Elvis Perkins - I aubade
MIR / Amazing / Cargo
VÖ: 02.10.2015
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Katerstimmung
Wann setzte der schlimmste Kater der jüngeren Menschheitsgeschichte ein? Historiker werden in 30, 50, 100 Jahren, ach, eigentlich schon heute, ein punktgenaues Datum festlegen: 9/11, als dem "Anything goes", dem ewigen Rausch aus Geschwindigkeit, Geldfluss und endlosem Spaß ein derart abruptes Ende gesetzt wurde, dass die Welt seitdem verzweifelt nach dem universalen Aspirin sucht.
Elvis Perkins' Familiengeschichte ist eng mit diesem Datum verknüpft und wurde hinlänglich in allen Feuilletons diesseits und jenseits des Atlantiks breitgetreten. Zur Erinnerung: Seine Mutter, die Fotografin Berry Berenson, saß in dem Flugzeug, das in den Nordturm der Twin Towers donnerte. Vater Anthony, der seine Rolle als Norman Bates in "Psycho" nie abschütteln konnte, hatte AIDS schon neun Jahre zuvor dahingerafft. Der Schmerzensschrei, den die Brüder Elvis und Osgood sechs Jahre nach dem Anschlag ausstießen, trug den Titel "Ash Wednesday" und kulminierte im Song "While you were sleeping". Man muss die altbekannte Geschichte von Elvis Perkins immer und immer wieder erzählen, um sich seiner Musik auch nur ansatzweise zu nähern. Denn wenn sein Debüt ein gepeinigter Rausch war und er sich zwischenzeitlich in Dearland verlor, ist "I aubade" eben jener Kater, der einsetzt, wenn sich das Delirium verflüchtigt.
Perkins bleibt auch in seinem jüngsten Werk ein Wanderer auf der Suche nach dem Sinn im Leben, Sterben und in sich selbst. Doch, oh Wunder, der psychische Verdauungsprozess geht voran. Der Song "Hogus pogus" etwa irrt so wunderlich umher wie "I aubade" insgesamt. Dazu passt das Video von Ashley Connor, Cornelia Livingstone und dem Sänger selbst: ein unruhiger Ausflug mit Perkins' Freund Arnaud in die Natur. Irritierend auch die Erklärung: Ein Rind hat Arnaud mehr oder minder freiwillig eine Herzklappe gespendet, und weil sich das Stück um einen Mann dreht, der ein Schweineherz in seiner Brust trägt, hat das eine zum anderen gefunden. Laut Perkins die physische Metamorphose der Lebewesen. Und in ebendiesem wundervollen Wust aus Minimalklang, Verkünstelung und Lebenswirklichkeit findet sich die entscheidende Textstelle: "In fact I found my true law / In my own body / I found my true law / My doc he put it in me / I found my true love / In the end it was me."
Mit dünner Stimme und Gitarrenzupfen, das immer ein wenig neben der Spur verläuft, schwankt und strauchelt, schenkt ein Leidender der Welt das vielleicht schönste Kater-Album aller Zeiten. Ein Morgenständchen, französisch: aubade, ist dafür zu tief gegriffen, zumal Perkins vor allem der Gleichklang mit dem Wort "obeyed" faszinierte. Der Begriff Meisterwerk verbietet sich ebenfalls, weil sich dem Hörer der Zugang durch Perkins' Inneres stellenweise verschließt. "I aubade" schleift sich durch den Tag nach der größten Party aller Zeiten. Poetischer Lallsingsang bei "On rotation Moses", Erinnerungsfetzen vom Vorabend in "I came for fire", Zigarette bei "Gasolina", der Blick in den Geldbeutel zu "My 2$", zurück ins Bett mit "Wheel in the morning". So bittersüß ist nur der Morgen danach.
Highlights
- On rotation Moses
- I came for fire
- Hogus pogus
Tracklist
- On rotation Moses
- My kind
- I came for fire
- & Eveline
- It's now or never loves
- The passage of the black gene
- AM
- Hogus pogus
- Gasolina
- Accidental tourist (A white Huayno melody)
- All today
- My 2$
- Wheel in the morning
Gesamtspielzeit: 46:20 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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musie Postings: 4011 Registriert seit 14.06.2013 |
2021-06-07 21:46:03 Uhr
Das jüngste Album Creation Myths gefällt mir gut, bin gerade über dieses Album gestolpert. Das Stolpern passt auch zur Musik, konstant leicht neben der Spur. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27879 Registriert seit 08.01.2012 |
2015-10-27 19:24:44 Uhr
Am 2. Oktober veröffentlicht Elvis Perkins, Sohn von Schauspieler Anthony Perkins, sein drittes Album. Digital ist „I Aubade“ bereits erschienen. Im November kommt der Künstler für 2 Termine auch nach Deutschland, um sein neues Album live vorzustellen. "beautiful, captivating, intimate, delicate" - musikexpress 11/2015 "The appeal of these recordings lies in their intimate imperfection" - Rolling Stone 10/2015 "Freak-Folk at its best." - intro 10/2015 "With a fragile voice and guitar picking that's always a little off, that sways and stumbles, a sufferer gives to the world perhaps the most beautiful hangover album of all time. [...] As bittersweet as only the morning after can be." - plattentests.de ELVIS PERKINS 08.11.2015 Hamburg, Mojo Jazz Café 09.11.2015 Berlin, Roter Salon http://www.landstreicher-booking.de/de/elvis-perkins/ Tickets hier: http://bit.ly/1OUgJjC |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27879 Registriert seit 08.01.2012 |
2015-10-14 19:54:52 Uhr
Frisch rezensiert!Meinungen? |
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Referenzen
Elvis Perkins In Dearland; Damian Rice; Rufus Wainwright; David Gray; Ed Harcourt; Owen; Radical Face; Jeff Buckley; Bright Eyes; Eric Matthews; Sufjan Stevens; M. Ward; Damien Jurado; Neutral Milk Hotel; The American Analog Set; Sun Kil Moon; Elliott Smith; Kevin Devine; Ryan Adams; Leonard Cohen; Tom Waits; Bon Iver; Nick Drake; Bob Dylan; Neil Young; Kristofer Äström & Hidden Truck; Songs:Ohia; Boy Omega; Hayden; Matt Costa; Ben Harper; Bonnie 'Prince' Billy
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