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Alligatoah - Musik ist keine Lösung

Alligatoah- Musik ist keine Lösung

Trailerpark / Groove Attack
VÖ: 27.11.2015

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Rap-Battle mit dem Erlöser

"Dieser Weg wird kein leichter sein / Dieser Weg wird steinig und schwer": Solche hohlen Phrasen sind für den Antichristen Lukas Strobel alias Aligatoah anno 2015 das absolute Feindbild. Der Rapper mit dem Hang zur Selbstinszenierung und Theatralik, für den Spott und Battle-Gehabe mehr Werkzeug zum Geschichtenerzählen als tatsächlicher Angriff auf bestimmte Personen sind, versteht im Gegensatz zu Xavier Naidoo mit seiner Version des modernen Die-Ärzte-Klassikers "Junge" eine Menge Ironie. Diese durchbricht er nun sogar, um noch schonungsloser mit leeren Statements abzurechnen, für die der Erlöser von oben steht. Im Gegensatz zu "Triebwerke" von 2013, das zwischenmenschliche Beziehungen fokussierte, kümmert sich "Musik ist keine Lösung" nunmehr um die gesellschaftspolitischen Brennpunkte.

Songs wie die Vorab-Single "Vor Gericht" schüttelt Alligatoah mittlerweile offenbar aus dem Ärmel. Ob es nun um Distanz im digitalen Zeitalter, Schönheitswahn oder wie hier um offenherzige Auslegung des Rechtsystems geht, ist egal. Es hagelt in jedem Fall feine Melodien und Wortspiele "Du bist schön / Aber dafür kannst Du nichts / Weder Lesen noch Schreiben noch was anderes / Du bist schön / Aber dafür kannst Du nichts / Du kannst nicht mal was dafür / Dafür kannst Du nichts". Auch das für die ohrwurmtauglichen Vocals verantwortliche Alter Ego Kaliba 69 setzt sich stets ironisch über alles hinweg und macht sich damit unangreifbar. Dabei springen Perlen wie "Denk an die Kinder" heraus, in dem der C-Promi-Protagonist die Masche nutzt, eine billige Phrase zu dreschen, um sich als Philanthrop zu stilisieren und wieder zum Gesprächsthema zu machen. Schließlich steigert sich die Farce zum Schluss in ein hohles "We are the world" hinein und versammelt von Naidoo über die Sportfreunde Stiller und Philipp Poisel bis hin zu Marius Müller-Westernhagen und gar Helge Schneider das Who's who des deutschen Pop, was gerade im zugehörigen Video brüllend komisch ist.

Genre-Kollegen könnten schon jetzt neidisch sein, aber "Lass liegen" deutet an, dass da noch mehr kommt: Was erst klingt wie ein Abgesang auf das zu offensichtliche Feindbild der Wegwerfgesellschaft, punktet durch absurde Einfälle, wie "Wenn Dir der geröstete Panda nicht schmeckt / Lass liegen", und birgt dann bitterböse Satire: "Ich wurde heute morgen von 'nem Panzer geweckt / Lass liegen, lass liegen, lass liegen, lass liegen bleiben / Drunter lag ein Mann, der seine Hand nach uns streckt / Doch wir haben keinen Platz zu bieten / Lass liegen". Die Bequemlichkeit der westlichen Gesellschaft trotz Omnipräsenz von Kriegszuständen bleibt nicht der einzige Giftpfeil: "Teamgeist" deckt schonungslos die Willkürlichkeit des Rassismus auf und erinnert wie die weiteren rauheren Songs "Hab ich recht" oder "Das bedeutet Krieg" stark an die Krawallbrüder von Trailerpark oder die Verwandten im Geiste namens K.I.Z.

Wer jetzt denkt, Alligatoah mache es sich auch ganz schön bequem, da es leicht ist, sich über Absurditäten des Alltags lustig zu machen, hat seine Rechnung ohne den Titeltrack gemacht. Rein instrumental sticht "Musik ist keine Lösung" durch Piano-Einsatz heraus, inhaltlich setzt der Track zum Rundumschlag mit offenem Visier an, hebt die Grenzen zwischen Ironie und Ernst vollkommen aus den Angeln. Der Prototyp der Weltverbesserer aus "Denk an die Kinder" bekommt erneut sein Fett weg, aber auch jene, die ernsthaft glauben, Musik alleine könne Kriege aufhalten, bekommen Alligatoahs Zorn zu spüren: "Ein Anti-Kriegs-Klangerzeugnis? / Pff, ganz was Neues / John Lennon hat das schon in den Siebzigern gemacht / Hat ja richtig was gebracht."

Weiter durchleiden Protestsänger, die ohne die Krisenherde dieser Welt arbeitslos wären, Szenarien, dass ihre Texte entweder nicht verstanden oder gar von Radikalen instrumentalisiert werden. Ihr Ziel zumindest erreichen sie nie, weshalb die Mächtigen Alligatoahs Alter Ego sogar raten, die Menschheit aufzugeben. Doch mit einem herausgebrüllten "Ich bin noch nicht fertig!" durchbricht Strobel die Songstruktur, um sich selbst als Protestsänger zu outen und sein Schlusswort zu geben: "Aber die Menschen sind nicht böse / Die Menschen sind nur dumm". Das bietet höchst ambivalenten Zündstoff, der nicht durch dahergeplapperte Phrasen der Marke Naidoo vergeudet werden darf. Auch wenn wohl niemand einen Rap-Battle zwischen den beiden erleben wird – wir wissen, wer gewinnen würde.

(Marcel Menne)

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Highlights

  • Denk an die Kinder
  • Teamgeist
  • Musik ist keine Lösung

Tracklist

  1. Comeback des Jahres (Intro)
  2. Denk an die Kinder
  3. Vor Gericht
  4. Lass liegen
  5. Teamgeist
  6. Mama, kannst du mich abholen 1
  7. Hab ich recht
  8. Gute Bekannte
  9. Das bedeutet Krieg (feat. Morlockk Dilemma)
  10. Mama, kannst du mich abholen 2
  11. Du bist schön
  12. Doktor spielen
  13. Comeback des Jahres
  14. Mama, kannst du mich abholen 3
  15. Musik ist keine Lösung

Gesamtspielzeit: 48:07 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
nun
2015-12-12 01:08:21 Uhr
das ist, wenn die post jährlich ihr porto erhöht, obwohl die e-mail im vergleich billiger und schneller ist...

edegeiler

Postings: 2915

Registriert seit 02.04.2014

2015-12-11 21:48:57 Uhr
Was ist denn postironisch?
Punisher
2015-12-11 09:32:39 Uhr
Postironische Musik für die linksliberale Bildungselite oder solche, die sich dafür halten. Der Titeltrack ist aber echt gut.

Marcel

Postings: 12

Registriert seit 26.06.2015

2015-11-22 15:02:06 Uhr
Lieber Junge,

ich denke, du meinst vor allem den Aspekt, dass Alligatoah sich auf dem neuen Album gegen Phrasen wendet? Wenn nicht, korrigier mich bitte, da der Absatz ja noch weitere Aspekte aufweist, aber ich antworte mal so auf deine Frage:

Dass Alligatoah angebliche Wahrheiten, die in einem einfachen Satz zusammengefasst werden können, tatsächlich jedoch nichts aussagen (genau hierfür stehen ja die Phrasen), angreift, zieht sich als roter Faden durch das gesamte Album. Daher ist dieser Aspekt nicht auf einen einzelnen Song einzuengen, bspw. finden sich allerhand Redeweisen, die Alligatoah aktiv umkehrt oder umdeutet und sich so über die jeweiligen Phrasen lustig macht.

Besonders explizit ist der Kampf gegen die Phrasen in "Denk an die Kinder", wo ja gerade die Inhaltsleere jener Aussage pervertiert zur Vermarktung genutzt und dieses Gehabe von Strobel parodiert wird.

Implizit ist der Titeltrack ein tolles Beispiel, weil er auch auf den der Phrasen-Kritik zugrunde liegenden Punkt anspielt. Denn Phrasen suggerieren immer das Bild einer leicht zu deutenden Welt, wogegen Alligatoah, der die intensive Auseinandersetzung (natürlich auch mit seiner eigenen Musik) fordert, rebelliert.

Ich hoffe, deine Frage beantwortet zu haben und bin natürlich immer für weitere Fragen von allen Seiten zu haben!
Junge
2015-11-22 08:52:04 Uhr
Lieber Herr Menne,

welchen Song von Alligatoah meinen Sie mit dem ersten Absatz:
""Dieser Weg wird kein leichter sein / Dieser Weg wird steinig und schwer": Solche hohlen Phrasen sind für den Antichristen Lukas Strobel alias Aligatoah anno 2015 das absolute Feindbild. Der Rapper mit dem Hang zur Selbstinszenierung und Theatralik, für den Spott und Battle-Gehabe mehr Werkzeug zum Geschichtenerzählen als tatsächlicher Angriff auf bestimmte Personen sind, versteht im Gegensatz zu Xavier Naidoo mit seiner Version des modernen Die-Ärzte-Klassikers "Junge" eine Menge Ironie. Diese durchbricht er nun sogar, um noch schonungsloser mit leeren Statements abzurechnen, für die der Erlöser von oben steht. Im Gegensatz zu "Triebwerke" von 2013, das zwischenmenschliche Beziehungen fokussierte, kümmert sich "Musik ist keine Lösung" nunmehr um die gesellschaftspolitischen Brennpunkte."



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