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Beach House - Depression cherry

Beach House- Depression cherry

Bella Union / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 28.08.2015

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Ausgeträumt

Es ist ja längst bekannt und kein Geheimnis mehr: Jeder weiß mittlerweile, dass ich ein großer Fan von Beach House bin. Zwei Alben habe ich bisher rezensieren dürfen, mich dabei gefreut wie ein kleines Kind an Weihnachten, gelächelt, manchmal sogar lauthals gelacht vor Freude. Geweint. Nachgedacht. Geträumt. "Teen dream" ist eines meiner absoluten Lieblingsalben, den Nachfolger "Bloom" liebe ich fast genauso sehr. Wenn Beach House in der Nähe auftreten, findet man mich in der ersten Reihe. Meine Liebe zu Victoria Legrand und Alex Scally reicht aber noch weiter zurück. 2006 war das, ich hatte gerade mein Studium an der Uni Frankfurt begonnen und lag eines Tages zwischen zwei Vorlesungen auf der Wiese vom Campus Westend. Ein paar andere Studenten saßen wenige Meter weiter und hörten über eine Mini-Anlage mit schlechten Lautsprechern überaus schöne Musik. Ich fragte sie, was das für ein Song wäre – es war "Apple orchard" und ich sofort Feuer und Flamme. Noch am selben Tag kaufte ich das dazugehörige selbstbetitelte Debütalbum über einen Importhändler. Als es ein Jahr später auch in Deutschland erschien, war meine anfängliche Verliebtheit in Beach House längst zu einer festen Beziehung gereift.

Als Legrand und Scally im Mai 2015 ihr fünftes Album "Depression cherry" ankündigten, war das für mich also mehr als nur eine schöne Nachricht. Sofort war mir klar, dass jede Hoffnung, die ich in das Duo aus Baltimore setzen würde, gut angelegt wäre. Die Vorabmeldung, dass sich die beiden vom kommerzielleren Sound der beiden Vorgänger entfernen und sich wieder verstärkt auf das konzentrieren würden, was "Beach House" und das 2008 veröffentlichte "Devotion" ausmachte, schreckte mich nicht ab, sondern weckte meine Neugier. Nicht zu Unrecht: Die erste Single "Sparks" ließ mein Herz lauter und schneller schlagen, erinnerte sie doch so sehr an My Bloody Valentine mit ihren Shoegaze-Anleihen aus verzerrter Gitarre und verhuschtem Gesang. Durch und durch überraschend war das, in keiner Weise passend für den damals noch bevorstehenden Sommer und doch genau das fehlende Puzzleteil für die Herzen aller, denen die drei Jahre seit "Bloom" wie eine Ewigkeit vorkamen.

Der Dream-Pop auf "Depression cherry" könnte natürlich kaum noch dream-poppiger sein, dennoch sind Beach House aus dem Traum, der zwei Alben lang andauerte, erwacht. Ihr fünftes Werk, abermals produziert von Chris Coady, wandelt nicht auf rosa Wolken, es fliegt nicht, es läuft nicht über Wasser. Die neun Songs wirken so verträumt, wie es im Wachzustand nur möglich ist, aber sie scheinen greifbar zu sein – alles ist Realität. Der bärenstarke und synthiegeladene Opener "Levitation" erweckt den Eindruck, als stünde Legrand nur wenige Zentimeter entfernt. Sie singt für mich. Sie wird auch für Dich singen, für Euch, für sie. Der Drumcomputer erzeugt keine Hektik, sondern einen angenehmen Rhythmus, der Hall im Gesang ein zwischen Zittern und Zärtlichkeit wandelndes Gefühl auf der Haut. Es ist wie der Kaffee am Morgen nach einer vom Tiefschlaf geprägten Nacht – oder nach einer gänzlich schlaflosen. Der 80er-Jahre-Pop von "Wildflower", mit etwas mehr als dreieinhalb Minuten das kürzeste Stück des Albums, scheint gleichermaßen einfach gestrickt wie ausgeklügelt zu sein, während Legrand ein Hoch auf die Natürlichkeit und den Einklang mit sich selbst singt: "What's left you make something of it / The sky and what's left above it / The way you want nothing of it."

Am stärksten sind Beach House aber immer dann, wenn sie sich selbst Zeit zur Entfaltung geben. Das war schon immer so, und angesichts dessen, dass "Depression cherry" anders als seine beiden Vorgänger nicht von Beginn an ein Überalbum ist, sondern den einen oder anderen Durchgang braucht, ist es durchaus sinnvoll, auch den Songs individuell etwas Raum zu geben. Sonst bemerkt man womöglich kaum, was für eine fantastische Doppelspitze sich da in der Mitte versteckt: Vom fast schon sinnlich anmutenden "10:37", dessen gespenstische Atmosphäre durch abstrakte Zeilen wie "Where you go / She casts no shadow / Still you know she's near" nur noch verstärkt wird, geht es über zu "PPP". Jetzt schon einer der besten Songs, die das Duo je zustandegebracht hat, wartet es nicht nur mit Spoken-Word- und Walzer-Elementen auf, sondern überzeugt trotz der typischen Produktionsweise aus dem Beach-House-Baukasten über die vollen sechs Minuten. Wenn schließlich auch noch der harmonische 60er-Jahre-Frauenchor-Pop einsetzt, blinzle nicht nur ich verwundert mit den Augen ob des geradezu watteweichen Wohligseins. Wach. Tatsächlich.

Auch auf der Zielgeraden enttäuschen Beach House nicht, im Gegenteil: Die anfänglich beinahe etwas aggressiv wirkenden Drumsounds von "Bluebird" fügen sich mit jeder weiteren Sekunde in den Songfluss ein, fast schon opulent entwickelt sich diese Ode an die Freiheit. Ein eingesperrter Vogel ist eben auch ein trauriger, das weiß Legrand, wenn sie nicht ohne Tränchen im Augenwinkel singt: "I would never ever / Try to capture you." Mit "Days of candy" gibt es schließlich noch ein waschechtes Epos, bevor der Vorhang fällt. Ein üppiger Chor steht zunächst im Vordergrund, aus einem anderen Universum tauchen ein paar futuristische Synthies auf, während Legrand als unschuldiger weißer Schwan über allem thront und in den letzten zwei Minuten eine Explosion aus ebenso weißen Bettfedern entfacht, die wie übergroße Schneeflocken zurück auf die Erde fallen. Zu blumig? Egal. Jeder weiß mittlerweile: Ich bin ein großer Fan von Beach House. Ein Ende dieser Liebe ist nicht abzusehen. Und bei einer solch himmlischen Realität freut man sich sogar über Schlaflosigkeit – oder über das Ende eines schönen Traums.

(Jennifer Depner)

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Highlights

  • Sparks
  • 10:37
  • PPP
  • Bluebird

Tracklist

  1. Levitation
  2. Sparks
  3. Space song
  4. Beyond love
  5. 10:37
  6. PPP
  7. Wildflower
  8. Bluebird
  9. Days of candy

Gesamtspielzeit: 45:02 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2020-09-12 14:22:56 Uhr
Finde "Thank Your Lucky Stars" etwas besser, mein zweitliebstes hinter "Teen Dream".
"Depression Cherry" ist aber auch toll, vor allem bis "PPP".

Yersinia

Postings: 598

Registriert seit 27.06.2013

2020-09-11 23:33:43 Uhr
Es ist definitiv ein grandioses Album. Damals ja quasi ein Doppelalbum mit 'Thank Your Lucky Stars', wobei das im Vergleich deutlich abfällt. 'Elegy to the Void' allerdings eine Wucht.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2020-09-09 12:05:25 Uhr
Im Grunde fallen nur "10:37" und "Bluebird" etwas ab. Wohl mein zweitliebstes Album von ihnen hinter "Teen dream".

musie

Postings: 3751

Registriert seit 14.06.2013

2020-09-09 11:47:24 Uhr
und Beyond Love....

badpit

Postings: 156

Registriert seit 20.07.2013

2020-09-09 11:12:20 Uhr
'PPP' mag ich auch, aber 'Sparks' ist nicht so mein Ding - 'Space Song ist für mich aber sowieso weit über allen anderen Songs auf der 'Depression Cherry'
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