. In "We were once lovers?", verdunkelt von einem trägen Bass, bricht Staples laut aus. Wie könne er sich sorgen, wenn die Sorgen ihn umbrächten? Musikalische Unsicherheiten, die gewollt sind, bestimmen "Help yourself" und "Fear of emptiness", mal mit flackernden Bläsern, mal mit einer Steel-Pan, die eher auf karibischen Inselstaaten geklimpert wird. Tindersticks klingen zeitgleich nach sich selbst und einem zwielichtigen Zwilling.

Anmutig sind die Streicher und das trübe melodische Klavier in "How he entered". In "Like only lovers can" möchte Staples wissen, wohin sie beide gingen, um sich zu verstecken, um sich letztlich doch wieder zu verletzen, wie es nur Liebende könnten. Aus diesem Endbewusstsein heraus erwächst eine zugleich elysische und dunkle Romantik. Eine, in der nicht mehr von ihr geträumt wird, sondern von einer riesenrädrigen Schaufelmaschine. Die schleppt zumindest im Video zum ausufernden "We are dreamers!" Kohlenähnliches durch eine vertrocknete Sumpflandschaft. Eine herumirrende Frau droht dort überrollt zu werden. Schaurig ist das, weil sich die harte E-Gitarre zwischen der akustischen breit macht, weil die Rhythmik hinfort eilt und Jehnny Beth von Savages so flehend mitsingt.

Die Liebe wurde im Traum zur Agonie und eigenem Weltuntergang. Wer die Augen zu schließt, nähert sich keiner Schönheit, dafür entfernt er sich von ihr. Ein letztes Mal stimmt Lhasa de Sela in "Hey Lucinda" ein, das so maßlos untröstlich wird, da sie 2010 verstorben ist. "Ich sehne mich nicht immer nach dem Alleinsein, aber bin ich allein, bin ich der unglücklichste Mensch", ist in Thomas Bernhards letztem großen Prosawerk zu lesen. Romantiker sehnen, was fort bleibt. Sie verharren unglücklich, wie das geknickt dreinblickende Maultier auf dem opaken Albumcover von "The waiting room". Unglücklich, wie der Esel I-Aah bei Winnie-the-Pooh.

(Maximilian Ginter)

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Highlights

  • Second chance man
  • How he entered
  • We are dreamers!
  • Like only lovers can

Tracklist

  1. Follow me
  2. Second chance man
  3. Were we once lovers?
  4. Help yourself
  5. Hey Lucinda
  6. This fear of emptiness
  7. How he entered
  8. The waiting room
  9. Planting holes
  10. We are dreamers!
  11. Like only lovers can

Gesamtspielzeit: 47:53 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Cosmig Egg

Postings: 766

Registriert seit 13.06.2013

2016-11-24 20:32:00 Uhr
die Alben kann man nach 10 Jahren wieder auskramen, hören...und genauso in Extase geraten, wie bei der Entjungferung

saihttam

Postings: 2230

Registriert seit 15.06.2013

2016-11-24 01:44:12 Uhr
Dann könntest du auch mit mir tauschen. Höre mir gerade das erste Album zum ersten Mal an. Bin gespannt.

dogs on tape

Postings: 189

Registriert seit 14.06.2013

2016-11-23 22:01:31 Uhr
Hach das wärs. Mit Rote Arme Fraktion tauschen und nochmal die ersten beiden Tindersticks Alben zum ersten Mal hören.

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 8923

Registriert seit 26.02.2016

2016-11-23 21:20:57 Uhr
Der Titeltrack ist sowas von schön. Unglaublich leise und zerbrechlich, bei jedem "Don't let me suffer" sticht es.

Rote Arme Fraktion

Postings: 4027

Registriert seit 13.06.2013

2016-11-23 20:52:35 Uhr
Hole ich nach.
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