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K.I.Z. - Hurra die Welt geht unter

K.I.Z.- Hurra die Welt geht unter

Vertigo / Universal
VÖ: 10.07.2015

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Große Bombe, alles weg

Die Welt ist schlecht! So weit, so bekannt. In Griechenland müssen die Ärmsten am meisten darben, während Deutschland seine böse, im Rollstuhl sitzende Fratze zeigt, und dabei vergisst, dass es ohne ausländische Hilfe nach Kriegsende niemals wieder aufwärts gegangen wäre. Auf dem Mittelmeer sterben täglich Flüchtlinge, die aus einer kaum nachzuempfindenden Not, aus Angst vor Verfolgung und Tod ihre Heimat verlassen müssen, während hierzulande schon die aufnehmenden Asylbewerberheime brennen und rechte Gruppierungen durch die Straßen marschieren – dementsprechend präsentiert sich die Chronik der rechten Gewalt 2015 als erschreckend lange Liste. Einige der beschriebenen Entwicklungen kennt man in Deutschland schon von Anfang der Dreißiger-Jahre. Neu aber ist, dass sich die Unterhaltungselite öffentlich gegen die profane Verfeindbildlichung wendet, wie unlängst Jan Böhmermann und Klaas Heufer-Umlauf in ihrem Video, welches sich mit polemischen Schlagzeilen zur Griechenlandkrise auseinandersetzt. Auf den Tag genau sechs Jahre nach "Sexismus gegen Rechts", dem ersten Album mit derlei Ansätzen, konzentrieren sich K.I.Z. wieder auf die Gesellschaftskritik und werden dabei so drastisch und andererseits so ernst und unironisch wie nie zuvor. "Hurra die Welt geht unter" stellt Missstände schonungslos zur Schau und wählt schließlich den fatalistischen Ansatz: Große Bombe, alles weg!

Auf dem neuerlichen Werk der Berliner HipHop-Crew werden so wenige Mütter gefickt wie auf keinem der Vorgänger. Die Mission ist augenscheinlich eine andere, die große Party und der Koks-Blowjob mit der 15-Jährigen auf dem Club-Klo werden mit Verachtung bespielt. So nämlich genau im von Nico gerappten "Ariane", welches der Berliner-Partygesellschaft ans Bein pinkelt. Ob es die junge Ariane auf ihrem ersten Berlin-Trip oder die Meth-abhängige Michaela ist, die Nico in die Zwangssituation manövriert, am nächsten Tag sitzt er wieder im Büro und kuscht vor dem Oberboss – das Spiegelbild einer gestörten Lebensweise, die dabei doch so unglaublich populär ist, wird hier stark überzeichnet, trägt aber eine bittere Wahrheit in sich. In "Geld", "AMG Mercedes" und "Boom boom boom" hingegen steht nicht die Einzelperson, sondern der Kapitalismus bzw. die soziale Ungerechtigkeit im Fokus: "Boom boom boom / Ich bring Euch alle um" lautet im Letzteren die Hook mit Vengaboys-Anstrich. In Tareks Versen wird die Kritik indes am besten auf den Punkt gebracht: "Denkt Ihr, die Flüchtlinge sind in Partyboote gestiegen / ... / Keine Nazis, Ihr seid brave Deutsche / Die sich nicht infizieren lassen mit der Affenseuche." Immer wieder lassen K.I.Z. kleinere und größere Nazi-Seitenhiebe einfließen.

"Glücklich und satt" unterliegt dem gleichen Schema, überzeugt wie die zuvor genannten Songs auch musikalisch mit oldschooligen Beats und erneut Tarek am Mic. "Alle anderen sind glücklich und satt / Wir bringen den Hass / Brennende Autos, plündert die Stadt", lautet der Anarcho-Aufruf, der im sozialen Gefälle seine Zündquelle findet. In "Freier Fall", einem weiteren Tarek-Track, wird es persönlicher, da es von seiner ganz individueller Liebesmisere erzählt: "Du magst mich nicht, wenn ich kokse / Ich kokse, weil Du mich nicht magst", trauert der Rapper seiner Ex hinterher und kreiert den größten Liebeskummer-Track im deutschen HipHop seit Caspers "230409" von "XOXO". Die düstere Stimmung, die hier maximal kulminiert, verursacht durch den minimalen Clap-Beat und das verstörte Piepsen im Hintergrund, durchzieht die ganze Platte wie ein dunkler Schleier.

So kommt es, dass der einzige positiv-gefärbte Titel auf "Hurra die Welt geht unter" der Titelsong und Closer ist. K.I.Z. erleben eine postapokalyptische Welt als befreiend, ohne Geld, Hass und im Frieden. Ein genialer Schachzug gelang den Berlinern darin, Henning May für den Chorus einzusetzen: Der Sänger der Hype-Band AnnenMayKantereit mit der Joe-Cocker-Stimme grölt aus dem Atomschutzbunker das große Juchei zum Weltende. Ist die Welt noch zu retten? K.I.Z. machen sich stark für den totalen Neustart, die Reset-Taste. Und an dieser Stelle wird vielleicht das einzige ironische, wenn nicht vielmehr sarkastische Element der Platte gewahr – so reizvoll es auch wäre, einfach neu anzufangen, wollen die Berliner zunächst einmal auf ihre ureigene, überkrasse Weise die allgemeine Misere anprangern. Am Ende bleibt einem das Lachen im Halse stecken und der Wille, sich zu empören und sich ferner zu engagieren, wächst und wächst.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Glücklich und satt
  • Boom boom boom
  • Freier Fall
  • Ariane
  • Hurra die Welt geht unter (feat. Henning May)

Tracklist

  1. Wir
  2. Geld
  3. Glücklich und satt
  4. Boom boom boom
  5. AMG Mercedes
  6. Freier Fall
  7. Ariane
  8. Käfigbett
  9. Verrückt nach Dir
  10. Ehrenlos
  11. Superstars (feat. Sefo)
  12. Was würde Manny Marc tun (feat. Audio88, Yassin & Manny Marc)
  13. Hurra die Welt geht unter (feat. Henning May)

Gesamtspielzeit: 60:10 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Uh Yeah
2017-07-14 08:47:40 Uhr
Du bist gerade im Club auf Nase mit den Mädels,
und ich ritze diesen Text in deinen AMG Mercedes!

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 20062

Registriert seit 10.09.2013

2016-05-25 11:12:07 Uhr
Nah ist schon ein guter, poppiger Raptrack, AMK (was ne Abkürzung haha) mag ich auch nicht wirklich, aber die Stimme hat schon was.

edegeiler

Postings: 3034

Registriert seit 02.04.2014

2016-05-24 23:21:15 Uhr
@ Affengitarre
Richtig, vorher haben sie es mit Humor kaschiert, hier nicht mehr. Was dem Ganzen nicht hilft.

@Mofa-Tobi
Der ist doch Schmutz. Alles wo AnnenMayKantereit dranklebt ist todeswhack.

Obrac

Postings: 2444

Registriert seit 13.06.2013

2016-05-24 23:19:03 Uhr
Ich fand K.I.Z. immer schon recht negativ. Jetzt haben sie mal mehr direkte Sozialkritik. Der düstertste Track des neuen Albums ist für mich "Ehrenlos". Drei völlig kaputte gemeingefährliche Typen werden da beschrieben. Finde ich weitaus härter als den Titeltrack (den ich übrigens furchbar finde @Moped ;)).

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 20062

Registriert seit 10.09.2013

2016-05-24 22:46:55 Uhr
Bin ich eigentlich der einzige, der den Titeltrack mag?
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